Indien blockiert das globale Handelsabkommen
1. August 2014Eigentlich war es ein Minimal-Kompromiss. Doch es wurde gefeiert als historisches Abkommen, das dem Welthandel einen Schub geben und die globalen Handelsgespräche wiederbeleben würde. Rund zwanzig Jahre nach Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) einigten sich die Vertreter aus 159 Mitgliedsstaaten im Dezember 2013 auf Bali in Indonesien auf ein Paket aus Handelserleichterungen (TFA).
Das Abkommen, mit Erträgen von geschätzt bis zu einer Billion US-Dollar für die Weltwirtschaft, zielte darauf, Handelsbarrieren abzubauen. Um das zu erreichen, sollten Einführzölle gesenkt und gemeinsame Zollnormen eingerichtet werden. Für Industrie - wie Entwicklungsländer würde das gleichermaßen den Zugang zu Märkten anderswo vereinfachen - so die Hoffnung.
Bis zum 31. Juli hätten alle Unterzeichner das Abkommen ratifizieren müssen. Dies ist nun am Widerstand Indiens gescheitert. Indien gab schon vor der Deadline bekannt, dass es die Vereinbarung nicht unterstützen werde - es sei denn, die indischen Bedenken gegenüber Ernährungssicherheit könnten ausgeräumt werden.
Reis für Indiens Arme
Die Diskussion ging vor allem um die Agrar- und Nahrungsmittelsubventionen. Da die Welthandelsorganisation eine Reduktion der Nahrungsmittelsubventionen verlangte, forderte Indien weitere Zugeständnisse: Die Kürzungen sollten nicht die eigene Produktion beeinträchtigen oder gar die Fähigkeit der Regierung, die Armen des Landes zu ernähren.
Ein sensibles Thema gerade für Indien, immerhin das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt, wo rund ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt. Voriges Jahr verabschiedete die Regierung in Neu Delhi ein Gesetz, demzufolge rund 70 Prozent der 1,2 Milliarden Menschen Getreide für Cent-Beträge erhalten sollen - eine Maßnahme gegen den chronischen Hunger und die gravierende Unterernährung.
Bauern sollen nicht in ständiger Angst leben
Schon bei der WTO-Konferenz auf Bali im vergangenen Jahr gab es eine festgefahrene Diskussion zwischen Indien und den anderen Nationen über eben diese Themen. Damals verständigten sich jedoch alle Beteiligten in letzter Minute darauf, die letztgültigen Entscheidungen bezüglich staatlicher Ernährungsprogramme auf 2017 zu verschieben.
Dann allerdings vollzog Indiens neue Regierung unter Ministerpräsident Narendra Modi - der mit großem Vorsprung bei den Wahlen im April/Mai gewann - eine unerwartete Wende und forderte sofortige Gespräche über diese ungelösten Fragen. Plötzlich war Indien nicht mehr bereit, bis 2017 auf eine Entscheidung zu warten. Stattdessen sollte das Thema bis Ende 2014 entschieden sein.
Da sich jedoch viele WTO-Staaten weigerten, dieser Anfrage stattzugeben, verlangte Indiens Botschafter bei der Organisation, Anjali Prasad, am 25. Juli eine Verschiebung der Ratifizierung des Handelserleichterungsabkommens "bis eine dauerhafte Lösung für die staatliche Lagerung zwecks der Ernährungssicherheit gefunden ist." Prasad sagte, dies sei nötig, "damit die Millionen Bauern und armen Familien, die von der Nahrungsmittelverteilung durch die Reigerung abhängen, nicht in ständiger Angst leben müssen." Es sei inakzeptabel, ihre Ernährungssicherheit zu riskieren. Und so verhandelten WTO-Vertreter und indische Regierung erneut. Nun ist die Zeit abgelaufen.
Kritik: Indien zerstöre den Konsens von Bali
Schon im Vorfeld der Entscheidung war die Kritik an Indien nicht zu überhören. Nach Ansicht von Milan Vaishnav, politischer Analyst im Südostasienprogramm der US-Organisation Carnegie Endowment for International Peace, hat Indien den WTO-Verhandlungen klar einen Strich durch die Rechnung gemacht: "Diese Entwicklung kommt zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt angesichts der zahlreichen bestehenden Handelsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Ländern", sagte er der DW. Das indische Vorgehen habe den Zorn der meisten WTO-Mitglieder gesteigert.
Tatsächlich hat die indische Blockadehaltung viele Länder vor den Kopf gestoßen: Sie werfen Neu Delhi vor, den Konsens von Bali zu zerstören. Eine Gruppe von 25 WTO-Mitgliedern, darunter Australien, Thailand, Norwegen und Mexiko, veröffentlichten eine Stellungnahme, in der sie ihre Bestürzung ausdrücken. Auch die EU verkündete, dass die korrekte und termingerechte Umsetzung der Bali-Vereinbarung von "entscheidender Bedeutung" für die WTO und all ihre Mitglieder sei. Zugleich betonte die EU, dass sie nicht bereit sei, grundlegende Elemente oder den Zeitplan, auf den man sich geeinigt habe, neu zu verhandeln.
Bei einem Scheitern der Verhandlungen würde die großartige Gelegenheit, den Handel als Instrument für Wachstum und Entwicklung zu mobilisieren, verloren gehen, hieß es aus Kreisen der EU. "Zudem würde die Glaubwürdigkeit der WTO, die während der Finanzkrise ihren Wert als Schutzwall gegen Protektionismus bewiesen hat, weiter beschädigt", so die EU.
Auch die USA kritisierten die indische Haltung. Der amerikanische WTO-Botschafter Michael Punke sagte: "Eine kleine Zahl WTO-Mitglieder deuten an, dass sie nicht länger zu ihrer Verpflichtung stehen, das TFA zu implementieren. Oder dass sie ihrer Verpflichtung nur dann nachkommen, wenn sie einige Teile neu verhandeln oder neue Kompromisse erzielen können - ergänzend zu denen, die sie bereits in Bali erreicht haben. Es ist zutiefst enttäuschend, dass wir an diesem Punkt angekommen sind."
Denn - was in der Diskussion um die indische Blockade unterging: Einige kleinere Länder wie Kuba, Venezuela oder Bolivien unterstützen die Haltung Neu Delhis. Und mehrere afrikanische Staaten hatten Nachbesserungen gefordert und verlangt, dass die Vereinbarung zunächst nur provisorisch in Kraft treten solle. Seit die WTO aber ein zusätzliches Programm zur Unterstützung der ärmsten Staaten bei der Modernisierung des Zollwesens verabschiedet hat, sind diese Länder zur Zusammenarbeit bereit.
Aktualisierter Artikel vom 30.07.2014