Impfstoff-Zulassung als Weihnachtsgeschenk?
15. Dezember 2020Innerhalb von Stunden änderte sich in Amsterdam bei der Arzneimittelbehörde EMA die Lage: Jetzt wird bestätigt, dass sie am 21. Dezember entscheiden will, ob sie den Impfstoff von BioNTech-Pfizer zulassen wird. Noch am Vormittag hatten sie versucht, ihre Unabhängigkeit gegen den steigenden politischen Druck zu wahren. Plan sei eine Zulassung bis spätestens 29. Dezember, erklärte die Pressestelle ursprünglich: "Wir werden öffentlich mitteilen, wenn sich das ändert".
Aber seit Anfang Dezember war klar, als der im internationalen Vergleich bisher erfolgreichste Impfstoff in Großbritannien per Notfall-Zulassung freigegeben wurde, dass der politische Druck auf die Behörde steigen würde, sich mit der EU-weiten vorläufigen Zulassung zu beeilen.
Berlin drückt auf's Tempo
Die Bekräftigung kam auch aus Berlin: "Das ist eine gute Nachricht für die Europäische Union", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schon am Vormittag. Ziel sei, eine europäische Impfstoffzulassung "noch vor Weihnachten zu erreichen und dann in Deutschland noch vor dem Jahreswechsel mit dem Impfen zu beginnen".
"Warum dauert das in Europa so lange?" Diese Frage von Journalisten und Bürgern schien in den vergangenen Tagen zunehmend schwieriger zu beantworten, seitdem vorige Woche auch die US-Arzneimittelbehörde den Impfstoff freigab und am Montag die ersten Berichte vom Start der Impfungen für medizinisches Personal in Long Island in den Medien erschienen. Ähnlich ist das Bild in Kanada, wo ebenfalls bereits geimpft wird.
Der Bundesgesundheitsminister hatte über Tage den politischen Druck erhöht: "Wir tun alles dafür, dass es noch im Dezember losgehen kann mit dem Impfen", sagte er am Montag der Presse. "Jeder Tag, den wir früher beginnen können zu impfen, mindert Leid und schützt die besonders Verwundbaren", fügte Spahn hinzu. Damit macht er es der EMA in Amsterdam fast unmöglich, ihr Prüfverfahren ohne größten Zeitdruck weiterzuführen.
Manche Experten in Brüssel sind schockiert, dass die Politik sich hier öffentlich einmischt und sich bei der Zulassung so weit aus dem Fenster lehnt. "Politiker sollten sehr vorsichtig sein, was sie in der Öffentlichkeit dazu sagen und welche Erwartungen sie bei den Impfstoffen erwecken. Wir müssen vor allem das Vertrauen der Öffentlichkeit gegenüber Impfstoffen bewahren, die öffentliche Gesundheit und Sicherheit schützen", sagt Yannis Natsis von der European Heath Alliance, einer Organisation, die im Aufsichtsgremium der EMA sitzt.
Geschwindigkeit vor Sorgfalt?
"Das sorgfältige Prüfverfahren der EMA hat Vorteile", sagt auch der Europaparlamentarier Peter Liese, der sich auf Arzneimittelfragen spezialisiert hat. Er berichtet von zahlreichen Impfgegnern und ihrer Polemik, die er in den sozialen Medien beobachte. "Es gibt eine große Skepsis in der Bevölkerung, ob man den Impfstoff überhaupt so schnell auf den Markt bringen kann." Liese meint, dass man diese Skeptiker ernst nehmen und ihre Argumente mit der bestmöglichen Prüfung von Wirksamkeit und möglichen Nebenwirkungen des Impfstoffes entkräften solle.
Er erklärt auch, warum die EU-Zulassung etwas länger dauert als in anderen Ländern: "Die EMA prüft mehr Daten und geht dabei mehr in die Tiefe", wenn sie Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Zahl der Tests kontrolliere. Aber sie habe einen Schichtdienst eingerichtet und arbeite rund um die Uhr am Zulassungsverfahren für den COVID-Impfstoff, alles andere werde derzeit aufgeschoben.
Bei dem Umzug der Behörde von London nach Amsterdam seien zwar einige bewährte Experten zurück geblieben. Aber es sei bewährte Praxis auch auf nationale Experten zurückzugreifen, die seit Monaten auf ihren Einsatz in dem Genehmigungsverfahren vorbereitet seien, erklärt Liese weiter. Er spricht sich dafür aus, bei dem gegenwärtigen Kurs zu bleiben und nicht über Nacht dem Vorbild der Briten und USA mit einer Notall-Zulassung zu folgen. Das habe unter anderem den Nachteil, dass die Haftung für mögliche Folgeschäden vom Hersteller BioNTech-Pfizer auf die EU-Mitgliedsländer übergehen würde.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte sich noch Ende November für das erprobte Verfahren in der EU ausgesprochen und betonte, eine sorgfältige Prüfung sei wichtig für das Vertrauen in den neuen Impfstoff. Aber er scheint seine Meinung geändert zu haben. "Ich verstehe den Druck, ich verstehe die Notfallsituation", sagt dagegen Yannis Natsis: "Aber wir müssen mit Sorgfalt vorgehen - das kann man nicht durchpeitschen".
Und er warnt auch vor zu großen Erwartungen: "Impfstoffe werden nicht das Wundermittel sein, das Politiker erwarten." Das bestätigt auch Arzt und Parlamentarier Peter Liese: "Es geht jetzt wirklich nur um ein paar Wochen, wir würden im Frühjahr sowieso nicht an einer anderen Stelle im Pandemieverlauf stehen." Die Frage danach, was man sich im Januar im öffentlichen Leben schon erlauben könne, liege nicht am schnellstmöglichen Beginn der Impfung.
Deutsche und Europäer werden nicht benachteiligt
Peter Liese kritisiert die Berichterstattung in einigen deutschen Medien. Wenn die Bildzeitung schreibe, dass Millionen den deutschen Impfstoff bekämen, aber deutsche Bürger warten müssten, dann sei das unseriös. "Der Impfstoff ist anteilmäßig produziert worden, er ist also für Deutschland schon zugeteilt und teils schon eingefroren und kann kurzfristig geliefert werden."
Es gehe nur um 2-3 Wochen mehr beim Zulassungsverfahren. In Deutschland werde deswegen kein Mensch weniger geimpft, betont der Europaparlamentarier. Und Gesundheitsexperte Natsis bekräftigt: "Ich glaube nicht, dass Patienten in der EU gegenüber Patienten in Großbritannien oder den USA benachteiligt werden. Alle Länder hatten sich schon den ersten Erfolgsnachrichten im Sommer bestimmte Mengen von dem BioNTech-Pfizer und anderen Impfstoffen gesichert. Für Europa hat die EU-Kommission das zentral gemacht und 400 Millionen Dosen angekauft, was für 200 Millionen Bürger reicht, weil jeder zweimal geimpft werden muss."