Pop-Art in der DDR
12. August 2021"Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei", steht wortwörtlich in Artikel 34 der Verfassung der DDR von 1949. Künstler wie Hans Ticha können darüber nur lachen: "Die Werke, die ich in meinem Atelier gemalt habe, konnte ich nur meiner Frau und einem Freund zeigen", erinnert er sich. Mehrfach wurde in sein Atelier eingebrochen: "Beide male war es sehr mysteriös, ich hatte die Bilder verkehrt herum zur Wand angelehnt, mit Papierstreifen dazwischen, damit ich nachverfolgen konnte, falls jemand die Bilder umdreht." Heimlich malte Ticha in seinem Atelier im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg weiter: unsichtbar, still - aber unerschrocken und entschlossen, sich seiner Kunst zu widmen.
Sozialistischer Realismus
Die Kultur war entgegen dessen, was in der Verfassung stand, nicht frei. Alle Bereiche der Kultur unterlagen der Kontrolle der Staatspartei SED. Die Kulturpolitik der DDR verfolgte das Ziel, die Menschen im Sinne des Sozialismus zu erziehen. Sozialistischer Realismus hieß die ideologisch verordnete Stilrichtung in der Kunst: Glückliche Bäuerinnen und stolze Fabrikarbeiter waren unter anderem die Motive, in den Worten von DDR-Staatsratsschef Walter Ulbricht eine "wirklich volkstümliche realistische Kunst".
Alles andere war Formalismus, Pop-Art, Avantgarde, Moderne - verpönt, verachtet, verboten.
In den 1960er-Jahren verfolgte die DDR im Bereich der Kultur eine "Politik des Kahlschlags". Das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED bedeutete eine Zäsur für die Kulturpolitik der DDR. Einschneidende Maßnahmen wurden beschlossen: Zahlreiche Filme, Theaterstücke, Bücher und Musikgruppen wurden verboten. Werke, die als "antisozialistisch", "klassenfeindlich" oder "formalistisch" abgestempelt wurden, durften nicht veröffentlicht werden. Der sogenannte Bitterfelder Weg stellte den Kulturschaffenden die Aufgabe, durch ihre Kunst die "Bildung des sozialistischen Bewusstseins" und der "sozialistischen Persönlichkeit" zu fördern.
Wer sich gegenüber der DDR kritisch äußerte, war Schikanen ausgesetzt. So wurde Bernhard Heisig nach einer Rede im Jahr 1964, in der er sich gegen die Bevormundung der Künstler wandte und die Akzeptanz moderner künstlerischer Gestaltungsmittel einforderte, als Rektor der Leipziger Kunsthochschule abberufen.
Der Mauerbau und die "Politik des Kahlschlags"
Hans Ticha, der bis 1964 in Leipzig, dann an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studierte, erinnert sich an die 1960er: "Das war natürlich eine starke Einengung. Ich bin deswegen innerhalb der Hochschule aus der Malerei in die Grafikklasse gewechselt, wo es um angewandte Kunst, um Gebrauchsgrafik ging, weil ich mich diesem Druck nicht aussetzen wollte."
Die Bilder, die er zuhause malte, zeigte er nur einem einzigen Lehrer an der Kunsthochschule: "Ich habe meine Werke gut eingewickelt in die Hochschule gebracht. Das war formalistische Kunst - wenn sie jemand gesehen hätte, hätte es zu heftigen Diskussionen oder zum Abbruch des Studiums kommen können. Mein Lehrer, Kurt Robbel, hatte dann die Tür doppelt von innen abgeschlossen, bevor ich ihm die Bilder zeigen konnte", erinnert sich Hans Ticha an jene Zeit.
Um die junge Bevölkerung für sich zu gewinnen, führte der neue Generalsekretär Erich Honecker Anfang der 1970er-Jahre das Prinzip der "Weite und Vielfalt" ein. Damit brachte er einen gewissen Grad an Öffnung in die Kulturpolitik. Doch das währte nicht lange - wenige Jahre später verschärfte sich erneut die Auseinandersetzung mit den Kulturschaffenden - viele Schriftsteller wurden ausgeschlossen, ausgebürgert oder gingen erneut in die innere Emigration.
Auch Hans Ticha erinnert sich an einen Moment im Jahr 1977: "Mein Werk 'Mannschaft' sollte in Dresden in der Kunstausstellung der DDR ausgestellt werden. Ich fuhr zur Eröffnung, doch mein Bild war dann doch nicht mehr da. Ich traf einen anderen Kollegen, der ebenfalls sein Bild suchte. Später haben wir erfahren, dass die Bilder in einem gesonderten, abgeschlossenen Raum deponiert waren. Ich vermute, die Veranstalter wollten Honecker, der ebenfalls zur Eröffnung anwesend war, keinen Schreck einjagen. Man wollte den wahrscheinlich nicht damit konfrontieren", erzählt Hans Ticha.
"Agit-Pop": Wie die Pop-Art in die DDR kam
Er lebte von Buchillustrationen und Gebrauchsgrafiken. Die Kunst, die ihn interessierte, war in der DDR verpönt - die Pop-Art. Mit seinen knallbunten Farben und Formvereinfachungen ging er seinen eigenen Weg und zählte zu den wenigen in der DDR, die die Bildsprache der Pop-Art anwendeten: "Es gab ungeheuer wenig Informationen über diese Stilrichtung. Ich erinnere mich an einen einzigen Artikel in einer NBI, einer illustrierten Zeitschrift in der DDR, den ich zufällig in die Hand bekam. Dort waren mehrer Bilder von der amerikanischen Pop-Art abgebildet - allerdings sehr klein und in einer schlechten Qualität. Es war ein Schmähartikel, ich habe mir die Zeitschrift nicht wegen des Artikels, sondern wegen der Abbildungen gekauft", erinnert sich Ticha.
Er übernahm zwar die Stilrichtung der Pop-Art, passte die Themen aber an seine Realität in der DDR an: "Das dominierende Motiv der amerikanischen Pop-Art war der Massenkonsum, das war in der DDR gar kein Thema. Ich habe die Propaganda der DDR als Motiv genommen, so wie sich die DDR dargestellt hat. Das war mein Thema, das ich bis zum Ende verfolgt habe." Aus dem staatlichen Begriff Agitprop (Agitation und Propaganda) wurde Agit-Pop - eine Stilrichtung, die Künstler wie Hans Ticha mit ihren ironisch-kritischen Werken zur Staatsmacht geprägt haben: Persiflagen auf die Diktatur der Arbeiterklasse.
Als die Mauer 1961 gebaut wurde, war die Informationsbeschaffung und der Austausch mit Künstlerkollegen aus der Bundesrepublik noch spärlicher. Den Mauerbau zu kritisieren, zu hinterfragen oder gar verdeckt in seinen Werken zu behandeln, war gefährlich. Hans Ticha erinnert sich an eine Buchillustration: "Ich durfte den satirischen Science-Fiction-Roman 'Der Krieg mit den Molchen' von Karel Čapek illustrieren. Das Wort "Mauer" kam im Text vor, ergo habe ich eine Mauer gezeichnet. Der künstlerische Leiter hat gesagt, dass er die Illustration rausnehmen wird, sie würde das Projekt gefährden", sagt Ticha.
Die Mauer im Buch
Die Veröffentlichung wurde aus technischen Gründen einige Jahre verzögert, am Ende kam das Buch raus: "Die Mauer war drin - ob er das vergessen hat oder einen Mutanfall hatte, weiß ich nicht. Das sind nur Vermutungen", lacht Ticha. Und es sollte nicht das letzte Mauerbild sein, das er gemalt hat. Sein Werk "Die Mauer" ist heute in der Erinnerungsstätte des Notaufnahmelagers Marienfelde ausgestellt. Nach der Wende ist er nach Mainz umgezogen, heute lebt der 80-jährige Künstler in der Nähe von Frankfurt.