5000 Bilder vom Fall der Berliner Mauer
18. März 2021Warum hat er so viele Bilder vom Fall der Berliner Mauer geschossen? Gut 5000 sind es. Robert Conrad, 1962 in der DDR geboren, denkt bei dieser Frage einen kurzen Moment nach. Er kennt die Antwort, natürlich. Aber er muss sich erst sammeln, dann sprudelt es aus ihm heraus. Sie sei für ihn "zeitlebens natürlich ein prägendes, düsteres Thema" gewesen, sagt er im Gespräch mit der DW. Und die Mauer wird für ihn nie Vergangenheit sein, sie bewegt ihn nach wie vor. Das spürt man sofort, wenn er über dieses 1989/90 in wenigen Monaten fast komplett abgerissene Bauwerk redet.
In der DDR durfte Robert Conrad nicht studieren
Eine Auswahl seiner historischen Fotos wird nun bis zum 18. April im Rahmen der Open-Air-Ausstellung "Das Verschwinden der Mauer" auf dem Steinplatz in der Berliner West-City gezeigt. Dort befindet sich auch die Technische Universität, an der Conrad Kunstgeschichte und Architektur studiert hat. In der DDR war ihm das aus politischen Gründen verwehrt worden. Aber schon damals fotografierte er heimlich die Mauer - von der anderen Seite. Als sie am 9. November 1989 überraschend fiel, habe ihn das in einer Situation getroffen, "wo ich quasi trainiert war auf solche Foto-Projekte".
Zwar war er Autodidakt, aber ein talentierter und leidenschaftlicher. Einer, der auch verfallende Häuser und den Abriss ganzer Straßenzüge quer durch die DDR mit seiner Kamera im Bild festhielt. Auch seine Heimatstadt Greifswald an der Ostsee war von dieser Art Kahlschlag, den es ebenso im Westen gab, betroffen. Nach Ost-Berlin zog Conrad 1986, drei Jahre vor dem Mauerfall. Sein Sehnsuchtsort war aber die andere Seite der seit 1961 geteilten Stadt: der freie, bunte Westen. Deshalb hatte er auch einen Ausreiseantrag gestellt, der sogar genehmigt wurde - für Februar 1990. Zu diesem Zeitpunkt war die Mauer aber schon drei Monate offen.
Mauer-Fotos schlummerten lange in Archiven
Wie sie dann peu à peu aus dem Stadtbild verschwand, lässt sich beim Betrachten der Fotos nachvollziehen: ein Loch in der Mauer, der umgestürzte Wachturm oder ein unterirdischer Geisterbahnhof, an dem keine Züge hielten. Auch solche Orte waren Teil der mehr als 150 Kilometer langen Grenzanlagen. "Irgendwann waren das dann tausende Bilder, die ich dann auch jahrzehntelang abheftete, beschriftete, durchnummerierte." Erst im neuen Jahrtausend wurde sein privater Fundus langsam dem Vergessen entrissen.
Wie wertvoll sein Schatz ist, erkannten auch die Gedenkstätte Berliner Mauer und die Stasi-Unterlagen-Behörde: Sie und andere haben Fotos von Robert Conrad angekauft. Für Aufträge wie den zur Open-Air-Ausstellung ist der Mauer-Chronist besonders dankbar. Ermöglicht wurde sie durch eine Kooperation der Robert-Havemann-Gesellschaft und des Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf. Ein schönes Angebot gerade in Corona-Zeiten, in denen viele Museen noch geschlossen sind oder nur wenige Online-Tickets mit Zeitfenster verkaufen. Die Mauer-Fotos kann man sich rund um die Uhr anschauen, ohne Eintritt zahlen zu müssen.
Mauer-Blick mit einem "gewissen ästhetischen Anspruch"
Ein persönliches Lieblingsbild oder -motiv hat Conrad nicht. Sein Hauptanliegen sei es immer gewesen, "in einer endlos langen Foto-Serie dieses Ungetüm, dieses Monströse der Berliner Mauer zu zeigen". Und als Architekturhistoriker, der er auch ist, interessiert ihn zudem die Entstehungsgeschichte des "antiimperialistischen Schutzwalls". So wurde die Mauer von den Ideologen im DDR-Politbüro bezeichnet. Um es als vermeintliches Abwehrbollwerk gegen den Klassenfeind im Westen zu rechtfertigen. In Wirklichkeit diente es einzig und allein dazu, der eigenen Bevölkerung den Weg in die Freiheit im Wortsinne zu verbauen. Menschen wie Robert Conrad.
Und trotzdem hat er sich in seiner Rolle als Fotograf nie davon abhalten lassen, beim Blick auf die Mauer "mit einem gewissen ästhetischen Anspruch die grafischen Qualitäten dieser Architektur festzuhalten". Conrad macht keinen Hehl daraus, davon in gewisser Weise auch fasziniert zu sein. Dieser "trostlose, kalte Stil" hat es ihm bei aller persönlichen Abscheu aus professioneller Sicht irgendwie auch angetan.
"Das Verschwinden der Mauer" ist eine Wanderausstellung
"Architektur in ihrer bösartigsten Weise" nennt der Fotograf das, was die Menschen zwischen Ost und West seit dem Mauerbau 1961 trennte. Bis sie diese steinerne Barriere nach 28 Jahren in der friedlichen Revolution 1989/90 fröhlich aus dem Weg räumten.
Robert Conrad hat dieses welthistorische Ereignis mit seiner damals noch analogen Kamera zunächst für sich privat festgehalten. Heute haben alle etwas davon. "Das Verschwinden der Mauer" mit Begleittexten in deutscher und englischer Sprache ist als Wanderausstellung konzipiert. Sie kann also von Berlin aus auf Reisen gehen.