Der Westsahara-Konflikt im Schatten der Mali-Krise
28. Februar 2013"Unsere große Sandkiste", nannten Angehörige der UN-Mission Minurso einmal ihr Einsatzgebiet in der Westsahara. Ob fürsorglich oder abschätzig gemeint - hinter dem Spitznamen verbirgt sich ein Konflikt, der in der westlichen Öffentlichkeit kaum Beachtung findet. 1975 überfiel Marokko das südlich gelegene Nachbarland Westsahara, ein Gebiet von der Größe Großbritanniens. Seitdem hält das Königreich rund drei Viertel militärisch besetzt und hat dort eigene Landsleute angesiedelt. Seit 1991 überwachen Blauhelmsoldaten den mühsam ausgehandelten Waffenstillstand zwischen der Besatzungsmacht Marokko und der politischen und militärischen Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario. Die hatte dem Gewaltverzicht damals nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die rund 75.000 angestammten Bewohner der Westsahara, die Sahraui, in einem Referendum über ihre Unabhängigkeit abstimmen dürfen. Geschehen ist seither nichts. Marokko verweigert die Volksabstimmung und behandelt das Gebiet wie eine seiner Provinzen.
Europas uneinheitliche Position
Von Frankreich brauchte Marokko dabei keine offene Kritik zu fürchten. Jetzt droht die Mali-Krise, die festgefahrene Situation zusätzlich zu belasten. Denn der Westen setzt in seinen Beziehungen zu den Staaten im Norden und Westen Afrikas mehr denn je auf Stabilität. "Man braucht momentan Marokko, das ist das große Problem. Frankreich hat das sehr deutlich gemacht, als es sich ausdrücklich und herzlich für Überflugrechte während des Mali-Einsatzes bedankt hat", fasst Ulrich Delius von der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker die Situation zusammen. "Und da wird Frankreich momentan Marokko nicht vor den Kopf stoßen mit der Forderung nach mehr Verhandlungsbereitschaft in der Westsahara." Deutschland dagegen habe immer wieder deutlich gemacht, dass es auf der völkerrechtlichen Klärung durch ein Referendum bestehe und das Gebiet nicht als marokkanisches Hoheitsgebiet anerkennen werde. "Und das ist eigentlich so, wie wir es uns als Menschenrechtler wünschen." Gegen Frankreich setze sich die Bundesregierung allerdings nicht deutlich genug durch, so Delius.
Desolate Zustände in Flüchtlingslagern
Dabei könnte gerade das Referendum in der Westsahara eine Radikalisierung aufhalten: Der Widerstandsbewegung Frente Polisario werden seit längerem Kontakte zu den Islamisten in Algerien nachgesagt, die nun auch im Norden Malis aktiv sind. Algerien hat viele Flüchtlinge aus der Westsahara aufgenommen: Rund 150.000 Menschen leben dort in Lagern - meist unter desolaten Bedingungen. Einige hätten sich radikalisiert und unterstützten aktiv die algerischen Jihaddisten, berichtet die afrikanische Wochenzeitschrift Jeune Afrique. Ulrich Delius warnt hier zwar vor Pauschalierungen, "aber definitiv ist die junge Bevölkerung in diesen Flüchtlingslagern in Tinduf im Süden Algeriens wenig hoffnungsvoll, was die Zukunft angeht." Es reiche aus, dass sich drei oder vier von den mehr als hunderttausend Menschen aus den Lagern einer Terrorbewegung anschlössen, um den Eindruck zu erwecken, alle Sahraui seien radikale Islamisten.
EU toleriert fragwürdiges "made in Marokko"
Während sich Algerien als Schutzmacht der Sahrauis versteht, versucht Marokko sein Defizit an demokratischer Legitimität seit einigen Jahren wettzumachen: Es behandelt das von ihm kontrollierte Gebiet als Teil seines Königreichs und wirbt Investoren an. Menschenrechtsorganisationen kritisieren allerdings, dass die Saharauis vom Wirtschaftswachstum nicht viel abbekämen: Die marrokanischen und französischen Firmen stellten vor allem eigene Arbeiter ein, die Gewinne würden an den Einheimischen vorbei nach Marokko abfließen. Dass das Königreich überdies gegen geltendes Völkerrecht verstößt, ficht es nicht an - ebenso wenig wie seine Handelspartner: Die Europäische Union etwa hat das besetzte Gebiet nicht von seinem Freihandelsabkommen mit Marokko ausgenommen. So landet zum Beispiel Gemüse mit der Herkunftsbezeichnung "Marokko" in europäischen Supermarkt-Regalen - obwohl es de facto in der besetzten Westsahara angebaut wurde.
Ähnlich problematisch verhält es sich mit einem großen Windkraftwerk, das der deutsche Konzern Siemens plant. In einer Presseerklärung hatte das Unternehmen vor einem Jahr mitgeteilt: "Das Windkraftwerk Foum El Oued wird im windreichsten Gebiet Marokkos im Bezirk Laâyoune, neun Kilometer südöstlich vom Hafen Laâyoune, in Südmarokko errichtet." Übersehen wurde dabei - willentlich oder nicht - dass sich die Stadt El Oued im besetzten Gebiet der Westsahara befindet. "Siemens macht sich die Sichtweise der Marokkaner zu eigen, dass die Westsahara zu Marokko gehören würde. Damit erschwert Siemens den Friedensprozess und fällt den Vereinten Nationen in den Rücken", sagt Axel Goldau, Journalist und Vorsitzender des kürzlich gegründeten Vereins Freiheit für die Westsahara, der sich für das Selbstbestimmungsrecht der Sahraui engagiert. Siemens setzt sich damit auch über die Position Deutschlands in dieser Frage hinweg.
Die Vereinten Nationen kritisierten in ihrem letzten Bericht, dass die marokkanische Besatzungsmacht Folter gegen Häftlinge anwende, Demonstrationen gewaltsam auflöse und Zivilisten häufig vor Militärgerichte stelle, wo ihnen ein faires Verfahren verwehrt bleibe. Der UN-Sondergesandte Christopher Ross warnte kürzlich vor der Gefahr der Radikalisierung in der Westsahara. Auch er weiß: Der Frust unter den Bewohnern der Westsahara ist groß. Mit dem Waffenstillstand von 1991 haben sie ihren Teil der Abmachung eingehalten - Marokko nicht.