Humboldt Forum: Hotspot der Debatten
19. Juli 2021Noch riecht alles neu im beeindruckend großen Humboldt Forum. Am Ufer der Spree zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz, wo einst das Berliner Stadtschloss stand, dessen kriegszerstörte Reste 1950 gesprengt und durch den DDR-Palast der Republik ersetzt wurden, ragt jetzt ein massiver Neubau in den Berliner Himmel. Gärtner haben die Pflanzenbeete noch vor wenigen Stunden großzügig mit Dünger versorgt. Zwei junge Leute scherzen im Vorbeigehen über den Wiederaufbau von Erichs Lampenladen, wie der abgerissene Republikpalast im Volksmund hieß.
Viel Prominenz hatte sich dort zur feierlichen Eröffnungszeremonie eingefunden. Beschlossen 2002 vom Deutschen Bundestag, sollte der Kulturkomplex eigentlich schon 2019, im Humboldt-Jubiläumsjahr, fertig werden. Doch es zog sich. Die Baukosten explodierten. Und nach der virtuellen Eröffnung im Dezember folgte jetzt Teil Zwei der Öffnung auf Raten: im Keller, Erdgeschoss und der ersten von drei Etagen.
"Arena demokratischer Streitkultur"
Das Forum sei "ein Museum neuen Typs, das die Tradition der Aufklärung und das Ideal des friedlichen Dialogs der Kulturen ganz im Sinne der Humboldt-Brüder erfahrbar mache", sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die den Bau gemeinsam mit Berlins regierendem Bürgermeister Michael Müller beim offiziellen Staatsakt seiner Bestimmung übergab. "Mit seinen Ausstellungen und Veranstaltungen wird es eine Bühne für Debatten, eine Arena demokratischer Streitkultur - für die Konfrontation unterschiedlicher Perspektiven", ergänzte die Ministerin. Damit empfehle sich Deutschland als Partner in der Welt, wenn es darum gehe, dem Fremden mit Neugier zu begegnen, statt es abzuwehren und abzuwerten.
Streit über Kuppelkreuz
Der italienische Stararchitekt Franco Stella hat dem Humboldt Forum, auf dem weithin sichtbar eine Kuppel mit Engelsfiguren und Kreuz thront, an drei Seiten eine rekonstruierte Barockfassade umgehängt. Ein goldgefasster Ausspruch von Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV (1795-1861) fordert die Unterwerfung der Menschheit unter das Christentum. Für Kritik sorgte im Vorfeld auch, dass ausgerechnet das Ethnologische Museum und das Dahlemer Museum für Asiatische Kunst in die Teil-Rekonstruktion eines Preußenschlosses einziehen sollen. Obwohl dieses doch für Kolonialmacht und Völkermord steht?
Viele sehen im Humboldt Forum ohnehin einen Hotspot der aktuellen Kolonialismus-Debatte. Und genau genommen ist es das auch: Kann man heute noch Kunstwerke und Artefakte ausstellen, die unter ungeklärten, womöglich kolonialen Bedingungen in deutschen Museen landeten? Die Frage steht wie ein Elefant im Raum.
Luf-Boot und Benin-Bronzen
Augenblicklich kreist die Debatte vor allem um die Benin-Bronzen, aber auch um ein Luf-Boot aus dem heutigen Papua-Neuguinea. Die wertvollen Metalltafeln und Skulpturen aus dem Königspalast von Benin, waren nach den britischen Plünderungen im Jahr 1897 zu Tausenden nach Europa und in die USA gelangt. Ein Teil kam über den Kunstmarkt in die Sammlungen deutscher Museen. Wegen dieses "Unrechts-Kontextes", so Kulturstaatsministeirn Monika Grütters gegenüber der Deutschen Welle, sei Deutschland bereit zur Rückgabe. Verhandlungen mit Nigeria laufen. Doch erst einmal sollen die Bronzen in zwei Sälen des Humboldt Forums gezeigt werden, ebenso das Luf-Boot.
"Deutschlands koloniale Vergangenheit, das war lange ein blinder Fleck in unserer Erinnerungskultur", sagt Grütters. Das soll sich nun ändern, auch dank des Humboldt Forums, das an diesem Dienstag mit einem Staatsakt eröffnet wird. Doch nicht als Ausstellungshaus im klassischen Sinn, wie Generalintendant Hartmut Dorgerloh betont, sondern als Begegnungsstätte und Experimentierfläche. Drei Kernthemen sollen sich in allen Programmen wiederfinden: Die Geschichte des Ortes, die Weltentdeckung der Humboldt-Brüder und schließlich die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und seinen Folgen. "Sicherlich werden hier komplexe und schmerzhafte Themen wie Raubkunst, Provenienzforschung oder Restitutionsfragen verhandelt", sagt Dorgerloh, "doch wir wollen uns sehr aktiv in diese Debatten einbringen."
Trotz seiner historisierenden Fassade setzt das Gebäude am Spreeufer auf Transparenz. Sichtachsen durchziehen den Schlüterhof und sorgen für Durchblick in angrenzende Stadtteile. Im Innern öffnen sich Kinosaal, Bühnen für Musik- und Tanz, Säle für Ausstellungen, Kongresse oder Symposien, ausgestattet mit neuester Veranstaltungstechnik. Unübersehbar hat das Humboldt Forum viel vor, und zwischen seinen hohen Mauern aber auch viel Platz – nämlich gut 40.000 Quadratmeter.
Elfenbein-Ausstellung zum Start
Was Dorgerloh meint, zeigt sich schon in der Eröffnungsausstellung "schrecklich schön – Elefant – Mensch - Elfenbein". Mit 200 Exponaten aus Museen in aller Welt, arbeitet die Schau die brutale Geschichte des Elfenbeinhandels auf. Atemberaubende Schnitzarbeiten erwartet das Publikum, und dazu ein breites Diskurs- und Filmprogramm. Dafür arbeitete das Humboldt Forum mit Museen und Fachleuten in aller Welt zusammen.
Eine Schau im Schlosskeller führt – zusammen mit einem Videopanorama und 35 über das Haus verteilten Präsentationen, in die Historie des Schlosses ein. In der Ausstellung "Nimm Platz!" können kleinere Kinder die Kulturtechnik des Sitzens spielerisch erkunden. Im ersten Obergeschoss haben die Ökologie-Ausstellung "Nach der Natur" der Humboldt Universität und die Schau "BERLIN GLOBAL" von Kulturprojekte Berlin und dem Stadtmuseum Berlin zur weltweiten Vernetzung der Hauptstadt ihre Pforten geöffnet.
Noch sind manche Vitrinen leer, warten Exponate verpackt auf ihre Präsentation oder sind noch gar nicht da. Doch architektonisch und programmatisch treffen sich im Humboldt Forum bereits das Gestern und das Heute. Im Museumsshop sind derweil Erinnerungsstücke zu haben: T-Shirts, Kaffeebecher, Kühlschrank-Magnete mit Schloss- oder Palastaufdruck, nachgebaute Deckenlampen aus dem Palast der Rupublik. Der Renner ist eine Postkarte, auf der steht: "Wilhelm, Alexander und ich".