Luf-Boot: Deutschlands grausamer Kolonialismus
16. Mai 2021Wie sehr Deutschland die Aufarbeitung seiner Kolonialgeschichte verdrängt hat, beweist sich jetzt an einem Boot. Es ist 16 Meter lang, prachtvoll verziert und weltweit einzigartig: Das Luf-Boot aus Papua-Neuguinea ist das größte und bekannteste Ausstellungsstück aus der Ozeanien-Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin. Klar, dass es prominent präsentiert werden soll, wenn voraussichtlich im Herbst 2021 das neue Humboldt Forum eröffnet.
2018, als man es vom alten Standort in Dahlem in die Stadtmitte überführte, sparte man sogar ein Loch in der Fassade des Berliner Stadtschlosses aus, um es hineinbefördern zu können. Ein Loch, das man wohlgemerkt, später zumauerte. Das Schiff lässt sich also auch nicht mehr so leicht hinausbefördern, was vielleicht in Zukunft eine Rolle spielen könnte.
Denn ähnlich, wie die ebenfalls für die Neueröffnung vorgesehenen Benin-Bronzen aus Nigeria, um die in den letzten Wochen und Monaten eine hitzige Restitutionsdebatte entbrannt ist, stammt das Luf-Boot aus einem kolonialem Unrechtskontext. Das beschreibt Götz Aly in seinem Buch "Das Prachtboot. Wie Deutsche Kunstschätze der Südsee raubten". Bekannt geworden ist der deutsche Historiker für seine Forschung über den Holocaust. Selbst als jemand, der mit Gewaltgeschichte vertraut sei, habe ihn das Ausmaß an Gewalt überrascht, mit dem die Deutschen Ende des 19. Jahrhunderts in ihren Kolonien wüteten. "Und es hat mich natürlich auch von diesem Bild abgebracht, das die Deutschen ja sehr gerne pflegen. Also, dass wir sagen, wir hatten nur ganz wenige Kolonien und hatten die eigentlich nur 40 Jahre lang. Und gemessen an dem, was die Engländer und Belgier da so über Jahrhunderte gemacht haben, war schon nicht so schlimm", so der Historiker im Interview mit der Deutschen Welle.
Aly hat Berliner Archive durchstöbert und herausgefunden, "wie viele kleine Lügen, Unwahrheiten und Halbwahrheiten kolportiert wurden zur Verschleierung der ganzen Geschichte". Und wie so oft in der Diskussion um Kunstgegenstände mit kolonialem Hintergrund ist die Sachlage alles andere als einfach.
Felix von Luschan, damals Direktor des Berliner Völkerkundemuseums - sozusagen der Vorgänger des Humboldt Forum -, erwarb das zweimastige Auslegerboot 1903 von dem Unternehmer Max Thiel. Dieser Kauf ist belegt. Doch auf welchem Wege Thiel an das Boot gelangte, dazu fehlen genaue Angaben. In den Archiven ist dazu lediglich zu lesen, dass "es in seine Hände gelangte".
Götz Aly konnte den Erwerb des Bootes nun mit einem Massaker in Zusammenhang bringen, das die deutsche Kolonialmacht 1882/83 an den Bewohnern der Insel Luf im Bismarck-Archipel verübte: "Sie müssen sich vorstellen, das ist eine sechs Quadratkilometer große Insel, auf der 400 Menschen lebten und die ist mit Kanonen aus zwei deutschen Kriegsschiffen beschossen worden", so Aly. "Und dann sind dort 350 deutsche Marineinfanteristen gelandet und haben diese Insel durchkämmt." Bei dieser "Strafexpedition", wie die kolonialen Raubzüge gemeinhin bezeichnet werden, seien alle Häuser niedergebrannt, die Schiffe zerschlagen, Frauen vergewaltigt und etliche Menschen ermordet worden. Einzig zwischen 50 und 100 Inselbewohner sei es gelungen, zu überleben. Diese bauten sich ein neues Boot: Eben jenes, das ihnen 20 Jahre später unter - wie nun bekannt wurde - fragwürdigen, eingangs erwähnten Umständen "abhanden kam" und seitdem Teil der Berliner Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist.
Bis zu Alys Buchveröffentlichung hatte es seitens der Stiftung und der Berliner Museen immer geheißen, das Boot sei rechtmäßig erworben worden. Im Interview mit der DW erklärt Alexis von Poser, Stellvertretender Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin, dass zwar zu diesem Boot geforscht worden sei, dass Götz Älys Buch noch mal Hinweise gegeben habe, die nun verfolgt werden müssten. "Er (Aly) hat nochmal in Archiven Dinge gefunden, die sich dort tatsächlich noch ergänzen lassen."
Längst überfällige Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte
Mit den Archiven spricht von Poser einen wichtigen Punkt an. Die meisten Texte sind handschriftlich in alter deutscher Schrift geschrieben, was für 99 Prozent der Nutzer schlicht nicht lesbar sei, so Aly. Für einen geübten Historiker wie ihn sei es indes kein Problem gewesen, die Schrift zu entziffern. "Wenn Sie so wollen, ist das, was ich da gemacht habe, externe Provenienzforschung, die sehr günstig ist." Er mache keine individuellen Vorwürfe - die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sei eine "verknöcherte, 140 Jahre alte Traditionsvereinigung", die wenn sie das Wort Provenienzforschung in den Mund nehme, immer so tue, als brauchte man "erst einmal fünf Millionen und 20 Stellen, bevor man mit der Recherche anfangen könne". Unter dem Druck von Historikern und Historikerinnen wie Bénédicte Savoy, die zu Raubkunst aus Afrika forscht, sei Bewegung in die Forschung gekommen. Beispielsweise haben sich deutschen Museen dazu verpflichtet, ab 2022 an Nigeria Kulturgüter, die sich in ihren Sammlungen befinden, zurückzugeben.
Insgesamt verfügt die Berliner Sammlung über 65.000 Exponate aus Ozeanien. Einige Exponate stammen nachweislich aus oben genannten kolonialem Raubzug. "Sie werden mit entsprechenden Texten versehen, um die Geschichten hinter den Objekten sichtbar zu machen", sagt Alexis von Poser auf DW-Anfrage. Desweiteren sei man im Gespräch mit den Herkunftsgesellschaften. Von Papua-Neuguinea, in dem das einstige "Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea" lag, seien bislang keine Rückgabeersuche eingegangen.
Es sei auch kaum vorstellbar, so von Poser, dass alle Stücke zurückgefordert werden würden. "Man darf sich jetzt ethnologische Sammlungen auch nicht vorstellen wie eine Ansammlung von Spitzenstücken und großen, wunderbaren Statussymbolen. Es sind Sammlungen von Alltagskultur." Man werde im Gespräch mit den Gegenüber, mit den Partnerinnen und Partnern aus den Herkunftsregionen schauen, was zurückgewünscht wird und was aber auch als Teil der Erzählung dieser gemeinsamen gewaltvollen Vergangenheit auch hier bleiben soll, um z.B. im Humboldt-Forum diese Geschichten auch erzählen zu können, so Alexis von Poser
Kunst im richtigen Kontext betrachten
Bei aller Kritik am Humboldt Forum und seiner Exponate aus kolonialem Kontext sieht Götz Aly auch eine Chance: Das Museum könne zu einem internationalen Diskussionsforum werden. Das setze aber voraus, dass Eigentumsansprüche aufgegeben werden müssten: "Wir sind die Treuhänder und wir setzen die andere Seite also, zum Beispiel den Staat Nigeria, rückwirkend als Treugeber ein. Und auf dieser Basis reden wir miteinander."
Auf den Fall des Luf-Boots bezogen wünscht sich der Historiker, dass zwei Doubletten von Zimmerleuten aus der Herkunftsregion angefertigt werden würden. Eine, um sie in Deutschland auszustellen, und eine zweite, um damit zu experimentieren: "Die (Schiffe) können gegen den Wind kreuzen, die sind ohne einen einzigen Nagel erbaut worden und trotzdem fest und hochseetüchtig." Aber wie man sie navigiere, darüber gebe es keine Aufzeichnungen. Das Luf-Boot in der Berliner Sammlung ist das letzte Schiff dieser Art, das einzige auf der Welt. "Es ist ein Weltkulturerbe und es stellt die europäische Kultur in den Schatten", so Götz Aly. Fest steht auch für ihn, dass es unbedingt erhalten werden muss.