"Hitlers 'Mein Kampf' muss gelesen werden"
26. März 2015Deutsche Welle: Herr Pöttker, in Los Angeles wird eine signierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" versteigert, Startgebot: 35.000 US-Dollar. Was halten Sie von solchen Auktionen?
Horst Pöttker: Das ist ein obszöner Devotionalienhandel. Ich halte gar nichts davon, aber ich weiß natürlich auch, dass man so etwas im Rahmen der Wirtschaftsfreiheit nicht verbieten kann.
Was man offenbar verbieten kann, ist die Veröffentlichung von Hitlers Hetzschrift in Deutschland. Zum 1. Januar 2016 läuft die Urheberrechtsfrist aus. Doch im vergangenen Sommer haben die Justizminister der Länder entschieden, die Verbreitung weiterhin zu verhindern. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung?
Man muss vorsichtig sein mit dem Wort verbieten. Verboten ist es nicht dieses Buch zu lesen, man kann es sich in Bibliotheken anschauen. Es gibt auch kein Strafgesetz, das verbietet, es nachzudrucken. Aber es gibt Urheberrechte und die liegen 70 Jahre lang bei dem Autor oder Urheber eines Werks. Nach dem Krieg wurden sie von den Alliierten vom Eher-Verlag auf den Freistaat Bayern übertragen. In einem guten halben Jahr sind die Rechte eigentlich frei. Wenn die Justizminister der Länder sich geeinigt haben den Nachdruck auf Deutsch und in Deutschland zu verhindern, müssten sie ein Gesetz machen, das die Verbreitung eines Nachdrucks verbietet. Das sehe ich bisher nicht.
Die Justizminister sagen, der Straftatbestand der Volksverhetzung reiche aus, um eine Veröffentlichung zu verhindern. Stimmen Sie dem nicht zu, dass es sich bei dem Werk um Volksverhetzung handelt?
Dem stimme ich insofern nicht zu als ich der Meinung bin, dass dieses Buch ein historisches Dokument ist. Es ist keine aktuelle politische Schrift. Man kann Schriften für verfassungsfeindlich erklären, die nach dem Inkrafttreten der Verfassung entstanden sind, was davor entstanden ist, sind historische Dokumente. Im Übrigen halte ich auch das Wort Hetzschrift für nicht ganz zutreffend, weil es in Teilen gar nicht so hetzerisch ist. Um zu verstehen, warum so viele Menschen in den 30er und auch schon 20er Jahren dem Nationalsozialismus gefolgt sind, ist die Kenntnis dieses Buchs nützlich. Ich halte nichts davon, den Deutschen diese Kenntnis vorzuenthalten. Der Bundespräsident Theodor Heuss hat schon in den 1950er Jahren gesagt, man sollte dieses Buch veröffentlichen, damit die Deutschen wissen, wie die Nazis gedacht haben und zu welchen Verbrechen sie fähig waren.
Was steht in "Mein Kampf"?
Die durchgehende Argumentation des Buches ist die Rassenideologie. Hauptsächlich geht es um den Kampf zwischen der germanischen und der jüdischen "Rasse". Die "jüdische Rasse" ist für Hitler der Hauptfeind, den man um der Selbsterhaltung der Germanen willen bekämpfen und vernichten muss. Man konnte also schon 1925, als dieses Buch erschienen ist, wissen, dass die Nationalsozialisten planten, die "jüdische Rasse" zu vernichten. Das Buch ist bis Kriegsende in einer Auflage von 13 Millionen verbreitet worden. Das Argument vieler Deutscher nach 1945, man habe von all dem nichts gewusst, wird dadurch hinfällig.
Das Institut für Zeitgeschichte in München arbeitet bereits seit Jahren an einer kommentierten Ausgabe. Möglicherweise wird diese Ausgabe nun nach viel hin und her doch Anfang 2016 erscheinen können. Ist das nicht die richtige Lösung, unkommentierte Ausgaben zu verhindern, kommentierte aber zu erlauben?
Wir brauchen keine historisch-kritische Ausgabe, schon gar nicht eine, für die viel Steuergeld ausgegeben wird, weil wir gar nicht so genau wissen müssen, was der Autor Hitler nun eigentlich wirklich gemeint hat. Historisch-kritisch bedeutet ja auch, verschiedene Schichten der Textentstehung nachzuvollziehen. Ist akribische Textphilologie hier wirklich wichtig? Meiner Meinung nach ist wichtig, dass eine breite Öffentlichkeit endlich von den Inhalten dieses Buchs erfährt und eine realistische Einschätzung davon entwickelt, auf kritischer Grundlage.
Sie selbst haben vor einigen Jahren an einer Kommentierung des Werkes für das Projekt "Zeitungszeugen" gearbeitet – bevor diese vom Bayerischen Finanzministerium verhindert wurde. Was war das Ziel von den "Zeitungszeugen", die Schrift des Diktators und Massenmörders Hitler zu publizieren?
Wir hatten drei Broschüren geplant mit Auszügen aus "Mein Kampf", die von mir kommentiert waren. Mein Ziel war, über dieses Buch aufzuklären und die Frage zu klären, warum so viele Deutsche dieses Buch gekauft und gelesen haben. Und warum sie dem, was darin stand, gefolgt sind. Ich wollte die scheinbar attraktiven Argumente Hitlers auf ihre Sinnhaftigkeit prüfen und zeigen, dass sie eben nicht sinnhaltig sind, weil sie in diesem Kontext nur die äußerst brutale rassistische Ideologie plausibel machen. Ich befürchte, dass in dem Moment, wo dieses Buch erscheint und alle die falsche Vorstellung haben, dass das ausschließlich eine krude Hetzschrift ist, der man das Böse an jeder Stelle sofort anmerkt, dass es da eine gewisse Attraktivität erhält. Man hätte es nicht so lange tabuisieren dürfen. Dem wollte ich durch die Publikation der Auszüge und die Erläuterungen entgegenwirken.
In anderen Ländern ist die Verbreitung von "Mein Kampf" gar kein Problem, siehe Versteigerung einer signierten Ausgabe in den USA. Wieso tun sich die Deutschen mit Hitlers Buch so schwer?
Dass man ausgerechnet in Deutschland mit dem Hilfsmittel der Urheberrechte verhindert, dass dieses Buch von vielen gelesen wird, ist absurd. Darin kann man ja fast die These entdecken, dass man die Deutschen für verführbarer hält als andere Nationen. Ich hoffe doch, dass unsere Politiker nicht dieser Meinung sind. Sondern dass sie den Deutschen 70 Jahre nach dem Ende dieses schrecklichen Regimes genug Mündigkeit zutrauen. Sie können das Buch in der ganzen Welt in Übersetzungen kaufen, seit den digitalen Technologien kommen sie ohnehin ganz leicht daran. Was da dieses geplante Verbot soll, ist mir unklar. Wer aus der rechten Ecke kommt, kann sich das Buch ohnehin beschaffen.
Das Interview führte Sarah Judith Hofmann.
Horst Pöttker ist Sozialwissenschaftler und war Professor für Journalistik an der Universität Dortmund. Seit seiner Emeritierung lehrt er an der Universität Hamburg.