"Mein Kampf" soll im Giftschrank bleiben
27. Juni 2014Seit Jahren erregt das Thema die Gemüter in Deutschland: Darf Hitlers Buch "Mein Kampf" in Deutschland wieder gedruckt und verkauft werden oder nicht? Und falls nein, zumindest als historisch-kritische Ausgabe? Von Bundestagsabgeordneten über den Zentralrat der Juden in Deutschland bis hin zum Deutschen Historikerverband sorgt das Thema wieder für Diskussionen. Denn der Urheberschutz endet 70 Jahre nach dem Tod des Autors, europaweit, im Falle von Hitlers "Mein Kampf" Ende 2015. Danach wird das Buch "gemeinfrei", was bedeutet, dass es grundsätzlich von jedem nachgedruckt und verbreitet werden kann.
Jetzt hat sich die Justizministerkonferenz auf ihrer Tagung in Binz auf Rügen dieser Frage angenommen und neu entschieden: Künftig soll mit bereits vorhandenen gesetzlichen Regelungen, die die Verfassung der Bundesrepublik und aller Minderheiten gegen Verfemung schützen, gegen die Publikation des Werkes vorgegangen werden. Und nicht allein auf der Basis des Urheberrechts.
Ein zunächst erwogenes spezielles Gesetz soll es demnach nicht geben. Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) erklärte, man sei sich einig, dass eine unkommentierte Verbreitung auch nach Ablauf der Schutzfrist verhindert werden soll. Was dies für eine kommentierte Ausgabe bedeutet, bleibt jedoch weiterhin unklar.
Hitlers Worte, aber kritisch kommentiert
Das Institut für Zeitgeschichte (IZF) in München arbeitet seit 2009 an einer historisch kommentierten Version. Dabei wird es vom Freistaat Bayern finanziell unterstützt. Bisher ist auch der Freistaat Bayern Inhaber der Urheber- und Verlagsrechte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Bundesland die Rechte erworben und seitdem dazu benutzt, Nachdrucke und damit die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts im In- und Ausland zu unterbinden.
Pünktlich zum Auslaufen des Urheberrechts für "Mein Kampf" wollten die Forscher des renommierten Münchner Instituts ihre Arbeit veröffentlichen und damit eine der großen Forschungslücken der Zeitgeschichte schließen. In Deutschland wird zwar viel über das Buch "Mein Kampf" gesprochen, aber es gibt kaum fundiertes Wissen: Obwohl es das einzige autobiographisch eingefärbte Dokument des NS-Führers ist, fehlen eingehende Analysen zu Entstehung, Struktur und vor allem zur Wirkung der Hetzschrift in seiner Zeit.
Mythos "Mein Kampf"
Bis heute hält sich die Legende von dem "ungelesenen Bestseller". Millionen hätten das Buch zwar gekauft (oder geschenkt bekommen), aber gelesen habe man es meist nicht. "Der Mythos vom ungelesenen Buch war ein Produkt vor allem von ehemaligen Anhängern Hitlers. Ein Mythos, der sich nach 1945 in die Rechtfertigungsstrategien der frühen Nachkriegsjahre einfügte und dort eine lang anhaltende Wirkung erzielte", urteilt der Historiker Othmar Plöckinger in seiner vor wenigen Jahren erschienenen Studie über die Geschichte des Buches -übrigens eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte.
Es wäre Aufgabe einer historisch-kritischen Ausgabe, auch diese Frage der Rezeptionsgeschichte zu klären. Diese Ansicht vertritt auch der Deutsche Historikerverband, der sich nun dafür einsetzt, dass eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte weiterhin möglich bleibt. Gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung hatte der Verband erklärt, eine solche Ausgabe sei nicht nur für die Forschung, sondern auch für eine aufgeklärte Geschichtskultur wichtig. Die Veröffentlichung einer kritischen Edition sei am besten geeignet, der gefährlichen Mythisierung von Hitlers "Mein Kampf" entgegenzuwirken.
Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatte die bayerische Staatsregierung allerdings angekündigt, die finanzielle Unterstützung des Forschungsvorhabens zu stoppen. Das Buch sei "volksverhetzend" und eine kritische Ausgabe im Namen Bayerns lasse sich nicht mit einem gleichzeitig angestrengten NPD-Verbotsantrag vereinbaren. Unterstützung hatte sie dabei von der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, bekommen: "Hitlers Machwerk ist von Hass und Menschenverachtung durchdrungen und erfüllt Experten zufolge den Tatbestand der Volksverhetzung."
Print versus Internet
Im Internet sind allerdings seit langem Auszüge aus Hitlers Kampfschrift frei verfügbar, ohne dass die Justiz viel dagegen unternehmen könnte. Auf legal in Deutschland operierenden Internetplattformen, wie ebay zum Beispiel, werden antiquarische Auflagen von "Mein Kampf" angeboten. Mit dem Unterschied, dass diese nicht kritisch kommentiert sind. Und in zahlreichen Ländern wird Hitlers Kampfschrift sogar ohne Einschränkungen im Buchhandel verkauft. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Verbot einer Printversion überhaupt noch zeitgemäß ist.
Die Debatte um eine kritische Edition des Buches stellt indes auch die entscheidenden politischen Fragen zum generellen Umgang mit "Mein Kampf": Sind die Deutschen fast sieben Jahrzehnte nach Krieg und Holocaust inzwischen staatsbürgerlich "reif" genug, sich von diesem Pamphlet nicht zu verführen zu lassen? Oder stellt dieses häufig als konfus bezeichnete und zugleich fraglos volksverhetzende Buch eine Bedrohung dar? Der Historiker und Autor der kürzlich erschienenen Biografie "Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs", Volker Ullrich, hatte im Zuge der Debatte um die Publikation bereits im vergangenen Jahr gegenüber der DW eine klare Position vertreten: "Dass von diesem Machwerk heute noch eine Gefahr ausgeht, ist eine absurde Vorstellung."