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Harders: "Ägyptens alte Garde ist zurück"

Nils Naumann16. August 2013

Straßenschlachten, Ausnahmezustand, Ausgangssperre. Das Militär hat die Macht übernommen. Es ist die Rückkehr des alten Mubarak-Regimes, sagt die Ägypten-Expertin Cilja Harders.

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Ägytische Polizei (Foto: REUTERS/Mohamed Abd El Ghany)
Bild: Reuters

Deutsche Welle: Hunderte Tote, der gewählte Präsident Mohammed Mursi in Haft, das Land im Ausnahmezustand – ist der Arabische Frühling in Ägypten gescheitert?

Cilja Harders: Nein, das glaube ich nicht. Aber er ist in Gefahr. Der Arabische Frühling hat Mubarak absetzen können. Seitdem erleben wir ein zähes Ringen zwischen den drei zentralen Kräften: dem Militär, den Islamisten und der säkularen Opposition.

Prof. Cilja Harders Uni Bochum
Harders: "Es gibt eine zivile Fassade"Bild: Cilja Harders

Der Großteil der ägyptischen Bevölkerung glaubt an die Ziele der Revolution. An Freiheit, Würde, soziale Gerechtigkeit, Wohlstand für alle.

Die Bevölkerung musste aber erleben, dass von all dem nur sehr wenig realisiert wurde. Und zwar sowohl unter der Militärherrschaft, die wir ja nach Mubaraks Fall schon hatten, als auch unter Mursi.

Was bleibt also vom Arabischen Frühling in Ägypten?

Es bleibt die Mobilisierung und Politisierung der Menschen. Ein Bewusstseinswandel. Der Glaube daran, dass Veränderung möglich ist.

Wer hat nach der Absetzung Mursis die Macht in Ägypten?

Das Militär. Es gibt eine zivile Fassade. Einen Übergangspräsidenten, einen Premier und einen Innenminister, die sich hundertprozentig hinter das Militär und gegen die Muslimbrüder stellen. Und sie sind bereit, massiv Gewalt anzuwenden.

Trauer um getötete Familienangehörige: Frauen in einer Moschee in Kairo (Foto: REUTERS/Amr Abdallah Dalsh)
Trauer um getötete Familienangehörige: Frauen in einer Moschee in KairoBild: Reuters/Amr Abdallah Dalsh

Die jetzige Eskalation mit schweren Menschenrechtsverletzungen gefährdet jede Form pluralen politischen Lebens. Wir müssen befürchten, dass das Militär alle politischen Rechte, alles was erkämpft wurde, wieder einschränkt.

Die Militärs denken im Moment, dass sie die Unterstützung der Bevölkerung haben. Sie versuchen, sich mit einem massiven Schlag der Muslimbrüder zu entledigen. Dafür nehmen sie unheimlich viel Gewalt gegen unschuldige Menschen in Kauf. Das ist aber eine Strategie, die so nicht mehr geht. Das kann langfristig nicht funktionieren. Dazu sind jetzt zu viele Menschen für die Muslimbrüder mobilisiert. Vielleicht ist es möglich, die Bewegung kurzfristig zu schwächen, durch eine hohe Brutalität. Das hat aber einen hohen Preis: die Spaltung der ägyptischen Gesellschaft.

Erleben wir die Rückkehr der alten Mubarak-Garde?

Ja, die alte Garde ist zurück. Das Militär hat eine ernsthafte Protestbewegung "gehijackt", gekapert und zur Durchsetzung seiner eigenen Ziele genutzt. Das ist alles sehr deutlich, wenn wir uns das Kabinett anschauen und die Sprache der Politiker.

Das Militär hat immer erklärt, es plane nicht, die Macht dauerhaft zu übernehmen. Wie glaubhaft ist das?

Im Moment nicht sehr glaubhaft. Für das Militär ist die Variante, so wie sie jetzt ist, sehr attraktiv. Es gibt eine zivile Regierung, aber die zentralen Entscheidungen werden durch das Militär kontrolliert.

Was sind denn die genauen Interessen des Militärs?

Das Militär ist ein Sicherheitsakteur und ein ökonomischer Akteur. Es kontrolliert wichtige Teile der ägyptischen Wirtschaft. Die Militärs besitzen sehr viel Grund und Boden, sie besitzen Einkaufszentren, sie haben große Investitionen in den Touristenzentren. Eigentlich widerspricht die Eskalation den Wirtschaftsinteressen des Militärs. Es braucht Ruhe damit die Touristen kommen und nicht eine Eskalation. Im Moment aber dominiert die Dämonisierung der Muslimbrüder als Gefahr für die nationale Sicherheit.

Das Militär hat sicherlich auch sehr kritisch auf Mursis Politik im Sinai geschaut. Dort gab es viele Angriffe auf die Sicherheitskräfte. Es gab den Eindruck, dass Mursi die Kooperation mit der palästinensischen Hamas wichtiger war, als der Schutz seiner eigenen Leute. Möglicherweise war das einer der Auslöser für die Intervention.

Wir sprechen immer von "dem Militär". Ist das Militär eigentlich ein homogener Block?

Die Führungsriege ist sozial und vom Hintergrund ziemlich homogen. Es gibt Familien, die seit Jahrzehnten im Militär sind, und da auch die Offiziersränge besetzen. Das ist eine politische Klasse für sich, schon seit Nassers Zeiten. Mittelklasse bis obere Mittelklasse. Über die Meinungen der einfacheren Ränge und der Wehrdienstleistenden wissen wir nicht sehr viel. Dissens wird aber hart bestraft.

Ein Demonstrant der Muslimbrüder in Kairo (Foto: REUTERS/Louafi Larbi)
Wollen nicht aufgeben: Die MuslimbrüderBild: Reuters

Die USA sind einer der wichtigsten Verbündeten Ägyptens. Die Amerikaner zahlen jedes Jahr mehr als eine Milliarde Dollar Militärhilfe. Sollten die USA ihre Militärhilfe einstellen?

Das wäre konsequent. Das Problem ist, dass man diesen Schritt nur einmal tun kann. Danach sind viele Kanäle der Einflussnahme geschlossen.

Die Frage ist – wie viel Einfluss haben die Vereinigten Staaten und Europa überhaupt? Das ägyptische Militär lässt sich nicht einfach von Washington steuern. Das Militär legt Wert auf seine Unabhängigkeit.

Auf der diplomatischen Ebene ist der Versuch des Westens, eine Verhandlungslösung zu erreichen gescheitert. Beide Konfliktparteien in Ägypten wollten sich nicht bewegen. Die Regierung hat immer klar gemacht, dass sie die Bemühungen des Westens als eine unwillkommene Einmischung von außen betrachtet. Die Einflussmöglichkeiten sind im Moment sehr begrenzt.

Prof. Dr. Cilja Harders leitet die Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients an der Freien Universität Berlin.