Hilfszahlungen als Druckmittel?
16. August 2013Nach dem gewaltsamen Vorgehen des ägyptischen Militärs gegen die Muslimbrüder stimmten die USA ein in den Chor, den eine Vielzahl von Regierungen und internationalen Organsationen bereits angestimmt hatte. "Die Vereinigten Staaten verurteilen die Schritte, die Ägyptens Übergangsregierung und die Sicherheitskräfte unternommen haben, aufs Schärfste", sagte Präsident Barack Obama vor seinem Ferienhaus in Massachusetts am Donnerstag (15.08.2013). "Wir verabscheuen Gewalt gegen Zivilisten." Obama betonte, die Menschenwürde müsse gewahrt werden, und dazu gehöre auch das Recht auf friedlichen Protest.
Staatsstreich oder kein Staatsstreich?
Angesichts Hunderter getöteter Menschen reiche ein so kurzes Statement nicht aus, so der Tenor in vielen Medien. Die London Times schrieb, dass "diese stille Duldung in der muslimischen Welt als stillschweigende Unterstützung wahrgenommen werden wird." Die New York Times verlangte, dass die USA ihre 1,3 Milliarden US-Dollar schwere Militärhilfe an Ägypten einstellen. Washington hat es allerdings durchweg vermieden, Mursis Sturz als einen Staatsstreich zu bezeichnen. In diesem Falle müsste der US-Kongress den Geldfluss nämlich automatisch stoppen.
"Die US-Regierung steht jetzt wirklich vor einem Konflikt", sagt Paul Rogers vom britischen Think Tank "Oxford Research Group" gegenüber der DW. "Es wäre ihr lieber gewesen, wenn die Muslimbruderschaft letztes Jahr nicht die Wahlen in Ägypten gewonnen hätte. Sie hätte lieber eine westlich eingestellte Regierung in Ägypten - auch wenn das bedeutet, dass die Macht praktisch beim Militär liegt." Rogers fügt aber hinzu, dass eine Unterstützung der ägyptischen Generäle auf lange Sicht kontraproduktiv für die USA sein könnte. "Wenn das Militär so eine Gewalt anwendet, wie wir sie jetzt sehen, mit der hohen Wahrscheinlichkeit einer Radikalisierung, dann ist das natürlich überhaupt nicht im amerikanischen Interesse", so der Sicherheitsberater.
"Wie ein schwerfälliges Tier"
Tarek Radwan, Vize-Direktor des Washingtoner Think Tanks "The Atlantic Council", findet die US-Reaktion auf die Ereignisse in Ägypten erbärmlich. "Mittlerweile haben sogar die Mitglieder der amerikanischen Regierung erkannt, dass ihre Strategien, egal ob Entwicklungshilfe oder andere Druckmittel, komplett gescheitert sind. Das zeigen die aktuellen Ereignisse", sagt Radwan im Gespräch mit der DW. "Es ist beinahe so, als ob die USA immer einen Schritt hinterher hinken. Sie sind wie ein schwerfälliges Tier, wenn es um Ägypten geht."
Radwan hält auch nichts von Obamas Ansage, gemeinsame Militärmanöver mit Ägypten auszusetzen. "Das hätte vielleicht ein Druckmittel sein können, bevor all das hier passiert ist", sagt er. Die USA hätten ihre Chance zur Einflussnahme verpasst, als Mursi am 3. Juli gestürzt wurde: "Das Einfachste wäre gewesen, sie hätten das, was da passiert ist, einen Staatsstreich genannt, und die Hilfen an Ägypten gestrichen. Das hätte den Generälen gezeigt, dass die USA es ernst meinen", so Radwan.
"Die USA haben sehr wohl Einfluss"
Auch andere Kommentatoren sind der Ansicht, dass die USA jetzt nur noch wenig Einfluss haben, weil sie nicht sofort entschieden handelten. "Die USA haben sich in diese unglückliche Lage hinein manövriert, weil sie den Staatsstreich nicht von Anfang an als einen solchen verurteilt haben", sagt Maza Azzam, Nahost-Expertin beim britischen Think Tank "Chatham House", gegenüber der DW. "Ihr Zögern gab dem ägyptischen Militär quasi die Erlaubnis, repressiv und brutal gegen die Demonstranten vorzugehen."
Dabei stellt sich Azzam gegen die Einwände der USA, sie könnten nur begrenzten Einfluss auf Ägypten ausüben. Schließlich erhielte Ägypten nach Israel die zweithöchste finanzielle Unterstützung von den USA. "Die Hilfszahlungen zu streichen wäre ein harter Schlag, weil das Militärregime und seine Unterstützer nicht von den USA oder der EU isoliert sein wollen", sagt die Expertin. "Für die Militärs wäre das ein herber politischer, finanzieller und psychologischer Rückschlag. Die Amerikaner haben also sehr wohl Einfluss, außerdem würden andere Nationen dem sofort folgen", so ihre Einschätzung.
Golf-Staaten und Russland könnten die Lücke füllen
Edward Turzanski vom amerikanischen Forschungsinstitut für Außenpolitik sieht die Sache weniger klar. Er meint, dass die große Bedeutung Ägyptens, speziell in der Beziehung des Landes zu Israel, die USA vor ein Dilemma stellt. "Es ist das größte arabische muslimische Land. Es ist der Dreh- und Angelpunkt der amerikanischen Nahost-Politik. Und die Camp David-Verträge, die die Feindschaft zwischen Ägypten und Israel beendet haben, sind wahnsinnig wichtig", sagt der Wissenschaftler. "Die Amerikaner wollen um jeden Preis vermeiden, dass sich Ägypten gegen Israel oder gegen amerikanische Interessen wendet."
Turzanski glaubt außerdem, dass die Golf-Staaten oder Russland die Lücke füllen würden, sollten die USA ihre finanziellen Hilfen für das ägyptische Militär kappen. "Niemand spricht offen darüber, und es ist natürlich das 'Worst Case Szenario', aber ich meine, dass Russland schon darauf bestanden hat, Assad gegen die Islamisten zu verteidigen", gibt Turzanski zu bedenken. "Warum sollte Putin dem ägyptischen Militär nicht sagen: 'Hört mal, auch wenn die Amerikaner sich von euch abwenden: Wir tun das nicht.'"