Harald Hauswald: Retrospektive in Berlin
15. September 2020Von versteinerten Gesichtern älterer Paare bis hin zu Punks mit stacheligen Igel-Frisuren hielten die Schwarz-Weiß-Fotos des deutschen Fotografen Harald Hauswald das alltägliche Leben in Ostdeutschland fest - vermutlich in größerem Umfang als die Arbeiten jedes anderen Fotografen.
Mehr als 250 seiner zwischen den späten 70er und Mitte der 1990er Jahre geschossenen Fotos werden jetzt in der Ausstellung "Harald Hauswald: Voll das Leben!" im Amerika Haus in Berlin gezeigt.
Eine 1300 Seiten starke Stasi-Akte
Nach seinem Umzug von Sachsen nach Ost-Berlin im Jahr 1977 hielt Hauswald alles und jeden mit seinem Objektiv fest, auch einsame Straßenszenen in der ostdeutschen Hauptstadt. Er verewigte damit ein Land, das gar nicht so recht zum Image des blühenden sozialistischen Staats passen wollte, wie es von der Führungsriege proklamierte wurde.
Als Musiker hatte Hauswald Zugang zu vielen Menschen, die in der Protestkultur-Bewegung gegen das Regime in Ostdeutschland rebellierten. Doch dieser Zugang hatte seinen Preis: Hauswald wurde zum meistüberwachten Fotografen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Der Staatssicherheitsdienst der DDR (kurz: Stasi) verfolgte jede seiner Bewegungen; selbst, wenn er eine Zigarette rauchte, bekam die Stasi das mit.
Einer der Kuratoren der Hauswald-Retrospektive, Felix Hoffmann vom Ausstellungshaus für Fotografie C/O Berlin, hat Wochen damit verbracht, Hauswalds Akte zu lesen. Das einst als höchst geheim eingestufte Dokumente ist heute, ebenso wie zahlreiche weiteren Akten, der Öffentlichkeit im Berliner Stasimuseum zugänglich. Hauswalds Akte umfasst 1300 Seiten und offenbart unzählige Details. "In diesen Akten des Stasi-Archivs kann man wirklich nachlesen, wann er einen Kaffee trank und in welche Person er sich verliebte", so Hoffmann im Gespräch mit der DW. "Ich bin noch immer verwundert darüber, dass er nicht verrückt wurde, da sie auch in seine Wohnung kamen und Sachen mitnahmen. Es gab sogar eine Liste, was sie einpackten, so was wie Bücher und Fotomaterial."
Eine politische Ausstellung
Hoffmann möchte ablenken von einem Gefühl der Unbeschwertheit, das einen überkommen kann, wenn man die Eigenheiten der DDR-Zeit überbetont: wie etwa die altmodische Kleidung oder den oft verspotteten Trabi, der heute als Kultauto gilt. "Nach über 30 Jahren könnte jemand sowas sehen und sich denken: 'Ah ja, das ist komisch, so war eben die DDR'."
Diesen Effekt möchte Hoffmann vermeiden, stattdessen will er Besucher mit der alltäglichen harten Realität im Osten konfrontieren - besonders mit der Hauswalds, dem als Alleinerziehenden von den Behörden sogar seine Tochter weggenommen wurde.
Denn 1987 veröffentlichte Hauswald in Westdeutschland ein Buch mit dem Titel "Ost-Berlin" - die offizielle Bezeichnung im sozialistischen Staat lautete aber "Berlin, Hauptstadt der DDR". "Die Stasi prüfte das ganze Buch und schrieb zu jedem von Harald publizierten Foto einen Kommentar. Und drei Monate später nahmen sie Haralds Tochter direkt von der Schule mit in eine Art Gefängnis", erklärt Hoffmann. Der Kurator war ergriffen, als er davon in der Akte las: "Ich denke, Die Ausstellung sollte daher nicht nur eine Geschichte über einen DDR-Fotografen sein, bei der wir nette Schwarz-Weiß-Bilder sehen, sondern es sollte eine politische Ausstellung sein."
Der beobachtete Beobachter
Hoffmann beschreibt Hauswald als den "beobachteten Beobachter". "Die Stasi machte Bilder von ihm, und er machte Bilder von einem Land”, sagt er. Besucher der Berliner Ausstellung müssen diese durch einen Raum betreten, der Hauswalds Stasi-Akte gewidmet ist. Die Idee dahinter ist, dass sie direkt damit konfrontiert werden, wie der Fotograf lebte und arbeitete und dass jede seiner Bewegungen überwacht wurde.
Unklar ist, warum die Behörde mit der Überwachung des Fotografen schon in den späten 70ern begann. Hauswald kommt aus einer kleinen Stadt nahe Dresden, und es gibt kein offensichtliches Motiv, warum er damals bereits unter Verdacht stand. Hoffmann vermutet, es könne mit Hauswalds langgehegtem Interesse an der Musikszene und seinen Verbindungen zu denjenigen, die sich mit Westmusik beschäftigten, zusammenhängen.
Zwischen 1985 und 1987 veröffentlichte Hauswald unter einem Pseudnonym Fotoreportagen in westdeutschen Zeitungen und Zeitschriften, doch die Stasi-Beamten waren auch darüber im Bilde - weil sie 40 Informanten hatten, die ihn überwachten, sagt Hoffmann: "Sie versuchten herauszufinden, wie er bezahlt wurde, und das Geld zu finden." Vergebens, denn Hauswald setzte eher auf Tauschhandel. "Er publizierte die Fotos in Westdeutschland und bekam im Gegenzug eine Kamera oder Zubehör", erklärt der Kurator.
Mitbegründer der berühmten Agentur Ostkreuz
Als die DDR 1990 der Bundesrepublik beitrat, begründete Hauswald mit Berufkollegen eine der angesagtesten Fotografen-Agenturen: die Agentur OSTKREUZ. Ihr gehören Fotografen aus dem ganzen Land an. Die Agentur erlangte Bekanntheit für ihren authentischen dokumentarischen Fotografie-Stil.
Die Ausstellungskuratoren, zu denen neben Hoffmann Ute Mahler und Laura Benz von Ostkreuz gehören, arbeiteten sich durch Hunderttausende Negative. Sie wählten jene Fotos aus, von denen sie glauben, dass sie Hauswalds Werk am besten repräsentieren. Die Auswahl zog sich fast über drei Jahre.
Bis Ende des Jahres 2020 will der Verein für Fotografie Ostkreuz außerdem sicherstellen, dass 7500 von Hauswalds Filmrollen konserviert werden. Circa 6000 Einzelfotos sollen als Teil eines Projekts digitalisiert werden, das von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur finanziert wird. Der "beobachtete Beobachter" liefert sicherlich wichtige Erkenntnisse über diese Zeit.
Adaption: Verena Greb
Die Hauswald-Retrospektive, die von der gemeinnützigen Stiftung C/O Berlinveranstaltet wird, läuft bis zum 23. Januar 2021.