Hambacher Forst: DW-Faktencheck
5. Oktober 2018Stehen die Kohlekraftwerke ohne Rodung bald still?
Nein. Im Augenblick ist die Kante des Tagebaus Hambach über 300 Meter vom Wald entfernt, meist deutlich über 400 Meter. Die Bagger bewegten sich in den letzten Jahren weniger als 120 Meter pro Jahr in Richtung Wald. Bei gleichbleibender Fördermenge wäre damit noch genügend Kohle für mindestens drei Jahre vorhanden.
Auch könnte der Tagebau nach Einschätzung von Experten so gestaltet werden, dass der Wald noch zusätzlich sechs weitere Jahre geschont werden könnte und dies bei gleichbleibendem Kohlebedarf für die Kraftwerke.
Zu rechnen ist allerdings mit einem geringeren Kohlebedarf. Bis 2019 gehen drei alte Kraftwerksblöcke in die sogenannte Sicherheitsreserve. Diese Kraftwerke werden vom Tagebau Hambach versorgt und produzieren nur noch im äußersten Notfall Strom. Der Bedarf an Braunkohle wird folglich auch ohne Kohleausstieg somit in den nächsten Monaten sinken.
Wäre eine Rodung überhaupt rechtens?
Derzeit prüft das Oberverwaltungsgericht Münster, ob der Wald nach EU-Richtlinien schützenswert ist und deshalb nicht gerodet werden darf. Damit RWE nicht vorschnell Fakten schaffen konnte, hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) mit einem Eilantrag einen vorläufigen Rodungsstopp erwirkt. Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied, dass RWE bis zu einem Urteil des Gerichts warten muss und vorher nicht roden darf. Gerechnet wird mit einer Entscheidung des Gerichtes erst in einigen Monaten.
Doch selbst wenn das Gericht sich in dann zugunsten von RWE entscheiden sollte und eine Rodung des schützenswerten Waldes im Grundsatz rechtens sei, muss sich der Konzern dann an die Auflagen für den Betrieb des Tagebaus halten. Zu dieser Auflage gehört, dass Wälder möglichst lange geschützt werden müssen und erst dann gerodet werden dürfen, wenn dies für den Betrieb des Tagebaus unerlässlich ist.
Rechtmäßig sind laut dieser Bestimmung Rodungen mit einem Vorlauf der Baggergeschwindigkeit von gut zwei Jahren. Bis zu einer Entfernung von 300 Metern von der heutigen Tagebaukante wäre somit eine Rodung rechtlich erlaubt, wenn dies für den Betrieb des Tagebaus unerlässlich ist.
Doch die Entfernung zwischen Tagebaukante und Waldrand liegt meist deutlich über 300 Metern. RWE will den Wald sogar in einer Entfernung von bis zu 1000 Metern roden.
RWE konnte der DW trotz Nachfragen keine Belege vorlegen, dass die geplante Rodung in dieser Größenordnung rechtmäßig und auch unerlässlich sei. Konkrete Fragen dazu wurden nicht beantwortet. Es ist also gut möglich, dass sich die Gerichte mit dieser Rechtsfrage eventuell auch noch beschäftigen müssen. Eine Rodung ist somit bis mindestens Oktober 2019 sehr unwahrscheinlich.
Mehr dazu: Verstößt geplante Rodung gegen das Recht?
Keine Chance für den Hambacher Wald?
Der Hambacher Wald sei ohnehin "nicht mehr zu retten", sagte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz in einem Interview gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger, "egal was die Kohlekommission entscheidet." Ein Erhalt des Waldes sei technisch "nicht möglich", weil die Erdmassen unter dem Wald für die Stabilisierung von Böschungen gebraucht würden.
Laut DW Recherchen stimmt diese Aussage nicht. Ein in der Braunkohlewirtschaft arbeitender Bergbauingenieur, der nicht namentlich genannt werden wollte, versicherte gegenüber der DW, dass Uferböschungen von der Innenseite der Grube aus stabilisiert werden können, eine Ausweitung der Tagebaugrenzen und die damit verbundene Rodung des Waldes sei dafür nicht notwendig.
Auf diese Technik greift RWE an anderen Stellen des Hambacher Tagebaus auch zurück, wie Satellitenbilder belegen. Der Experte erläuterte außerdem, in Hambach sei die Böschung nahe des Waldes ohnehin sehr flach und ihre Sanierung nicht besonders aufwendig.
Passt Kohlestrom zu den Klimazielen?
Klimawissenschaftler mahnen eindringlich zur Eile. Es bleibt der Menschheit nur wenig Zeit, die Erderwärmung auf unter zwei Grad, vorzugsweise 1,5-Grad, zu begrenzen. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung (SRU) fordert aus diesem Grund auch einen sehr zügigen Kohleausstieg. Die Experten rechneten genau aus, wie viel CO2 Deutschland insgesamt in den nächsten Jahrzehnten überhaupt noch ausstoßen darf, damit die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt werden kann und was dies konkret für die Stromgewinnung aus Braun- und Steinkohle bedeutet.
Das Ergebnis: Geht alles so weiter wie bisher geplant, dann wäre das sogenannte CO2-Budget für die Produktion von Strom aus Kohle schon Ende 2023 komplett aufgebraucht. Kohle dürfte dann nicht mehr verstromt werden.
Bei einem jetzt sehr zügig eingeleiteten Kohleausstieg gäbe es allerdings etwas mehr Zeit und das CO2-Budget wäre erst 2033 aufgebraucht.
Für die Einhaltung des 1,5-Grad Ziels entwickelten Fraunhofer Energiewissenschaftler einen Kohleausstiegspfad für Deutschland. Demnach läge das Enddatum der Kohlekraft bei 2030 und der Hambacher Wald bliebe auch verschont.
RWE lehnt die Empfehlung des SRU zur Einhaltung des zwei-Grad-Ziels ab und will noch deutlich mehr Kohle verstromen und CO2 in die Atmosphäre blasen. RWE orientiert sich bei seiner Strategie an einer Politik, die zu einer Erderwärmung von über drei Grad führt.
Mehr dazu: Braunkohle vom Hambacher Forst wird nicht mehr gebraucht
Wer forciert die Eskalation im Wald?
RWE hält an seinen Rodungsplänen fest und wird von der Landesregierung NRW dabei tatkräftig unterstützt. Baumhäuser werden mit Hilfe der Polizei abgerissen und die Klimaaktivisten inhaftiert.
Der Journalist Steffen Meyn dokumentierte die Polizeiaktionen von einem Baumhaus. In einer Situation hatte er sich bei seiner Arbeit nicht abgesichert, stürzte in die Tiefe und verlor dabei sein Leben.
Die Klimaaktivisten sorgen sich sehr um die Zukunft des Planeten, fordern einen konsequenten Klimaschutz und deshalb den Stopp von Strom aus Braunkohle. Von einer breiten Klimabewegung werden sie bei dem Engagement unterstützt. RWE stellt sich diesen Zielen entgegen.
Die Situation in und um den Wald ist meist friedlich. Trotzdem gibt es auch Gewalt und Eskalation. Einige Polizisten zeigen sich rabiat und sprühen Pfefferspray in die Gesichter von Demonstranten und Waldbesetzern. Andere Polizisten zeigen sich hingegen friedfertig und auch Sympathie für diese Klimabewegung. Andererseits wurden bei einer Räumung von Baumhäusern Polizisten mit Fäkalien aus der Höhe beworfen.
Laut Polizeiangaben gab es auch nachts Attacken auf Polizisten mit Zwillen und Steinen. Festnahmen von diesen Angreifern gab es allerdings nicht. So ist auch nicht bekannt, wer dafür verantwortlich ist. Es könnten militante Klimaaktivisten sein oder auch Provokateure, die versuchen die Bewegung der Waldbesetzer als gewalttätig zu diskreditieren. Beides ist bisher Spekulation.
Attacken gibt es aber auch gegen die Protestbewegung. So wurden zum Beispiel zwei Fahrzeuge der Umweltschützer in Brand gesetzt. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln wegen Brandstiftung.