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Kohleausstieg: Die Uhr tickt

19. September 2018

Derzeit berät die Regierungskommission über das Tempo des Kohleausstiegs. Laut Klimaforschern muss der Ausstieg jedoch zügig umgesetzt werden, damit Deutschland seinen Anteil am Zwei-Grad-Ziel noch einhalten kann.

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Eisbär auf kleinen Eisscholle
Bild: picture-alliance/H. Bäsemann

Klimaforscher drängen auf einen zügigeren Kohleausstieg. Zumindest dann, wenn sich Deutschland seinen Klimazielen noch verpflichtet fühlt.

Wie die Erderwärmung funktioniert, ist reine Physik: Klimagase wie Kohlendioxid, Methan und Lachgas reichern sich in der Erdatmosphäre an und sorgen dafür, dass weniger Wärmestrahlung ins Weltall entweicht. Die Erde heizt sich somit auf.

Das wichtigste Treibhausgas ist Kohlendioxid (CO2) und dies baut sich in der Atmosphäre nicht ab. Um die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen, vorzugsweise auf unter 1,5 Grad, beschloss die Weltgemeinschaft das UN-Klimaabkommen, 2016 trat es in Kraft. Darin verpflichten sich die Staaten, ihre Treibhausgasemissionen schnellstmöglich zu senken, damit die gesetzten Klimaziele noch erreicht werden können.

Infografik CO2 Emissionen müssen sinken (Sperrfrist: 28.06.2017 19:00:00) DEU

Nicht mehr viel Platz für CO2 in der Atmosphäre

Klimaphysikern ist inzwischen weitgehend bekannt wie viel CO2 und andere Klimagase die Atmosphäre insgesamt noch aufnehmen kann, damit die Erdtemperatur wahrscheinlich nicht über zwei Grad oder 1,5 Grad Celsius steigt.

Aus dieser errechneten Restmenge ergibt sich das sogenannte CO2-Budget, das der Weltgemeinschaft noch bleibt. Wird das verbleibende CO2-Budget in der Atmosphäre überschritten, so heizt sich die Erde über zwei Grad auf - mit verheerenden Folgen für die gesamte Menschheit. Die ersten Anzeichen vom Klimawandel werden derzeit bei einem Grad Erderwärmung schon spürbar.

Wie viel CO2 darf Deutschland noch emitieren?

Um die Erderwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent auf zwei Grad zu begrenzen, bleibt laut Sachverständigenrat der Bundesregierung (SRU) heute noch ein weltweites Restbudget von rund 700 Milliarden Tonnen CO2. Zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels ist das verbleibende Restbudget schon viel stärker begrenzt und liegt laut SRU bei nur noch rund 140 Milliarden Tonnen CO2. 

Braunkohle-Kraftwerk Niederaußem von RWE
Bei der Stromerzeugung mit Braunkohle wird besonders viel CO2 freigesetztBild: picture alliance/Geisler-Fotopress

Der SRU rechnete anhand von Bevölkerungszahlen aus, wie viel CO2 Deutschland laut Klimaabkommen in den nächsten Jahrzehnten maximal noch in die Erdatmosphäre einbringen darf, damit das Zwei-Grad-Ziel nicht überschritten wird. Die historischen Emissionen von Deutschland berücksichtigte der Sachverständigenrat bei den Berechnungen nicht.

Insgesamt verbleibt demnach für Deutschland ab 2019 noch ein Restbudget von rund 6,6 Milliarden Tonnen CO2 in den kommenden Jahrzehnten. Emittiert Deutschland die gleiche Menge CO2 wie bisher, so wäre dieses Budget schon in sieben Jahren aufgebraucht.

Kohleausstieg muss zügig umgesetzt werden

Aus dem deutschen CO2-Budget errechnete der SRU auch das Restbudget für die Kohlekraft. "Damit Deutschland einen angemessenen Beitrag zu den globalen Klimazielen leisten kann, dürfen die Gesamtemissionen der Kohleverstromung in Deutschland bis zum endgültigen Ausstieg 1,5 Milliarden Tonnen CO2 (ab 1. Januar 2017) nicht überschreiten", sagt SRU-Mitglied Prof. Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Durch die anhaltend hohe Kohleverstromung reduziert sich somit das verbleibende CO2-Budget für die Kohlekraft ab 2019 auf nur noch eine Milliarde Tonnen CO2. Bliebe die Kohlekraft wie bisher geplant weiter am Netz (business as usual), wäre das verbleibende Budget für die Kohlekraft somit schon Ende 2023 komplett aufgebraucht (siehe Grafik). Den Mitgliedern der Kohlekommission hatte Lucht die Zusammenhänge zwischen Zwei-Grad-Ziel und Kohleausstieg am Dienstag (18. September) erklärt.

Infografik Wie viel CO2 darf Kohlekraft für 2-Grad-Ziel noch ausstossen? DE

Der Sachverständigenrat empfiehlt der Bundesregierung  jetzt möglichst schnell mit dem Kohleausstieg zu beginnen. Dies würde die Kosten senken und gebe allen Beteiligten mehr Zeit, erklärt Ratsmitglied Prof. Claudia Kemfert. "Wenn wir jetzt zügig die ältesten und ineffizientesten Anlagen vom Markt nehmen, können wir die restlichen Kohlekraftwerke länger laufen lassen und damit Kosten senken sowie die Versorgungssicherheit erhöhen."

Energieökonomin Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat Pfade für den Kohleausstieg errechnet und bezeichnet diese, wie andere Forscher auch, als technisch machbar und "wirtschaftlich vorteilhaft". Die hohen Schäden, die durch die Kohleverstromung der Volkswirtschaft entstehen, ließen sich so erheblich reduzieren.

Darüber hinaus könnte laut DIW der Kohleausstieg durch die früher endende Braunkohlegewinnung so gestaltet werden, dass "weder im Tagebau Garzweiler II weitere Ortschaften, noch der aus naturschutzrechtlichen Gründen erhaltenswerte Wald im Tagebau Hambach weichen müssen."

Die Deutsche Welle bat auch die Landesregierung von NRW und den Kohlekonzern RWE um eine Stellungnahme zur Position des Sachverständigenrats. Die Landesregierung will sich zum verbleibenden CO2-Budget für die Kohlekraft konkret nicht äußern. Sie verweist darauf, dass die Kohlekomission das Budget nicht als einzelnen Aspekt, sondern mit Blick auf Strukturwandel und Arbeitsplatzeffekten diskutiert. Der Gesamtzusammenhang müsse deshalb berücksichtigt werden.

Der Energiekonzern RWE lehnt den vom Sachverständigenrat verwendeten Budgetansatz klar ab. Er "ist weder Grundlage der europäischen noch der deutschen Politik. Vielmehr hat die Bundesregierung einen derartigen Ansatz verworfen", antwortet Konzernsprecher Lothar Lambertz. 

Die aktuellen Planungen "zur weiteren Fortführung der Braunkohleverstromung" sehe RWE im Einklang mit den freiwilligen Minderungszusagen der EU Mitgliedstaaten im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens. Nach Berechnungen von Klimaforschern und laut UN-Klimareport wird sich die Erdtemperatur durch die freiwilligen Minderungszusagen aber um mindestens drei Grad erhöhen.

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion