Täuscht RWE die Öffentlichkeit?
2. September 2018Die kürzlich vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) veröffentlichten Dokumente sind brisant: Täuschen der Energieverorger RWE und RWE-Chef Ralf Martin Schmitz die Kohlekommission, Ministerien und Öffentlichkeit? Will der Konzern ohne dringende Notwendigkeit den schützenswerten Hambacher Altwald trotz massiver Proteste noch schnell roden?
Worum geht es genau?
Derzeit tagt regelmäßig die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung. Im Auftrag der Bundesregierung sollen die 31 Kommissionsmitglieder bis zum Jahresende einen Vorschlag für einen Kohleausstieg erarbeiten. Dieser soll sozialverträglich sein, einen Strukturbruch vermeiden, also dass etwa bestimmte Regionen durch Arbeitslosigkeit besonders schwer getroffen werden, und er soll die gesetzten Klimaziele im Rahmen des Pariser Klimaabkommens erreichen.
Nach Angaben des Sachverständigenrates der Bundesregierung und anderer Studien kann Deutschland seine Klimaziele nur durch einen zügigen Kohleausstieg erreichen.
Zu erwarten ist, dass deshalb auch die Kohlekommission einen schnellen Kohleausstieg befürworten wird.
Mehr dazu: Deutschland könnte Klimaziele problemlos erreichen
RWE will die Ergebnisse der Kohlekommission allerdings trotz zahlreicher Appelle nicht abwarten und hält an seinen bisherigen Abbauplänen im rheinischen Braunkohlerevier fest. Im Zentrum der Kritik steht vor allem die angestrebte Rodung des ökologisch wertvollen Altwaldes am Rand des großen Tagebaus Hambach.
RWE behauptet in Schreiben an die Kohlekommission, an Ministerien und Presse, dass die Rodung des umstrittenen Hambacher Forstes notwendig sei, damit die Kraftwerke die Stromproduktion zeitnah aufrechterhalten können. "Eine vorübergehende Aussetzung der für Oktober 2018 geplanten Rodung im Tagebau Hambach würde bereits kurzfristig die Fortführung des Tagebaus und damit die Stromerzeugung der Kraftwerke Niederaußem und Neurath in Frage stellen", schreibt RWE-Chef Rolf Martin Schmitz an die Vorsitzenden der Kohlekommission. Das Schreiben liegt der DW vor.
Alles dreht sich um die Abbaukante
Als Grund für diese umstrittene Rodung nennt Schmitz zwei Sachzusammenhänge: Zum einen sei die Abbaukante des Tagebaus auf "rund 300 Meter" an den Wald herangerückt. Die Abbaukante ist quasi der Rand des Tagebaus. Diese Kante rückt pro Jahr um "circa 150 Meter" weiter. Demnach wäre die Kante des Tagebaus in zwei Jahren am Rand des umstrittenen Waldes angekommen. Laut RWE gäbe es ohne Rodung folglich noch einen Kohlenachschub für die angeschlossenen Kraftwerke von etwa zwei Jahren.
Der BUND veröffentlichte jetzt allerdings Dokumente, die diese Angaben in Frage stellen. Aus einer RWE-Karte von Juni 2018 geht beispielsweise hervor, dass der Abstand zwischen Abbaukante und Wald tatsächlich zwischen 310 und 510 Meter liegt, im überwiegenden Bereich des Waldes bei "mehr als 400 Metern".
Mit Hilfe von Fotos von Google Earth weist der Umweltverband zudem nach, dass die Abbaukante in der Vergangenheit nur um knapp 120 Meter pro Jahr Richtung Wald vorgerückt war.
Nimmt man diese Dokumente als Grundlage, so würde die Abbaukante des Tagebaus bei gleichbleibendem Kohleabbau den Waldrand erst nach über drei Jahren erreichen. Der Nachschub für die Kraftwerke wäre also demnach für über drei Jahre gesichert.
Beschließt die Bundesregierung jedoch bald eine zeitnahe Reduktion des Braunkohlestroms, so würden die Bagger den Waldrand erst später erreichen. Auch könnte bei einem entsprechenden Beschluss eine weitere Rodung des Waldes sogar überflüssig werden oder nur noch eingeschränkt nötig sein.
Empörung über tolerante Rechtsauslegung
Laut dem genehmigten Hauptbetriebsplan sind Wälder und andere Naturräume am Tagebau Hambach "in ihrer ökologischen Funktion möglichst lange zu erhalten" und Rodungen "auf das betrieblich erforderliche Maß zu beschränken". Erlaubt sind laut dieser Bestimmung deshalb lediglich Rodungen auf einer Fläche, die dem Fortschreiten der Bagger in einem Zeitrahmen von zwei Jahren entsprechen. Bei einem Tagebaufortschritt von 120 Metern pro Jahr läge demnach die Rodungsgrenze bei 240 Metern.
Andreas Nörthen, Pressesprecher der Bezirksregierung Arnsberg, bestätigt die Bestimmung, zeigt sich aber gegenüber der Deutschen Welle in der Auslegung tolerant. Als gelernter Bergbauingenieur hat er Verständnis für die betriebstechnischen Belange und Erfordernisse von RWE: "Wenn man noch zusätzliche Sicherheitsabstände hinzurechnet, dann ist eine Rodung im Abstand von 500 Meter vom Tagebaurand akzeptabel", so Nörthen. Eine genaue schriftliche Bestimmung zu diesem zusätzlichen Sicherheitsabstand gebe es jedoch nicht.
Dirk Teßmer, Rechtsanwalt des BUND, zeigt sich gegenüber der Deutschen Welle über die Rechtsauffassung und Haltung von Pressesprecher Nörthen empört. "Das Bergamt agiert jenseits seiner rechtsstaatlichen Amtspflichten und als Gehilfe von RWE, wenn es dem Unternehmen zur Vermeidung der Konsequenzen eines Klageerfolgs des BUND vorsorglich einen größeren Rodungsvorlauf gewährt als nach geltendem Recht zulässig ist."
Wie reagiert RWE?
Die Deutsche Welle gab RWE die Möglichkeit, die vom BUND veröffentlichten Dokumente zu bewerten. RWE beantworte zwar die Anfrage, ging aber nicht auf gestellte Fragen zur Abbaukante ein. Insbesondere widersprach der Konzern nicht der Feststellung, dass die Entwicklung des Tagebaus in der Vergangenheit bei lediglich 120 Metern lag. Auch widersprach RWE nicht der Feststellung, dass der Abstand zwischen der Abbaukante und dem Wald im überwiegenden Bereich des Waldes derzeit bei mehr als 400 Metern liegt.