Nooke: Kameruns Dialog darf nicht scheitern
1. Oktober 2019DW: Herr Nooke, zurzeit treffen sich hier in Yaoundé die Konfliktparteien der Krise um den anglophonen Teil Kameruns zum großen nationalen Dialog. Sie haben sich in diesen Tagen vor Ort ein Bild von der Situation machen können. Wie ist Ihr Eindruck?
Günter Nooke: Ich konnte aus Sicherheitsgründen nicht in diese Gebiete fahren, aber nach vielen Gesprächen habe ich den Eindruck, dass wir mit dem nationalen Dialog eine neue Phase der Auseinandersetzung erreichen. Nach der Rede von Präsident Paul Biya gibt es eine stärkere öffentliche Wahrnehmung der Probleme hier in Kamerun. Der entscheidende Punkt ist, dass der Dialog nicht scheitert, und dass es nicht noch zu schlimmeren gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt als in den letzten Jahren und Monaten. Wir haben hier in Kamerun Gewalttaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von beiden Seiten, also von Armee und Polizei, aber auch vonseiten derjenigen, die vorgeben, für die Unabhängigkeit der anglophonen Gebiete zu kämpfen. Beim Ausmaß der Gewaltverbrechen und den Bildern, die im Internet kursieren und die wohl alle echt sind, ist es erstaunlich, dass wir in Europa uns nicht mehr mit Kamerun befassen.
Sie haben die unterschiedlichsten Menschen getroffen, Angehörige der anglophonen und frankophonen Bevölkerungsgruppen, von Regierung und Zivilgesellschaft. Welche tiefer liegenden Gründe könnten im Gesamtbild die Krise ausgelöst haben?
Viele unserer Gesprächspartner haben gesagt: Es geht nicht nur um die anglophonen Gebiete, die sich selbst noch unterscheiden zwischen Nordwest- und Südwest-Region. Es geht um die Verfasstheit des Staates. Es gibt wohl ein Trauma, dass die föderale Republik Kamerun zugunsten eines sehr zentralistischen Staats abgeschafft wurde. Föderale Strukturen in Kamerun können nicht alle Probleme lösen. Aber sie würden manches leichter machen. Wenn am Ende dieses nationalen Dialogs das Bekenntnis stünde: Wir wollen, dass Kommunen, Provinzen und Präfekturen größere Eigenständigkeit bekommen, dass nicht alle Entscheidungsträger von ganz oben eingesetzt werden, freie und faire Wahlen auch auf kommunaler und regionaler Ebene stattfinden - dann würde dem Land in all seiner Heterogenität und den Menschen, die hier leben, mehr entsprochen. Für mich wäre das ein gutes Ergebnis.
Deutschland ist eingeladen als Beobachter und nicht als Ratgeber. Aber wenn ich gefragt würde, dann geht es um die Umsetzung der entscheidenden Artikel der Verfassung oder um eine verfassungsgebende Versammlung, die auch die Implementierung der entscheidenden Punkte regelt. Vielleicht sollten zehn bis 20 Personen sich in den nächsten sechs Monaten Gedanken machen, wie eine andere Verfasstheit der Republik Kamerun aussehen kann. Damit kann man einen Prozess starten, der offen ist und Kamerun in die richtige Richtung bewegt, wenn auch unabhängige Personen dort mitmachen. Aber ohne neues Vertrauen, also wenigsten die Einstellung aller Gewalttaten auf beiden Seiten, wird das kaum funktionieren.
Viele ihrer Gesprächspartner haben an Deutschland appelliert: Das Land müsse helfen, die Ergebnisse des Dialogs umzusetzen.
Wenn hier in Kamerun der Wunsch besteht, dass Deutschland eine spezifische Rolle übernimmt, dann werden wir uns damit auseinandersetzen. Ich glaube schon, dass wir hier eine Verantwortung haben. Jeder, der Verantwortung übernimmt, stellt sich natürlich auch der Kritik. Wahrscheinlich wird Deutschland die Rolle, die von uns erwartet wird, nicht erfüllen können. Aber wir werden uns den an uns gestellten Erwartungen auch nicht ganz verschließen können. Mein Eindruck ist, dass wir immer noch versuchen, uns mehr oder weniger ganz rauszuhalten.
Meine Reise ist auch ein Beitrag dazu, etwas Druck zu machen, dass wir uns hier stärker engagieren. Und das heißt am Ende auch, dass die Rolle Frankreichs in Kamerun geklärt werden muss und dass am Ende eben nicht nur das französische Modell mit einem starken Präsidenten eine Option ist, weil Frankreich das will, sondern dass die Kamerunerinnen und Kameruner selbst sagen müssen, was sie wollen. Interventionen von Frankreich gehören der Vergangenheit an. Das muss nicht nur in den Reden von Präsident Emmanuel Macron vorkommen, das muss auch so umgesetzt werden.
Man hat in der Tat den Eindruck, dass Frankreich hier immer noch sehr aktiv ist, und das wird von den Afrikanern der frankophonen Staaten ja auch häufig kritisiert. Allerdings scheint das in der Europäischen Union weitgehend unterzugehen.
Es gibt außenpolitisch so etwas wie eine Arbeitsteilung in der Europäischen Union. Und deshalb kämpfe ich, seit ich Afrika-Beauftragter der Bundeskanzlerin bin, für eine echte europäische Afrika-Politik. Das wird keine deutsche sein. Aber es sollte eben auch keine französische oder britische sein, sondern es sollte eine sein, bei der Europa mit seinem wichtigsten Nachbarkontinent im Süden Absprachen trifft, die zum beiderseitigen Vorteil sind. Afrika braucht Arbeitsplätze und Jobs, eine prosperierende Wirtschaft. Das ist der Weg, den wir mit dem "Marshallplan mit Afrika" des Bundesentwicklungsministeriums oder auch mit "Compact with Africa" gegangen sind: weg von Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit, hin zu Privatinvestitionen und wirtschaftlichem Wachstum. Es gibt eine ganze Menge guter Ansätze. Wir müssen sie nur konzertierter mit der neuen Kommission in Brüssel umsetzen. Ich habe mich auch an Frau von der Leyen gewandt und hoffe, dass eine gemeinsame Afrika-Politik in der neuen Kommission eine Chance bekommt.
Kommen wir zurück zur deutschen Rolle in der Lösung des aktuellen Konflikts. Sie haben im Gespräch mit Paul Tasong, dem stellvertretenden Minister für Wirtschaft, Planung und regionale Entwicklung, deutlich gesagt: Wenn Kamerun die Krise nicht in den Griff bekommt, dann werden deutsche Entwicklungsgelder erst einmal nicht mehr fließen.
Wir haben ein großes Interesse an einer friedlichen Entwicklung hier im Land. Ich glaube, dass Deutschland sich stärker engagieren sollte. Ich persönlich bin auch davon überzeugt, dass wir unsere Entwicklungszusammenarbeit fortsetzen sollten. Ich habe zwei Projekte vorgestellt, die so regierungsfern sind, dass sie sowieso nur bei den Menschen vor Ort ansetzen - egal, wie schlecht oder gut die Regierung ist. Es gibt aber insbesondere im Auswärtigen Amt auch das Interesse, dass wir hier nicht "Business as usual" machen, weil es diese schrecklichen gewalttätigen Auseinandersetzungen gibt. Wir müssen deutlich machen: Von Deutschland kommt nicht nur Geld, sondern es gibt auch eine klare Erwartungshaltung, dass dieser Konflikt gelöst wird und es zumindest einen Waffenstillstand gibt. Alle, die für Unabhängigkeit kämpfen, müssen ihre Waffen abgeben, und die Regierung muss die Gefangenen freilassen.
Dann haben wir noch das Problem: Wer wird verurteilt und wer nicht? Die Sache ist hochkomplex. Es steht jetzt viel auf dem Spiel. Wir können keine normalen Regierungsverhandlungen mit einer Regierung führen, die selbst davon spricht, dass eine Show stattfindet und gar nichts verändert werden soll! Aber ich habe die Hoffnung, dass die Regierung den Ernst der Lage besser verstanden hat, als ich das noch vor anderthalb Jahren wahrgenommen habe. Ich hatte in den letzten acht Jahren mehrere gute Gespräche mit Präsident Paul Biya. Und ich glaube, dass es sich lohnt, mit ihm gemeinsam noch eine Art von Übergang in einen weniger zentralisierten Staat zu organisieren.
Günter Nooke ist seit April 2010 persönlicher Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Berlin.
Das Interview führte Dirke Köpp, die Nooke auf seiner Reise nach Kamerun begleitete.