Abkehr von Merkels Schmusekurs mit China
7. Dezember 2021Wie kann eine deutsche Außenpolitik unter grüner Ägide aussehen? Eine Kostprobe gab die designierte Außenminister Annalena Baerbock in der vergangenen Woche mit einem Interview, in dem sie die Volksrepublik China kritisierte. In ihrem Gespräch mit der Tageszeitung nannte sie die Volksrepublik einen systemischen Wettbewerber und warb dafür, eine "strategische Solidarität mit demokratischen Partnern zu suchen, gemeinsam unsere Werte und Interessen zu verteidigen und in unserer Außenpolitik mit langem Atem für diese Werte zu werben."
Das ist der gleiche freiheitlich, demokratische Schulterschluss, den auch US-Präsident Biden in der Auseinandersetzung mit einem zunehmend nach innen und außen aggressiv auftretenden diktatorischen China fordert. Mit einer Ampelkoalition, so macht Baerbock klar, wird es jedenfalls keine Fortsetzung des Kurses geben, den Angela Merkel in ihrer 16-jährigen Regierungszeit gefahren ist.
Vergebliche Hoffnung auf Wandel durch Handel
Zwar hat Merkel stets die furchtbare Menschenrechtslage in China kritisiert (als Vorsitzende einer Partei, die sich christlich nennt, konnte sie kaum die verheerende Verfolgung von Christen und Muslimen in der Volksrepublik ignorieren), letztlich aber doch auf wirtschaftliche Zusammenarbeit gedrungen. In der Hoffnung, dass sich China irgendwann einmal zu einem guten Player in der Welt wandeln würde.
Diese Erwartung wurde allerdings mehr als enttäuscht: Xi Jinping hat das Land in eine Diktatur verwandelt, in dem Jugendliche, Frauen, Homo- und Transsexuelle, Sportler und Tech-Unternehmer ins Visier der Gleichschaltung geraten, verschwinden, unter Druck gesetzt werden. Im Westpazifik bereitet Pekings Oberbefehlshaber die Machtübernahme vor. Dazu soll Taiwan annektiert und Territorialkonflikte, die das Land mit Japan, Korea und den Philippinen vom Zaun gebrochen hat, militärisch zugunsten Chinas entschieden werden.
Eine neue Bundesregierung kann daher nicht dort anknüpfen, wo die vorangegangene aufgehört hat. Der Merkel-Ansatz, auf die wirtschaftlichen Chancen zu schauen und auf eine freiheitliche Zukunft zu hoffen, ist an Peking gescheitert. Die Bundesrepublik, zu deren Staatsräson das Bekenntnis der Schuld Deutschlands am Holocaust und einer daraus resultierenden Verantwortung ("Nie wieder!") gehört, kann mit der Volksrepublik, die derzeit mindestens einen Genozid verübt, künftig kein normales Verhältnis mehr unterhalten.
Den Genozid einen Genozid nennen
Im Nordwesten Chinas, in Xinjiang, werden über eine Million Muslime gefangen gehalten, während vor den Lagertoren alles mit Überwachungskameras überzogen ist und den Menschen genetische Proben entnommen werden. Neben der Dauerüberwachung und der Lagerhaft kommt es auch zu systematischen Vergewaltigungen und Geburtenkontrolle gegen muslimische Frauen. Jahrhunderte alte Kulturdenkmäler werden zerstört, ein Vorgehen, dass die gottlose Diktatur in Peking auch in Tibet anwendet.
Der Kongress der USA nannte das schändliche Treiben der Volksrepublik in Xinjiang deshalb bereits einen Genozid. Deutschland sollte unter Bundesaußenministerin Annalena Baerbock diesem Kurs folgen, der Bundestag eine entsprechende Resolution beschließen. Bei der Gelegenheit würde sich auch ein neuer Blick auf Tibet anbieten, an dessen Einwohner ebenfalls ein kultureller Genozid verübt wird.
Bündnisse schmieden und Zusammenhalt organisieren
Angesichts der sich ankündigenden neuen Außenpolitik gegenüber der Volksrepublik hat sich die chinesische Botschaft in Berlin bereits gemeldet und die künftige Chefin des Auswärtigen Amtes kritisiert. Annalena Baerbock sollte diese Kritik als Auszeichnung verstehen und möglichst viele solcher Verbal-Medaillen anstreben. Diese werden kommen, denn die Grünen-Politikerin hat bereits ins Gespräch gebracht, Waren aus Xinjiang, die von Zwangsarbeitern angefertigt werden, nicht mehr in die EU einführen zu wollen. Ebenso kritisch sieht sie die kommenden Olympischen Winterspiele: Ein Land, das so wie China die Rechte seiner eigenen Bevölkerung mit Füßen tritt, sollte keine Bühne erhalten für Spiele, die für Frieden und Zusammenhalt stehen.
Alles das, was sich Baerbock im Namen der Regierung vornimmt, deren Teil sie sein wird, steht und fällt damit, Bündnisse zu schmieden und Zusammenhalt zu organisieren. Wenn sie in einem ersten Schritt, Deutschlands China-Politik näher an die der USA heranführt (etwas, was unter Merkel und ihrem letzten Außenminister Heiko Maas von der SPD nicht gemacht wurde), vereint das zwei führende Volkswirtschaften im Handeln gegen die Diktatur in Peking. Nicht wenig wichtiger ist aber, dass Europa geneinsam voranschreitet. "Wir brauchen eine gemeinsame europäische Chinapolitik" sagt Baerbock nicht ohne Grund. Lackmus-Test hierfür wird die gemeinsame Taiwan-Politik der europäischen Verbündeten sein. Die Inseldemokratie ist ein befreundeter Staat, den Peking annektieren möchte. Und dazu darf es unter keinen Umständen kommen.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009 - 2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin 'The European' heraus.