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PolitikAsien

Die Lüge von der "abtrünnigen Provinz" Taiwan

Alexander Görlach
27. Oktober 2021

Taiwan ist ein eigenständiger Nationalstaat, und deshalb kann und muss Joe Biden der Insel auch eine Verteidigungsgarantie geben, meint Alexander Görlach.

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DW Zitatkarte I Alexander Görlach
Bild: DW

Werden die Vereinigten Staaten die demokratische Inselrepublik Taiwan verteidigen, wenn die Volksrepublik China, wie von Machthaber Xi Jinping angedroht, das Land überfallen und annektieren wird? US-Präsident Biden hat darauf zweimal mit einem entschiedenen Ja geantwortet. Das Weiße Haus ruderte jedoch im Nachgang zu den Äußerungen des Präsidenten zurück: Es gäbe keine vertraglich niedergeschriebene Verpflichtung zu einer solchen Verteidigung. Biden hatte die Verpflichtung der USA nämlich mit jener verglichen, die die Vereinigten Staaten gegenüber ihren NATO-Partnern eingegangen ist. 

Doch nach meiner Überzeugung vergleicht der US-Präsident hier auf der moralischen und nicht auf der rechtlichen Ebene: In Joe Bidens außenpolitischer Programmatik ist "die Liga der Demokratien”, der Zusammenschluss aller freiheitlichen Länder der Erde, das Kernelement. Gemeinsam sollen sich die Nationen, deren Ordnung auf der Anerkennung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit beruht, gemeinsam gegen Diktaturen wie die chinesische oder die russische wehren. Die enge Freundschaft, welche die USA außerhalb des NATO-Bündnisses mit Ländern wie Taiwan pflegen (Biden nannte im gleichen Atemzug auch Japan und Südkorea), verpflichten die USA moralisch, diesen Freunden, die von Xi Jinpings China bedroht werden, beizustehen.

Chinas Traum vom maritimen Großreich

Dabei ist interessant, dass Biden Japan und Südkorea gemeinsam mit Taiwan nennt. Denn die USA sind in der Tat und auch vertraglich in je eigenen Konstellation Schutzmacht Japans und Südkoreas. Das hat in der Vergangenheit verhindert, dass die beiden ehemals verfeindeten Kriegsnationen (Japan war der Aggressor im Zweiten Weltkrieg) wieder aufeinander losgingen. Heute haben indes beide Länder Grenzkonflikte mit China, das den gesamten Westpazifik zu einem chinesischen Meer machen möchte, dafür aber beiden Ländern (wie auch den Philippinen) Land abnehmen muss, um den Traum vom maritimen Großreich zu verwirklichen.

Xi Jinping und Joe Biden schütteln die Hände vor chinesischen und us-amerikanischen Flaggen
Schon als Vize von Barack Obama hat Joe Biden Verhandlungen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping geführtBild: Lintao Zhang/AP Images/picture alliance

Der Vergleich mit der NATO mag ohne direkte Erklärung nicht funktionieren, da mögen Bidens Kritiker Recht haben. Aber der Verweis auf Japan und Südkorea rückt die Aussage ins richtige Licht. Die Vereinigten Staaten garantieren die Sicherheit von Taiwan, sollte Xi das Nachbarland überfallen. Denn alle bisherigen Übereinkünfte sehen vor, dass es eine Annäherung (Xi nennt es seit einiger Zeit Wiedervereinigung) der beiden Nationen nur geben könnte, wenn beide das wollen - freiwillig und ohne Ausübung von Zwang.  Anders als Xi es behauptet wurde aber nie vereinbart, dass Washington eine erzwungene Oberhoheit Pekings über den Nachbarstaat anerkennen werde. Bereits 1995/96, während eines Konflikts Pekings mit Taipeh, schickten die USA ein Kriegsschiff in die Straße von Taiwan, um den kommunistischen Machthabern klar zu machen, dass eine Gewaltanwendung gegen Taiwan von Washington nicht geduldet wird.

Taiwan - ein souveräner Nationalstaat

An dieser Haltung Washingtons hat sich nichts geändert - insofern war die offizielle Ergänzung zu Präsident Bidens Aussage korrekt. Die USA verkaufen an Taiwan Waffensysteme, mit denen sich die 23 Millionen Einwohner der Insel gegen eine Besatzung ihres Landes wehren können. Jüngst war auch bekannt geworden, dass US-Elitesoldaten die taiwanesische Armee schulen. Die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen sagte im Hinblick auf die Unterstützung der USA bei ihrer Ansprache am 10. Oktober zum Gründungstag der Republik China, dass ihr Land sich zuallererst selbst verteidigen werde, wenn es zu einem Angriff komme. Damit unterstrich Tsai die nationale Integrität und Souveränität Taiwans.

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen hinter zwei Mikrophonen, während ihr der Wind durchs halblange Haar weht
Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen bei ihrer Ansprache am Nationalfeiertag des Landes am 10. OktoberBild: Daniel Ceng Shou-Yi/picture alliance

Diplomatische Anerkennung Taiwans?

Zeitgleich werden erneut Überlegungen forciert, das demokratische Taiwan in die Vereinten Nationen zu integrieren. Die Volksrepublik verweigert sich dem vehement und behauptet, für die 23 Millionen Taiwanesen zu sprechen, die derzeit in einer abtrünnigen Provinz lebten. Da dies nicht der Wirklichkeit entspricht und die Gängelung Taiwans durch China zu einem der großen internationalen Konfliktpunkte geworden ist, streben inzwischen nicht nur die USA an, ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan zu normalisieren.

Joe Biden kann als US-Präsident Taiwan deshalb eine Verteidigungsgarantie geben, da es sich bei der Insel in der Überzeugung Washingtons um einen eigenen Nationalstaat handelt - und nicht einen Hinterhof Pekings, wie Xi Jinping nicht müde wird zu behaupten. Dieser hat sich am meisten über die Stelle in der Rede von Tsai Ing-wen geärgert, in der sie ihm Gespräche auf Augenhöhe zwischen Partnern angeboten hat. Peking aber will die Unterwerfung. Es ist daher gut, dass die USA helfen wollen, die Nationen im Westpazifik vor dem Schurkenstaat nebenan zu beschützen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs, Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford und Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität. Der promovierte Linguist und Theologe arbeitet zu Narrativen der Identität, der Zukunft der Demokratie und den Grundlagen einer säkularen Gesellschaft. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne. Von 2009 - 2015 gab er als Chefredakteur das von ihm gegründete Magazin 'The European' heraus.