GroKo: Stürmischer Herbst für Merkel
9. Oktober 2018Bei manchen Kommentatoren kam Angela Merkel nach dem Auftritt bei der Partei-Jugend ziemlich gut weg. Sie habe die Jungen alt aussehen lassen, schreibt zum Beispiel die "Welt". Die Kanzlerin und Vorsitzende der Christdemokraten (CDU) hatte am Wochenende eine Rede mit viel Selbstkritik aber auch Angriffsfreude gehalten - und dafür am Ende stehenden Beifall bekommen. Und das ausgerechnet von der "Jungen Union", der CDU/CSU-Nachwuchsorganisation, die sich konservativer als die Mutterpartei gibt und schon länger gegen Merkels Mitte-Kurs opponiert. Zwar gab es auch viel Kritik, eine Generalabrechnung oder gar eine Revolution blieb aus. Es war ein Punktsieg für Merkel.
Der Countdown läuft - doch wie schnell?
Mit Kritik an ihrer Person kennt sich Merkel gut aus. Sie sei den Aufgaben einer Kanzlerin nicht gewachsen, lautete das Vorurteil zu Beginn ihrer Kanzlerschaft, die nun schon seit dem Jahr 2005 andauert. In den Folgejahren gingen wichtige Wahlen in Bundesländern für die CDU verloren, auch die Bundestagswahlen brachten nur mäßige Ergebnisse. Merkel blieb trotzdem, von der Macht hat sie sich nicht vertreiben lassen. In vielen Fällen hat sie ihre Niederlagen einfach "ausgesessen", wie die Deutschen sagen. Daran erinnern dieser Tage nicht wenige in Berlin, wenn - vielleicht voreilig - schon jetzt das Ende der deutschen Bundeskanzlerin ausgerufen wird.
Dass irgendwann Schluss ist, wissen zwar alle. Die Frage ist nur: wann? Merkel selbst sagt, sie sei für diese Legislaturperiode gewählt - und die dauert bis 2021. Doch sie wird, davon gehen die meisten Beobachter aus, einen guten Übergang moderieren wollen, vielleicht zur Halbzeit. Schließlich geht es auch um ihr Vermächtnis als Kanzlerin. Die Krisen ihrer jetzigen Regierungskoalition aber lassen viele spekulieren, dass sie nicht mehr lange durchhalten könnte. Und die Kritik wird immer lauter.
Nachfolger für Merkel gesucht
Was für einen geordneten Übergang spricht: Es gibt keinen charismatischen Nachfolger, der die Merkel-Kritiker hinter sich scharen könnte. "Sollte Merkel nicht mehr durchhalten, dann hätte die Union ein Riesenproblem", meint zum Beispiel der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel, der in keinem Verwandtschaftsverhältnis zur Kanzlerin steht. Es gebe keine "überzeugende Figur, die Merkel nachfolgen könnte". Unruhe droht trotzdem. Denn ab dem kommenden Wochenende könnte ein politischer Herbststurm auch über Merkels Kopf hinwegfegen.
In Bayern, dort wo die Christsozialen von der CSU, die Schwesterpartei der CDU, ihre Heimat haben, zeichnet sich eine historische Wahlniederlage ab. Die CSU regierte jahrzehntelang meist mit absoluter Mehrheit. Nun aber liegt sie in Meinungsumfragen bei nur noch 35 plus X Prozent. So mancher könnte Merkel die Schuld für eine Niederlage zuschieben wollen, die Statik des Bündnisses von CSU und CDU im Bund würde erschüttert. Schließlich ist der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer auch Bundesinnenminister. Zwei Wochen später folgen die nächsten Wahlen, im Bundesland Hessen. Dort regiert die CDU mit den Grünen - die Koalition könnte abgewählt werden. Das wäre die nächste Niederlage für die CDU-Vorsitzende.
Generelle Probleme für die Volksparteien
Dass die Umfragewerte derzeit so schlecht sind, begründen viele mit den offen ausgetragenen Konflikten in der Regierung. Ein Beispiel ist der Fall des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Damit es nun nicht noch schlimmer kommt, gibt es eine selbst auferlegte Feuerpause, einen sogenannten Burg-Frieden. Niemand will noch mehr Öl ins Feuer gießen. Schließlich seien, sagen die Demoskopen, viele Wähler noch unentschlossen. In Deutschland, und vor allem in der CDU, gilt das Ideal der Geschlossenheit. Nur so könne man Wähler überzeugen. Politischer Streit in den eigenen Reihen gilt als kontraproduktiv. Die aktuellen Umfragewerte stärken diese These.
Doch die politische Unruhe ist trotzdem da und sogar noch breiter gefächert. Die klassischen Volksparteien - CDU/CSU und die Sozialdemokraten (SPD) - schrumpfen. Dafür können die linksliberalen Grünen und die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD) neue Wähler gewinnen. Beide liegen aktuell bei 15 plus x Prozent. Manche Politikwissenschaftler wie Werner Patzelt sehen diese beiden Parteien langfristig als neue starke Parteien. Sie seien Pole des neuen politischen Grundkonflikts um die Globalisierung, so Patzelt. Auch vor diesem Hintergrund wären Neuwahlen für CDU/CSU und SPD ein riskantes Unterfangen.
Widerstand aus dem Westen
Dass die Macht Angela Merkels schwindet, zeigt sich dieser Tage an anderer Stelle schon deutlicher. Zum Beispiel am offen formulierten Unmut aus der CDU selbst, der lange unter der Oberfläche brodelte. Zum Beispiel von Norbert Röttgen, vor einigen Jahren als Merkel-Nachfolger im Gespräch: Der einflussreiche Bundestagsabgeordnete aus dem mächtigen CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen (NRW) äußerte in einem Spiegel-Interview die Forderung nach strategischer und letztlich auch personeller Veränderung.
Aus dem ganz im Westen gelegenen Bundesland mit 20 Millionen Einwohnern stammen auch andere prominente Merkel-Kritiker wie der 38-jährige Jens Spahn, derzeit Bundesgesundheitsminister, und Carsten Linnemann, der 41-jährige Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung von CDU/CSU. Auch der neue Fraktionschef von CDU/CSU im Bundestag Ralph Brinkhaus kommt aus NRW. Der 50-Jährige hatte sich vor zwei Wochen ziemlich überraschend gegen einen Merkel-Getreuen bei der Neuwahl dieses wichtigen Postens durchsetzen können.
Wahlen für den Parteivorsitz im Dezember
Dass im Hintergrund am Ende der Ära Merkel gearbeitet wird, ist also nicht zu übersehen. Doch sie hat weiterhin eine stabile Machtbasis im Präsidium der CDU und unter den CDU-Bundesministern. Das stärkt sie.
Sind die beiden Wahlen in Bayern und Hessen überstanden, wartet für Merkel die nächste machtpolitische Herausforderung. Beim Bundesparteitag im Dezember steht die alle zwei Jahre übliche Neuwahl für den CDU-Parteivorsitz an. Merkel will wieder kandidieren. Doch es gibt Gegenkandidaten, bislang drei. Allerdings sind das sind Politiker aus der vierten Reihe. Ein neuer Brinkhaus, der schon in der zweiten Reihe stand, ist nicht in Sicht. Führende CDU-Vertreter, auch Brinkhaus und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, haben zugesagt, Merkel mitwählen zu wollen.
Sowieso gilt für die nächsten Tage: Business as usal. In Berlin werden unter anderem der chilenische Präsident und der Ministerpräsident Sloweniens erwartet. Außenpolitisch hat Merkel noch viel zu tun. Vor allem beim Thema Migrationspolitik wollte die deutsche Bundesregierung auf Ebene der Europäischen Union schon viel weiter sein. Doch dort hat Merkel viele ehemaligen Partner verloren. Die Macht der "mächtigsten Frau der Welt" ist auch im Ausland schon kleiner geworden.