Griechische Wende zum Realismus
6. Oktober 2015"Ein gangbarer, aber schwieriger Weg voller Hindernisse": In seiner Regierungserklärung am Montagabend hat Alexis Tsipras für eine zügige Umsetzung der Mitte August vereinbarten Reformen geworben. Dank der jüngsten Vereinbarung mit den Geldgebern, so der griechische Premier, habe seine Regierung einen stabilen Finanzrahmen für Griechenland bis 2019 erreicht und der Debatte um einen möglichen Euro-Austritt ein Ende gesetzt. Spätestens am Ende der nun beginnenden Legislaturperiode würde Griechenland die Schuldenkrise, die Sparpolitik und die "Vormundschaft der Kreditgeber" hinter sich lassen, versprach der Linkspolitiker. Er betonte, dass neue Investitionen nötig seien, damit sein Land auf den Wachstumspfad zurückfindet.
Bis auf wenige Seitenhiebe in Richtung Geldgeber habe die aktuelle Rhetorik von Tsipras kaum noch etwas gemeinsam mit seinen Wahlversprechen am Anfang des Jahres, sagt der Politikwissenschaftler Jorgos Tzogopoulos im Gespräch mit der DW. Nach dem ersten Wahlsieg von Tsipras und seiner Syriza-Linkspartei im Januar hätte der noch junge Regierungschef nichts Geringeres im Sinn gehabt, als die verhassten Sparauflagen rückgängig zu machen und der aus EU, EZB und IWF bestehenden Troika der Kreditgeber den Kampf zu erklären. "Noch vor wenigen Monaten standen alle Zeichen auf Sturm und ein Bruch mit den EU-Partnern erschien als wahrscheinlich. Doch mittlerweile bekennt sich auch Tsipras zum Memorandum der Sparpolitik wie andere Ministerpräsidenten vor ihm auch und erklärt dessen Umsetzung ausdrücklich auch zur eigenen Priorität", so der Athener Experte.
Unklarheit über "Sparmaßnahmen gleicher Wirkung"
Vor der vorgezogenen Parlamentswahl im September hatte der Syriza-Chef ein "Parallelprogramm neben dem Sparprogramm" in Aussicht gestellt, das die schmerzhaften Sparmaßnahmen sozial abfedert oder gar ausgleicht. In seiner Regierungserklärung war kaum noch die Rede davon. Doch immerhin erneuerte er ein anderes zentrales Wahlversprechen: Er würde einige der im August vereinbarten Sparauflagen rückgängig machen und sie durch "Maßnahmen gleicher Wirkung" ersetzen. Dahinter steckt die Idee, dass die sogenannten Ersatzmaßnahmen genauso viel Geld in die Staatskasse bringen könnten - mit weniger politischen Nebenwirkungen.
Aus der Sicht von Tzogopoulos sei das nichts anderes als "Balsam für die Volksseele". Tsipras wolle einen Hauch von Optimismus durchblicken lassen, aber im Grunde habe er keine andere Wahl, als die Sparauflagen innerhalb der vereinbarten Fristen zu erfüllen und zudem die Rekapitalisierung der griechischen Banken über die Bühne zu bringen. "Sollten ihm die Geldgeber im November entscheidende Reformfortschritte bescheinigen, dann - aber nur dann - hätte der Linkspremier doch noch die Möglichkeit, besonders harsche Sparauflagen in Frage zu stellen oder durch alternative Maßnahmen zu ersetzen."
Umstrittene Steuern
Wie schwierig sich die Debatte um Ersatzmaßnahmen gestaltet, zeigt der aktuelle Streit um die neu eingeführte Umsatzsteuer in Höhe von 23 Prozent auf griechische Privatschulen. Im Wahlkampf versprach Tsipras, diese Sonderbelastung zu überprüfen und durch andere Einnahmen zu ersetzen. Vergangene Woche erschien die Angelegenheit weniger dringlich: Wenn die Regierung zwei oder drei großen Steuersündern auf die Schliche käme und dadurch etwa 200 Millionen Euro eintreibe, dann könnte sie auch auf die umstrittene Steuermaßnahme verzichten, ließ der neue Bildungsminister Nikos Filis verlauten. In seiner Regierungserklärung kam Tsipras auf das leidige Thema zurück: Die Umsatzsteuer auf Privatschulen würde bis Mitte November auf Eis gelegt und seine Regierung würde sich um adäquate Ersatzmaßnahmen bemühen.
Nach Berichten der linksliberalen "Zeitung der Redakteure" gebe es bereits konkrete Vorschläge, die den Kreditgebern unterbreitet würden. Dazu gehören eine Sonderabgabe auf Großunternehmen, sowie eine Sondersteuer für Immobilien griechischer Staatsbürger im Ausland. Politik-Journalistin Elli Triantafyllou zeigt sich allerdings skeptisch: '"Früher gab es den Geld-bei-den-Reichen-eintreiben-Mythos. Heute gibt es kaum noch Reiche in diesem Land." Seit Ausbruch der Schuldenkrise habe sich die Zahl der Griechen, die weniger als 12.000 Euro im Jahr verdienen, um über eine Million erhöht, gibt sie zu bedenken.
Abstimmung am Mittwoch
Zwei Tage lang wollen die Abgeordneten in Athen über die Regierungserklärung von Alexis Tsipras beraten. Am späten Mittwochabend wird das Parlament dem neuen Regierungschef aller Voraussicht nach das Vertrauen aussprechen. Zwar wird der Syriza-Chef von ehemaligen Mitstreitern scharf kritisiert, doch die prominenten Abweichler sind nicht mehr im Parlament vertreten. Die innerparteiliche Kritik scheint sich im Moment in Grenzen zu halten. Dem Linkspolitiker kommt außerdem zugute, dass die konservative Oppositionspartei derzeit mit internen Querelen beschäftigt ist.
Am Montag stellte Tsipras auch seinen Haushaltsentwurf für 2016 vor, der weitere Sparmaßnahmen in Höhe von 6,4 Milliarden Euro vorsieht. Nach Regierungsangaben werde die griechische Wirtschaft auch im nächsten Jahr um 1,3 Prozent schrumpfen. Immerhin sieht der Entwurf einen primären Haushaltsüberschuss Ende 2016 vor. Das hieße, Griechenland würde zu diesem Zeitpunkt wieder mehr einnehmen als ausgeben - wenn alles gut läuft.