EU entscheidet wieder nicht
6. Juni 2016Der Streit um das Pflanzenschutzmittel Glyphosat ist in der Europäischen Union immer noch nicht gelöst. Zum wiederholten Mal versuchte der zuständige Ausschuss, in dem die 28 EU-Mitgliedsstaaten vertreten sind, eine Mehrheit für oder gegen die weitere Zulassung der Chemikalie zu finden. Vergeblich. Das liegt vor allem daran, dass sich Deutschland, der größte Mitgliedsstaat, aus der Entscheidungsfindung heraushält. Weil die Große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten in Berlin sich nicht einig ist, kann der deutsche Vertreter im EU-Ausschuss sich nur der Stimme enthalten.
Die EU-Kommission hatte versucht, die seit Monaten andauernde Unentschlossenheit durch einen Kompromissvorschlag zu beenden. Der zuständige EU-Kommissar für Lebensmittelsicherheit Vytenis Andriukaitis hatte angeregt, die Zulassung für Glyphosat nur für 12 bis 18 Monate zu verlängern. In dieser Zeit sollte dann die EU-Agentur für die Zulassung von Chemikalien in Helsinki eine neue Studie zu möglichen Gesundheitsrisiken vorlegen, die von Glyphosat ausgehen könnten.
Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit hatte bereits befunden, dass der weltweit am gebräuchlichste Unkraut-Killer für Menschen unbedenklich ist, wenn er richtig angewendet wird. Bei den Vereinten Nationen hatten sich zwei Unterorganisationen gegenseitig widersprochen: Eine befand den Glyphosateinsatz für unbedenklich, die andere kommt zu dem Ergebnis, dass es wahrscheinlich Krebs verursachen kann.
Ministerien in Berlin im Glyphosat-Streit
Umweltverbände wie Greenpeace, aber auch die deutsche Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sprechen sich gegen eine weitere Zulassung von Glyphosat aus. Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) dagegen kritisierte seine Kabinettskollegin am Wochenende in der Zeitung "Rheinische Post" scharf. Es sei klar, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung unbedenklich sei, sagte Schmidt. "Grundsätzlich sehe ich es mit Sorge, dass in einer solchen Frage Politik nach Belieben betrieben wird und nicht auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse", sagte Schmidt. Ein Sprecher von Umweltministerin Hendricks erklärte, solange es keinen Nachweis für die Unbedenklichkeit von Glyphosat gebe, werde es nicht wieder zugelassen.
Nachdem der Ausschuss der EU-Staaten keine Entscheidung treffen konnte, wird der Fall Glyphosat einem höherrangig besetzten Gremium vorgelegt. Sollte auch da keine Mehrheit zustande kommen, könnte die EU-Kommission auch ohne weitere Beratungen mit den Mitgliedsstaaten einen Schlussstrich unter die Debatte ziehen und über die Zulassung der Chemikalie entscheiden. Erteilt sie sie nicht, müssten alle Mittel, die diesen Wirkstoff enthalten, vom 1. Juli an in der EU vom Markt genommen werden. Der deutsche Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) hält das für kaum praktikabel: Ein solcher Schritt würde die Landwirte in der EU vor kaum lösbare Aufgaben stellen. Liese nannte es im Deutschlandfunk "peinlich", dass Deutschland die Entscheidung durch seine Enthaltung so schwierig mache.
Jeder EU-Staat kann Beschränkungen erlassen
Die EU-Kommission empfiehlt härtere Auflagen bei der Verwendung von Glyphosat. So soll das Unkrautvernichtungsmittel nur noch in kleinen Mengen in öffentlichen Grünlagen, auf Spielplätzen, in privaten Gärten oder unmittelbar vor der Ernte auf Feldern eingesetzt werden.
Selbst wenn Glyphosat in der EU weiter zugelassen wird, kann jeder EU-Mitgliedsstaat eigene Beschränkungen erlassen. Im Prinzip sind die Staaten für den Gesundheitsschutz ihrer Bevölkerung selbst zuständig, nicht die Europäische Union. In Deutschland ist die Verwendung von Glyphosat schon heute grundsätzlich auf zwei Anwendungen pro Jahr und Feld beschränkt.
Die Diskussion um Risiken durch Glyphosat hatte besonders in Deutschland an Fahrt aufgenommen, weil im Winter Glyphosatrückstände in Bier nachgewiesen wurden. Auch in Muttermilch und Urin lässt sich Glyphosat nachweisen. Allerdings liegen die Werte wohl in einem Bereich, der von den Zulassungsbehörden bislang als unbedenklich eingestuft wurde.