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Mehr Tote durch Glyphosat

8. Juni 2016

Das EU-Parlament will weniger Glyphosat. Das Pflanzengift wird weltweit gespritzt und besonders in Argentinien. Der argentinische Arzt Medardo Ávila Vázquez warnt vor den Folgen. Es gibt häufiger Krebs und Fehlbildungen.

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Kinderfacharzt Medardo Avila Vazquez berichtet in Bonn über den Zusammenhang zwischen Glyphosat, Krebs, Fehlgeburten und Missbildungen
Bild: Gero Rueter

Deutsche Welle: Herr Ávila Vázquez, Sie sind Kinderarzt in einem Krankenhaus und arbeiten und an der Universität von Córdoba. Welche Erfahrungen machen Sie mit dem Pestizid Glyphosat, dass in Argentinien besonders häufig gespritzt wird?

Wir können ganz klar sehen, dass die Menschen durch Glyphosat kranker werden. Sie erkranken überproportional häufig und bekommen andere Krankheiten. Häufiger bekommen sie Krebs, vor allem Lungen-, Brust- und Darmkrebs. In Studien haben wir den Zusammenhang belegt.

Menschen in bestimmten ländlichen Regionen haben drei Mal häufiger Krebs und in einigen Ortschaften des Sojaanbaus wurde Krebs zur häufigsten Todesursache. In dem kleinen Ort Monte Maíz stellten wir zum Beispiel fest, dass es dort im letzten Jahr 35 Krebsfälle gab. Nach den Daten des Gesundheitsministeriums hätten es nur elf sein dürfen. Wir haben dort folglich 24 zusätzliche Krebsfälle.

Kinder und Föten reagieren besonders auf Umweltgifte. Welche Beobachtung machen Sie hier?

Argentinien Zunahme von Fehlgeburten Glyphosat Unkrautvernichtungsmittel
Baby in Argentinien (Malabrigo) mit Edwards-Syndrom. Durch den Erbgutschaden beträgt die Lebenserwartung nur wenige Tage.Bild: Medardo Avila Vazquez, Universität Córdoba

Rund 12 Millionen Argentinier leben in der Region des Sojaanbaus. Sie leben in Dörfern, die umgeben sind von Sojafeldern und dort wird viel Glyphosat gespritzt. Wir nennen sie "besprühte Dörfer", pueblos fumigados. In diesen Orten stellen wir fest, dass die Zahl der Fehlgeburten stark zugenommen hat. Normalerweise liegt die Rate von Fehlgeburten bei Mensch und Tier bei zwei Prozent. Aber in diesen Orten liegt die Rate von Fehlgeburten zwischen fünf und sechs Prozent.

Zudem nimmt in diesen Orten die Anzahl der Missbildungen stark zu. Die Provinz Chaco ist ein Sojaanbaugebiet. Dort stellten wir fest, dass sich zwischen 1997 und 2008 die Zahl der Missbildungen vervierfachte. Im gleichen Zeitraum wurde in der Provinz der Sojaanbau um den Faktor sieben gesteigert. Ich arbeite in einer Klinik für Neugeborene und sehe, dass viele dieser Kinder sterben.

Welche Konsequenzen zieht die Politik?

Das Problem ist, dass die Politik den Handel mit Soja und Glyphosat schützt. Es wird viel mit dem Sojaanbau verdient und der Staat hat so Steuereinnahmen. Die Regierung spielt die auftretenden Gesundheitsprobleme herunter - will, dass sie nicht gesehen werden. Aber die Probleme sind sehr groß und so wird das immer schwieriger.

Welche Probleme folgen?

Durch diese Agrarwirtschaft entstehen mehr Gesundheitskosten und sie werden nicht vom Verursacher gezahlt. Das ist ein Problem. Darüber hinaus sehen wir, dass die Lebensmittel durch Glyphosat verunreinigt werden, die erlaubten Grenzwerte werden überschritten.

Auch in unserer Baumwolle ist sehr viel Glyphosat enthalten und wir stellten Glyphosatrückstände in sterilen Verbänden und Tampons fest. Das ist sehr gefährlich, weil Glyphosat krebserregend ist.

Argentinien Traktor bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln
In Argentinien wird besonders viel Glyphosat gespritzt.Bild: picture-alliance/AP Photo/N. Pisarenko

Was wäre die Lösung für Argentinien und seine Landwirtschaft?

In der Landwirtschaft darf man nicht Mittel einsetzen, die Krebs erzeugen. Die Lebensmittel und auch die Baumwolle dürfen nicht belastet sein. Die WHO hat herausgefunden, welche Substanzen Krebs auslösen und welche Substanzen man vermeiden sollte. Aus diesem Grund muss man Glyphosat verbieten.

Was ist die Alternative?

Der Landwirtschaft sollten die Gifte nicht egal sein. Unsere Kinder, Nachbarn und Mitbürger essen die Lebensmittel. Lebensmittel müssen gesund sein und dürfen nicht mit Gift belastet sein. Eine "Ist-mir-egal-Haltung" ist nicht akzeptabel.

Es ist möglich, mit weniger toxischen Mitteln zu arbeiten. Derzeit wird aber immer mehr Gift verwendet. Eine Landwirtschaft mit weniger Gift ist möglich, erfordert aber mehr Arbeit, Fürsorge und Aufmerksamkeit.

In Argentinien wird über Glyphosat gestritten. Was ist ihre Prognose?

Es gibt in allen Provinzen eine starke Bewegung, die das Spritzen mit Glyphosat ablehnt. Dörfer verbieten das Spritzen in der Umgebung und Spritzfahrzeuge dürfen nicht in die Ortschaften.

Es ist ein Konflikt zwischen den Menschen und der Agrarwirtschaft mit den großen Unternehmen wie Monsanto, Syngenta und Bayer. Die Bürger wollen gesunde Lebensmittel. Sie wollen nicht krank werden und nicht an Krebs sterben. Sie fordern vom Staat ein höchstmöglichen Schutz. Das ist ein Konflikt zwischen dem Menschenrecht auf Gesundheit und der Agrarwirtschaft, die schnell Geld verdienen will.

Bisher schützen die Regierungen in Südamerika und in der EU die kommerziellen Interessen. Aber diese Regierungen müssen handeln. Eine seriöse Gesellschaft muss die Menschenrechte schützen und nicht allein das Interesse des Kapitals.

Dr. Medardo Ávila Vázquez arbeitet im Krankenhaus von Córdoba, Argentinien. Der Pharmakologe und Facharzt für Kinderheilkunde kennt die gesundheitlichen Folgen von Pestiziden und führt epidemiologische Forschungen durch. In einer Studie wurde der Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs in den betroffenen Gebieten von Argentinien dokumentiert , in einer weiteren der Zusammenhang zwischen Glyphosat und reproduktive Erkrankungen in der argentinischen Bevölkerung.  2021 wurde zudem von Ávila Vázquez und Kollegen eine Studie über den Zusammenhang von Glyphosat und Asthma veröffentlicht. Ávila Vázquez gehört zum argentinischen Ärztenetzwerk 'Médicos de Pueblos Fumigados' (Ärzte der besprühten Dörfer). Das Netzwerkes will mit objektiven und unabhängigen Informationen über die Folgen von Giften in der Landwirtschaft informieren.

Ein Update des Interviews mit der Ergänzung der Studien erfolgte am 18.9.2023 

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion