Glyphosat spaltet Bundesregierung
17. Mai 2016Christian Schmidt hat kein Verständnis für seine Kabinettskollegen von der SPD, allen voran Barbara Hendricks: "Das Umweltressort geht mit manchem Vorstoß zu weit, das ist doch kein Überministerium", schimpft der Agrarminister öffentlich in der "Süddeutschen Zeitung" und spielt damit auf den Auftritt Hendricks bei einer Videonachricht auf dem Kurznachrichtendienst Twitter an.
Mit Deutschlandfahne und EU-Flagge im Hintergrund tut die Ministerin ihre Meinung über Video kund: Dabei wirkt die SPD-Politikerin ähnlich staatstragend wie die Bundeskanzlerin in ihren regelmäßigen Videobotschaften: "Dass Glyphosat negative Auswirkungen auf die Umwelt hat, ist nachgewiesen... Ob gegen Glyphosat auch gesundheitliche Bedenken zu recht bestehen oder nicht, ist derzeit umstritten", so Hendricks. Aber: "Aus guten Gründen folgen wir in Deutschland und Europa dem Vorsorgeprinzip", heißt es weiter.
Uneinigkeit bei den Experten
Die Videobotschaft von Barbara Hendricks hält Christian Schmidt offensichtlich für anmaßend.
Er stützt sich auf den neuen UN-Bericht, der am Wochenende erschien. "Es ist unwahrscheinlich, dass das Pflanzengift ein Krebsrisiko für den Menschen darstellt", heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme von Weltgesundheitsorganisation WHO und der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO. Die Organisationen haben verschiedene Studien zu Rate gezogen, die die Gesundheitsgefahren von Glyphosat untersucht hatten. Veränderungen des menschlichen Erbguts hätten nicht zweifelsfrei
nachgewiesen werden können.
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft das Mittel hingegen als "wahrscheinlich krebserzeugend beim Menschen" ein. Diesen Schluss hatte die IARC aus Tierversuchen gezogen. Kurioserweise ist die IARC eine Behörde der WHO.
Das Bundesumweltministerium sieht keinen Widerspruch in den Einschätzungen von IARC einerseits sowie WHO und FAO andererseits. Es differenziert die Gutachten: Die IARC habe das abstrakte Krebsrisiko ermittelt, während WHO und FAO sich auf die Glyphosatmengen bezögen, die Menschen tatsächlich aufnehmen. Und diese sind marginal: In einem Liter Bier wurden bis zu 30 Mikrogramm Glyphosat gefunden.
Dennoch empfiehlt auch die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), die tägliche Aufnahme des Pestizids auf 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht zu begrenzen. Glyphosat wird in der Landwirtschaft, Industrie und Haushalten eingesetzt. Es wurde in Böden, Gewässern und im Grundwasser gefunden.
Deutschland vor der Enthaltung?
Vergangene Woche hatten die SPD-geführten Wirtschafts- und Umweltministerien einen ausgehandelten Kompromiss der Großen Koalition aufgekündigt. Bleibt es bei dem Dissens zwischen SPD und Union, muss sich Deutschland bei der entscheidenden Abstimmung der 27 EU-Staaten am Donnerstag (19.5.2016) in Brüssel enthalten. Damit stünde die Mehrheit für eine erneute Zulassung des umstrittenen Pflanzenschutzmittels auf der Kippe. Auch Frankreich, Italien und die Niederlanden stehen Glyphosat ablehnend gegenüber.
Mit der Enthaltung von Deutschland wäre die nötige Mehrheit für den EU-Vorschlag einer Verlängerung unwahrscheinlich. Der zuständige EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis könnte dann sein Entscheidungsrecht nutzen und die Zulassung genehmigen.
Umweltverbände hinter SPD
Die Umweltverbände begrüßen die Entscheidung der SPD: Dass die deutschen Sozialdemokraten die Wiederzulassung ablehnen, sei ein starkes Signal für den Umwelt- und Verbraucherschutz in Europa, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. "Es gibt keinen Grund, weiterhin unnötige Risiken einzugehen. Glyphosat gehört verboten. Wir appellieren an alle EU-Staaten, eine Wiederzulassung dieses Pestizids abzulehnen", so Weiger.
EU-Parlament äußert Bedenken und fordert Einschränkungen
In der EU könnte sich ein Kompromiss abzeichnen: Statt einer Zulassung des Pflanzengifts um weitere 15 Jahre, so wie es die EU-Kommission ursprünglich vorschlug, sprachen sich die Abgeordneten für eine Zulassung von sieben Jahren aus und dies auch nur mit erheblichen Einschränkungen.
Das Parlament fordert, die private Anwendung und den Einsatz von Glyphosat in Parks, auf Spielplätzen und in öffentlichen Gärten zu verbieten. Darüber hinaus beschloss das Parlament, dass Glyphosat in Zukunft nur noch dann angewendet werden dürfe, wenn es keine anderen Möglichkeiten der Unkrautbekämpfung gibt. Außerdem soll die Kommission eine unabhängige Überprüfung einleiten: Es solle genau geprüft werden, wie giftig, krebsfördernd oder hormonschädigend Glyphosat ist.
Der neue Entwurf der EU-Kommission enthält die Forderungen des EU-Parlaments, Glyphosat zu begrenzen, allerdings nicht. Die EU-Kommission schlägt jetzt die Zulassung von Glyphosat um weitere neun Jahre ohne verbindliche Beschränkungen vor.
In Berlin erwarten Regierungskreise, dass das Kanzleramt kurzfristig noch einen Schlichtungsversuch unternimmt, damit Deutschland in Brüssel mit einer eindeutigen Stimme spricht.
Denn die Entscheidung Brüssels über die Zukunft von Glyphosat bedeutet eine Entscheidung über künftige Methoden der Landwirtschaft. Das Pflanzengift hat sich zu einem der wichtigsten Hilfsmittel der konventionellen Agrarindustrie entwickelt.