"Glyphosat bedroht Artenvielfalt"
10. Mai 2016Deutsche Welle: Herr Wogram, Sie leiten im Umweltbundesamt das Fachgebiet "Pflanzenschutzmittel" und begleiten das Verfahren um die weitere Zulassung von Glyphosat in der EU. Deutschland will das umstrittene Pestizid in der EU nur mit Auflagen. Warum?
Bei der Zulassungsbewertung von Pflanzenschutzmitteln gibt es noch blinde Flecken. Einer davon: Äcker sind nicht nur Produktionsstätten für Nahrungsmittel, sondern auch Lebensräume für Pflanzen, Insekten und Vögel. Und dieser Artenreichtum, dieses Gefüge erlebt einen starken Eingriff durch Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat. Dieses sogenannte Breitbandherbizid tötet Pflanzen aller Arten schnell ab. Damit wird das Artengefüge sehr stark gestört.
Wie genau?
Wenn keine Ackerbegleitkräuter mehr wachsen, fehlt Insekten die Nahrungsgrundlage. Von diesen Insekten leben wiederum Feldvögel. Das Nahrungsnetz wird also zerstört.
Der dramatische Rückgang der Vogelbestände macht diese Wirkung deutlich. Zum Beispiel sehen wir im Vergleich zu den 1980er-Jahren eine Abnahme von Rebhühnern von mehr als 90 Prozent in Deutschland. In vielen Regionen gibt es diese Vögel bereits gar nicht mehr.
Der Einsatz von Glyphosat ist in starkem Maße für diese Entwicklung mitverantwortlich - er ist der am häufigsten angewendete Herbizidwirkstoff. Zwar gibt es auch andere Einflussfaktoren, aber Pflanzenschutzmittel haben daran einen starken Anteil.
Glyphosat fördert also die Monokultur und bedroht dadurch den Erhalt der Artenvielfalt?
Richtig. Der Acker ist eine gewollte Monokultur, doch mit Glyphosat verwirklicht man dieses Ziel vergleichsweise radikal. Das Problem ist die Behandlung von sehr großen Flächen mit viel Glyphosat und die Gründlichkeit, mit der Glyphosat jeglichen Bewuchs beseitigt.
Beim ökologischen Ackerbau werden keine Herbizide eingesetzt, und die Unkrautbekämpfung erfolgt zum Beispiel mit Umpflügen. Solche mechanischen Verfahren sind oft weniger gründlich und so für den Erhalt der Artenvielfalt besser. Es verbleiben hier noch mehr andere Kräuter für Insekten und letztendlich die Vögel.
Welchen Einfluss hat Glyphosat auf die Gewässer?
Bei starkem Regen besteht das Risiko, dass Herbizide vom Acker gewaschen werden und in Grundwasser, Flüsse und Seen gelangen. Auch Glyphosat und seine Abbauprodukte finden wir im Wasser, allerdings bezogen auf die angewendete Menge weniger als manche andere, stärker wasserlösliche Herbizide.
Allgemein gilt: In Deutschland haben wir zwar ein hohes Qualitätsniveau für das Trinkwasser. Für den Erhalt dieser Qualität betreiben die Wasserversorger aber einen großen Aufwand. Sie bohren tiefere Brunnen, die nicht mit Herbiziden verunreinigt sind oder sie reinigen das Grundwasser mit Aktivkohle. Das wird über den Wasserpreis auf die Verbraucher umgelegt.
Nach Angaben der internationalen Krebsforschungsagentur ist Glyphosat wahrscheinlich krebserregend für den Menschen und wirkt sich auch auf die Fortpflanzung aus. Welche Erkenntnisse gibt es in der Tierwelt?
Im Bereich der Umweltbewertung hat sich keine kritische Giftigkeit von Glyphosat für Säuger oder Vögel gezeigt. Problematisch ist Glyphosat allerdings wegen des Effektes, dass es nach seiner Anwendung keine Nahrung mehr für Tiere gibt.
Deutschland will die weitere Zulassung von Glyphosat nur unter strengen Umweltkriterien zustimmen. Sie beraten diesbezüglich das Umweltministerium. Welche Auflagen sind hier erforderlich, damit Deutschland zustimmt?
Glyphosat wird in sehr großen Mengen eingesetzt, in Deutschland sind das ungefähr 5000 Tonnen pro Jahr. Zum Schutz der biologischen Vielfalt brauchen wir Flächen, auf denen Glyphosat nicht eingesetzt wird - und auch keine anderen Pflanzenschutzmittel.
Wir halten es für nötig, dass bei Anwendung von Glyphosat ein Teil der Betriebsflächen dann dem ökologischen Ausgleich dient. Diese Brachflächen oder gesäten Blühstreifen sind dann ein Rückzugsraum für Tier- und Pflanzenarten, die auf Äckern leben. Sie bieten zum Beispiel ein Nektarangebot für Wild- und Honigbienen.
Außerdem müssen Mindestabstände zu Gewässern eingehalten werden. Mit diesen Maßnahmen könnten die Auswirkungen von Glyphosat gemindert und zumindest zum Teil kompensiert werden.
Das Umweltbundesamt empfiehlt, eine Steuer auf synthetische Pflanzenschutzmittel zu prüfen. Gibt es hier Vorbilder?
Eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel gibt es schon in einigen Ländern. In der EU hat diesbezüglich vor allem Dänemark einige Erfahrungen gesammelt.
Zum einen kann so eine Steuer lenken: Durch eine Verteuerung von Pestiziden werden Landwirte motiviert, nicht auf chemische Maßnahmen bei der Unkraut- und Schädlingsbekämpfung zu setzen. Damit kann eine Steuer helfen, Reduktionsziele zu erreichen.
Zum zweiten können mit den Einnahmen die Umweltrisiken reduziert werden, zum Beispiel durch Beratung. Oft fehlt es Landwirten an zuverlässigen Informationen, ob sie ein Pflanzenschutzmittel für den gewünschten Ernteerfolg einsetzen müssen, ob sie reduzieren und verzichten können.
Eine Steuer kann solche Beratungsangebote finanzieren. Aber auch die konkreten Schutzmaßnahmen wie Randstreifen zu den Gewässern oder die ökologischen Ausgleichsflächen mit Blühstreifen können mit den Einnahmen gefördert werden.
Die EU will jetzt Mitte Mai über die weitere Zulassung von Glyphosat entscheiden. Was ist ihre Prognose?
Die EU-Kommission hat bislang keine Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten gefunden und bemüht sich derzeit mit Kompromissvorschlägen. Das Ergebnis ist offen.
Die Bundesregierung hat eine klare Haltung formuliert und stellt Bedingungen für ein Ja zur weiteren Zulassung von Glyphosat. Unter anderem muss die biologische Vielfalt vor den Auswirkungen des Einsatzes von Glyphosat besser geschützt werden.
Unser Bewertungsbericht zu Glyphosat liegt der EU-Kommission vor. In ihm haben wir konkrete Vorschläge gemacht. Dazu gehört die Einrichtung von ökologischen Ausgleichsflächen, die bedrohten Ackerarten als Lebensraum dienen.
Dr. Jörn Wogram leitet im Umweltbundesamt (UBA) das Fachgebiet "Pflanzenschutzmittel" und berät die Bundesregierung und EU zum Verfahren für die weitere Genehmigung von Glyphosat. Für einen nachhaltigen Pflanzenschutz hat das UBA ein 5-Punkte-Programm entwickelt.
Das Interview führte Gero Rueter.