Giftgas und Luftangriff: Rätselraten um Urheber
9. April 2018Eine "starke gemeinsame Reaktion" hatten US-Präsident Donald Trump und sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron in Reaktion auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz mit dem Vernehmen nach mindestens 150 Toten und rund 1000 Verletzten gegen die Rebellen auf die Rebellenhochburg Duma im Südwesten Syriens angekündigt.
Das Assad-Regime leugnete einen Giftgasangriff zwar entschieden. Doch nur einen Tag später wurde der Militärflughafen Taifour (T4) in der Provinz Homs von einem bislang unbekannten Angreifer attackiert. Dabei wurden mutmaßlich mindestens 14 Menschen getötet, unter ihnen nach Informationen der "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte" auch iranische Kämpfer. War das ein Zufall? Oder die "starke Reaktion", die Trump und Macron angekündigt hatten?
Auf jeden Fall will US-Präsident Donald Trump nun rasch über eine Antwort auf den mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien entscheiden. Seine Regierung werde diese Entscheidung "sehr schnell treffen, wahrscheinlich noch vor Ende des Tages", sagte der US-Präsident am Montag. Möglich ist aber auch, dass die US-Entscheidung zum weiteren Vorgehen in dem Bürgerkriegsland noch über den Montag hinaus auf sich warten lässt. Er werde diese Entscheidung "innerhalb der nächsten 24 bis 48 Stunden" treffen, sagte Trump auch.
Zunächst beschuldigten syrische Staatsmedien die USA, für den Luftangriff verantwortlich zu sein. Doch das Pentagon dementierte: "Derzeit führt das Verteidigungsministerium keine Luftschläge in Syrien aus", erklärte ein Sprecher am Sonntagabend.
Kurz darauf brachte Russland einen anderen Verantwortlichen ins Spiel: Der Angriff gehe auf das Konto der israelischen Streitkräfte. Zwei israelische Kampfjets vom Typ F-15 hätten in der Nacht zum Montag aus dem libanesischen Luftraum heraus acht Raketen auf den Flugplatz abgefeuert, erklärt das russische Verteidigungsministerium den Agenturen Tass und Interfax zufolge.
Giftgaseinsatz: Nachweis ist mühsame Detektivarbeit
Ob der Angriff auf den Flughafen und der Giftgaseinsatz miteinander in Zusammenhang stehen, ist derzeit offen. Eine Kausalkette herzustellen, ist schon deshalb problematisch, weil zunächst einmal der Giftgasangriff eindeutig bewiesen werden müsste. Diese Aufgabe wird jetzt die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) übernehmen. Der Nachweis, wer für den Giftgaseinsatz verantwortlich ist, gilt allerdings als komplexes und mühevolles Unterfangen.
Wichtig ist es, die Untersuchungen möglichst umgehend zu starten, denn viele der in den verschiedenen Giftgasen enthaltenen Komponenten zerfallen recht zügig, schreibt der Terrorismus- und Waffenexperte Dan Kaszeta auf der Website des investigativen Recherchenetzwerks bellingcat.
Die Stoffe könnten entweder schnell verdampfen sich mit anderen Elementen vermengen. So habe etwa das im syrischen Krieg bereits mehrfach eingesetzte Gas Sarin die Eigenschaft, noch schneller als Wasser zu verdampfen. Das mache eine Identifizierung ausgesprochen schwierig. Darin unterscheide es sich von dem Nervengas VX, das extrem langsam verdampft und damit länger nachweisbar ist.
Bei der Identifizierung der Kampfstoffe haben die Ermittler aber immer auch Grund zur Hoffnung, denn die Chancen stehen gut, dass nicht sämtliche Stoffe verdampft sind. Einige können in das gebrauchte Material oder auch in den Boden in unmittelbarer Nähe des Einschlagorts oder in die Kleidung der Opfer einsickern und sich dort zumindest etwas länger erhalten.
Die Kenntnis über die Zersetzungsprozesse einiger Gase hilft den Wissenschaftlern auch weiter: Beim Zerfall verwandeln sie sich in andere Stoffe, von denen man jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den ursprünglichen Stoff schließen kann. Da Nervengase meist aus mehreren einzelnen Komponenten bestehen, lasse sich auch aus der die Kombination der Restspuren auf das jeweils eingesetzte Gas schließen, so Kaszeta.
Zugleich lassen auch die Spuren der Verletzungen bei den Opfern, etwa in den Atemwegen oder auch im Blut, Rückschlüsse auf die eingesetzten Stoffe zu.
Weitere Internationalisierung des Krieges
Kurz nach dem Angriff auf Duma beschuldigte auch die Türkei das Assad-Regime, Giftgas eingesetzt zu haben. Auszuschließen ist das nicht. Dagegen spricht allerdings, dass das Regime die Rebellen bereits weitgehend besiegt hat und die Gespräche über deren Rückzug nahezu abgeschlossen sind. Unter diesen Umständen wäre ein Giftgasangriff eine unnötige weitere Provokation.
Denkbar ist allerdings auch etwas anderes: Der Krieg ist seit einigen Monaten in eine neue Phase getreten. "Er wird insofern immer problematischer, als ständig neue Konfliktebenen hinzukommen, sagt Bente Scheller, Leiterin des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. "Derzeit schalten sich vor allem die regionalen Akteure verstärkt ein: der Iran, die Türkei und Israel."
Unter diesen Umständen könnte das Regime versucht sein, die Rebellen mit einem Giftgasangriff zusätzlich unter Druck zu setzen, um ihren Auszug zu beschleunigen. In künftigen Verhandlungen mit dem Iran um die politische und gesellschaftliche Zukunft des Landes hat die Assad-Regierung einen umso besseren Stand, je zahlreicher die militärischen Erfolge sind, die sie aus eigener Kraft errungen hat.
Israel: als Angreifer nicht ausgeschlossen
Derselbe Grund – die wachsende Internationalisierung des Krieges – lässt es auch plausibel erscheinen, dass Israel für den Angriff auf den Flughafen Taifour verantwortlich sein könnte. Dies umso mehr, als sich das israelische Militär bereits zu über hundert Luftangriffen auf syrischem Terrain bekannt hat. Israel ist alarmiert wegen der verstärkten Präsens des Iran und der ihm verbundenen Hisbollah auf syrischem Gebiet. Tatsächlich wurden bereits einige Hisbollah-Kämpfer in unmittelbarer Nähe der israelischen Grenze gesichtet.
Im israelischen Radiosender "Radio 103" erklärte der ehemalige israelische Luftwaffenkommandant Ben Eliyahu, es spreche sehr viel für die Annahme, dass Israel hinter dem Angriff stehe. "Die einzigen, die Syrien aus der Luft angreifen könnten, sind die Amerikaner oder die Israelis", zitiert die Jerusalem Post aus dem Radio-Gespräch. "Dieses Gebiet ist von den Israelis in der Vergangenheit bereits angegriffen worden. Ich selbst hatte einen dieser Angriffe geleitet." Auch zu dem Hintergrund eines solchen Angriffs äußerte sich Eliyahu: "Israels hat das Ziel, den Iran daran zu hindern, sich in Syrien festzusetzen. Insofern könnte der Angriff eine weitere Warnung an das syrische Regime gewesen sein: Gewährt es dem Iran zu viel Raum auf seinem Terrain, könnte das zu Spannungen mit Israel führen. Der Krieg in Syrien weitet sich aus.