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Gideon Mendel: "Das Wichtigste ist der Blick"

Philipp Jedicke
24. Mai 2018

Der südafrikanische Fotokünstler Gideon Mendel nimmt in seiner Arbeit die großen Missstände unserer Zeit ins Visier, darunter den Klimawandel. Die Fototriennale RAY zeigt seine Serie "Drowning World" über Flutopfer.

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Porträt Gideon Mendel Fotograf
Bild: Privat

Gideon Mendel ist mehr als ein Fotograf - er ist Aktivist. Er ist für seine Bildgestaltung mindestens ebenso bekannt wie für seine langjährige Hingabe für soziale Projekte. Der 1959 in Johannesburg geborene Mendel begann seine Karriere mit Aufnahmen der letzten Jahre der Apartheid. 1991 zog er nach London und widmet sich seit dieser Zeit den Folgen der HIV/AIDS-Epidemie. Seit 2007 beschäftigt sich Mendel außerdem mit dem Projekt "Drowning World", seine persönliche Reaktion auf den Klimawandel. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche renommierte Auszeichnungen, darunter den Jackson Pollock Prize for Creativity, den Greenpeace Photo Award, den Amnesty International Media Award sowie sechs World Press Photo Awards. Im DW-Interview erklärt er, was ihn antreibt.

DW: Herr Mendel, wie würden Sie Ihre Herangehensweise an das Medium Fotografie beschreiben?

Gideon Mendel: Ich sehe Fotografie als Medium, das in der Welt wirken kann. Ich habe sie immer mit meinen persönlichen Sorgen um die Welt verbunden und versucht, durch sie einige der großen sozialen und politischen Themen meiner Generation zu behandeln. Ich habe als junger Fotograf in den letzten Jahren der Apartheid angefangen. Ich war Teil der sogenannten "Struggle"-Fotografen, die den Kampf gegen die Apartheid im Fokus hatten. Einen großen Teil meiner Karriere habe ich mich mit dem Thema HIV und AIDS beschäftigt, besonders in Afrika, und mit dem Ringen um medizinische Behandlung. "Drowning World" ist mein Versuch, über Klimawandel und globale Erwärmung zu sprechen.

Was war der Auslöser für Sie, "Drowning World" anzugehen?

Die Idee entstand in der Zeit, als ich Vater wurde. Ich versuchte, mir die Welt vorzustellen, in der meine Kinder einmal in meinem Alter leben würden. Ich begann, über Erderwärmung und Klimawandel zu recherchieren. Die Bildsprache dazu kam mir damals sehr begrenzt und distanziert vor: viele weiße Gletscher und Eisbären. Ich wollte etwas aus dem Bauch heraus machen, das die Leute mitten ins Herz trifft. Ich wollte mit meiner Arbeit etwas bewirken. Und wenn man das will, muss man offen für neue Wege sein. Meine Idee war es, Porträts von Leuten zu machen, umgeben von der Flut, die direkt in die Kamera blicken. Das Wichtigste daran sollte von Anfang an dieser Blick sein. Ich nenne sie "Submerged Portraits" (dt. versunkene Portraits, Anm. d. Red.).

Später kamen weitere Narrative dazu: die "Floodlines" (dt. Flutlinien), in denen ich den Spuren der Überschwemmungen durch öffentlichen und privaten Raum folge. Dann die "Watermarks" (dt. Wasserzeichen), in denen ich von der Flut beschädigte persönliche Bilder zeige. Parallel habe ich begonnen zu drehen. Viele meiner Arbeiten aus den Überschwemmungsgebieten sind Videos, ich nenne sie "Water Chapters" (dt. Wasserkapitel).

Wurden Sie für die "Submerged Portraits" auch kritisiert, Stichwort Katastrophentourismus?

Wenn es Kritik gibt, dann von Leuten aus dem dokumentarischen Bereich und der Welt des Fotojournalismus'. Sie fragen mich, warum ich in einer überfluteten Zone solch konstruierte Bilder mache. Denn sie sind tatsächlich sehr konstruiert. Ich suche die Leute, die Orte und die Pose aus. Für mich ist dieser Prozess jedoch ein gemeinsamer. Die von mir porträtierten Menschen sehen ihn als Chance, gesehen zu werden. Meine Fotos legen Zeugnis darüber ab, was ihnen zugestoßen ist. Viele von ihnen empfinden das als geradezu heilsame Erfahrung. Ich war lange selbst ein klassischer Fotojournalist. Ich bewege mich mit diesem Projekt weg davon, hin zu Kunst und Aktivismus.

Was hat Sie am meisten beeindruckt bei Ihrer Arbeit mit den Flutopfern?

Ich bin sehr bewegt von den Menschen, die ich kennenlerne. Vor allem davon, wie sie sich gegenseitig in dieser Lage helfen. Ich habe faszinierende Menschen kennengelernt. Ich fotografiere sie scheinbar nur, aber sie hinterlassen tiefe Spuren in mir.

Viele einflussreiche Politiker leugnen heutzutage den Klimawandel. Was löst das in Ihnen aus?

Es gibt mir noch mehr Energie, meine Arbeit zu machen und sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Es ist sehr schwer, den Klimawandel zu illustrieren und über ihn zu reden. In dieser verrückten Welt gibt es immer noch Menschen, die ihn leugnen, und große Konzerne und ganze Industrien investieren viel Geld, um es so aussehen zu lassen, als gäbe es ihn nicht. Was in den USA passiert, ist erschreckend. Ich will, dass meine Bilder ein Teil der Stimmen gegen diese Entwicklung sind.

Sie behandeln immer wieder sehr harte Themen. Wie finden Sie einen Ausgleich dazu?

Ich werde oft gefragt: "Inwieweit beeinflusst Sie Ihre Arbeit?". Ich wusste nie, was ich darauf antworten sollte. Ich habe kürzlich mit meiner Frau darüber gesprochen. Sie ist Krankenschwester, ich habe sie vor 25 Jahren in einer AIDS-Station kennengelernt. Für sie ist die Sache ganz klar. Sie sagte zu mir: "Du bist einer dieser gestörten Menschen, die Probleme damit haben, eine Beziehung zu ihren Kindern und ihrer Familie aufzubauen, also zu den Menschen, die dir am wichtigsten sind. Bei Fremden in Notsituationen fällt dir das aber ganz leicht." Manchmal brauchst du ehrliche Lebensgefährten, die die Dinge beim Namen nennen.

Das Gespräch führte Philipp Jedicke.

Die Werke von Gideon Mendel sind vom 24.05. bis zum 09.09.2018 in der Ausstellung "EXTREME. ENVIRONMENTS" im Fotografie Forum Frankfurt im Rahmen der Fototriennale RAY 2018 zu sehen.