NATO vertröstet Georgien
7. September 2016Er war umjubelter Don Carlos auf den führenden Opernbühnen der Welt. Jetzt hat der georgische Opernsänger Paata Burchuladze gute Aussichten, bei den Parlamentswahlen im kommenden Monat die politische Bühne Georgiens zu erobern. Der populäre Bass, der sich als konservativ definiert, will die eher sozialdemokratische Regierung der Partei "Georgiens Traum" aus dem Amt hebeln. Das hauptsächliche Wahlkampfthema ist aber die Wirtschaft, nicht Georgiens außenpolitischer Kurs, wie die NATO-Botschafter bei ihrem Besuch in Tiflis erfahren konnten. Die großen Parteien, ob links oder rechts, halten am klaren Kurs der Westintegration Georgiens fest. Das Land will in die NATO und in die Europäischen Union. Seit über acht Jahren stehen die Georgier geduldig in der Warteschlange.
Russland legt Steine in den Weg
Die Tür der NATO bleibt offen für neue Mitgliedsstaaten. Das hat die Militärallianz 2008 beim Gipfeltreffen in Bukarest beschlossen. Dem Staat Georgien, einer ehemaligen Sowjetrepublik mit vier Millionen Einwohnern am Schwarzen Meer, wurde zugesagt, dass er Mitglied der Militärallianz werden kann, sobald er alle Voraussetzungen erfüllt. In Bukarest war der russische Präsident Wladimir Putin zum letzten Mal bei einem NATO-Treffen dabei. Er kritisierte den Beschluss damals heftig und lehnt seither jegliche Erweiterung des Bündnisses kategorisch ab.
Formal hat Russland natürlich kein Mitspracherecht, aber Putin schaffte Fakten. Im August lieferte er sich eine kurze kriegerische Auseinandersetzung mit der georgischen Führung. Russland verteidigte die pro-russischen Separatisten in Südossetien und Abchasien, schlug die georgische Armee zurück und besetzte de facto 20 Prozent des georgischen Territoriums. Dieser "eingefrorene" Konflikt zwischen Georgien und Russland steht einer Mitgliedschaft des Kaukasus-Staates immer noch entgegen. Der NATO beitreten können eigentlich nur Staaten, die keine territorialen Konflikte mit Nachbarn haben. Außerdem wolle man wegen des angespannten Verhältnisses zu Russland im Konflikt um die Ukraine und die Krim zurzeit keinen weiteren Ärger provozieren, heißt es von NATO-Diplomaten in Brüssel.
Martin Schäfer, der Sprecher des Auswärtigen Amtes, sagte im April in Berlin, eine Mitgliedschaft Georgiens in der NATO sei "im Moment nicht im engeren Fokus". Es könne eine Kooperation mit der NATO geben. "Was daraus wird, muss man dann noch abwarten."
Georgiens enge Bande zu den USA
Auf allen NATO-Gipfeltreffen seit 2008 wurde die Allianz mit Georgien erneuert und zuletzt auch die "technische" Beitrittsreife konstatiert. Die Streitkräfte Georgiens seien hervorragend aufgestellt und auch das politische Umfeld in Georgien sei gut, bescheinigen NATO-Diplomaten in Brüssel. Nur das weitere Umfeld, das Verhältnis zum großen Nachbarn Russland, stimme eben nicht. Vom größten NATO-Partner, den USA, wird Georgien sehr geschätzt. Kaum ein Land in Europa ist so amerikafreundlich.
Der ehemalige US-Präsident George W. Bush grüßt auf einem riesigen Plakat ankommende Reisende auf der Fahrt vom Flughafen in die Hauptstadt Tiflis. Die Autobahn zum Flughafen trägt Bushs Namen. David J. Kramer vom konservativen amerikanischen Thinktank McCain Institute warnt denn auch, man dürfe die Georgier nicht immer weiter hinhalten. Die Enttäuschung steige. "Die Ukraine und Georgien müssen in eine gemeinsame NATO-Strategie mit Rumänien, Bulgarien und der Türkei zur Stabilisierung der Schwarzmeer-Region eingebunden werden", schrieb Kramer im Online-Portal "Politico". Der amerikanische Außenminister John Kerry besuchte erst im Juli Georgien und forderte Russland erneut auf, die Besetzung georgischen Bodens zu beenden.
Gemeinsam üben und hinhalten
Die NATO bemüht sich, die Georgier mit immer neuen Kooperationsvorhaben bei der Stange zu halten. Im vergangenen Jahr wurde ein gemeinsames Trainingszentrum in Tiflis eingerichtet. 30 Militärberater der NATO sind ständig in Georgien präsent. Seit Jahren führen NATO-Truppen gemeinsam mit georgischen Soldaten Manöver durch. Das führt zu regelmäßigen Protesten Russlands. Erst im Mai verurteilte der Kreml die gemeinsamen Manöver mit US-Soldaten als "Provokation, die darauf abzielen absichtlich die Kaukasus-Region zu destablisieren." Die NATO bildet georgische Soldaten weiter, unterstützte den Aufbau einer zivilen Verwaltung des Militärs. Georgien revanchiert sich mit starken Engagement in fast allen multinationalen Operationen, die von der NATO geführt werden. Georgische Truppen beteiligen sich bis heute an den Missionen in Afghanistan.
Verglichen mit seiner Größe stellt das Land weit mehr Soldaten als manches NATO-Mitgliedsland, loben NATO-Diplomaten in Brüssel. Die "Interoperabilität", also die Fähigkeit mit Soldaten aus anderen Staaten zusammen zu arbeiten, sei höher als bei manchem NATO-Mitgliedsland. Regelmäßig treffen sich der NATO-Generalsekretär und die georgische Staatsführung. An diesem Mittwoch und Donnerstag bringt Generalsekretär Jens Stoltenberg sogar den kompletten NATO-Rat, also die Botschafter sämtlicher Mitgliedsstaaten, mit nach Tiflis. Die sollen sich von Leistungsfähigkeit der georgischen Armee überzeugen und den Georgiern signalisieren, dass die Allianz weiter an einer Mitgliedschaft interessiert ist, aber eben nicht bald.
Präsident will Kurs halten
Bei seinem letzten Besuch im NATO-Hauptquartier im Juni in Brüssel sagte der georgische Präsident Giorgi Margwelaschwili, dass die Mitgliedschaft eine Top-Priorität für die nationale Entwicklung Georgiens bleibe. "Wir glauben, dass die euro-atlantische Integration unseres Landes durch die demokratischen Prozesse bei uns gefördert werden. Dafür werden die Parlamentswahlen am 08. Oktober ein weiterer Schritt sein." Bei diesen Wahlen allerdings könnten erstmals pro-russische Parteien Sitze in nationalen Parlament erobern. Diese Gruppierungen lehnen eine Mitgliedschaft Georgiens in der NATO und auch der Europäischen Union ab.