Zwei bosnische Ereignisse im März
29. März 2019Das letztinstanzliche Urteil des Haager Jugoslawien-Tribunals hat den ehemaligen bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić endgültig schuldig gesprochen: für die Menschenrechtsverbrechen in Bosnien-Herzegowina und insbesondere für den Genozid in Srebrenica. Seine Haftstrafe wurde in lebenslänglich umgewandelt. Für die Schwere der Verbrechen, die geplante Ermordung zig-Tausender unschuldiger Menschen, war ein anderes Strafmaß auch kaum denkbar. Umso erstaunlicher ist es, dass Politiker, die heute Verantwortung für Bosnien-Herzegowina tragen, an diesem Urteil des Hohen Gerichts in Den Haag herumkritisieren und die Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen, die zu den schlimmsten Verbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa gehören, bagatellisieren oder sogar gänzlich leugnen.
Das ewige Leugnen
Der heutige Staatspräsident von Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, Repräsentant der Republika Srpska und Vertreter des serbischen "konstituierenden Volkes", der 2008 öffentlich gesagt hatte "es war Genozid in Srebrenica", bestreitet genau das heute und behauptet, dass kein Genozid passiert sei. Mit dieser Lüge lädt Dodik schwere Schuld auf sich.
Auch in Deutschland gab es nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Ahndung der Verbrechen des Holocausts im Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg eine ähnliche Situation: Zwar wurden die Täter zum Tod oder zu sehr langen Haftstrafen verurteilt, aber trotzdem gab es Bürger und Politiker, die die Tötung in den Konzentrationslagern wie Auschwitz einfach leugneten. Darauf hat der Deutsche Bundestag, das höchste Parlament in der Bundesrepublik, ein Gesetz verabschiedet, dass die Leugnung des Holocausts unter Strafe stellt. Warum geschieht das nicht ebenso in Bosnien-Herzegowina? Wenn es Politiker gibt, die durch ihre Stimmen im Parlament ein solches Gesetz verhindern, dann wäre es Aufgabe des Hohen Repräsentanten, der den Friedensprozess in Bosnien-Herzegowina überwacht, ein Gesetz zu erlassen, um den Rechtsstaat zu schützen.
Tschetniks an der Drina
Ein anderes Ereignis dieses Monats gibt ebenfalls zu denken. In der ersten Märzhälfte gab es einen unglaublichen Auftritt serbischer Tschetniks im bosnischen Višegrad an der Drina. Mehrere hundert Tschetniks kamen in ihren schwarzen Uniformen und brüllten ihre alten Kriegslieder: "Es wird wieder die Hölle und eine blutige Drina (geben), hier kommen die Tschetniks von den serbischen Bergen". Im Jahre 1943 begingen die Tschetniks genau in dieser Gegend, im Tal der Drina, zusammen mit der deutschen Wehrmacht, den Nazis schwerste Verbrechen. Der Oberkommandierende Draža Mihailović führte diese Terrorbande an und ermordete Tausende von Menschen. Er wurde 1946 von einem Gericht in Belgrad zum Tode verurteilt. Ausgerechnet ihn sollte dieser provokative Auftritt jetzt im März 2019 ehren! Die deutsche Zeitung "taz" schreibt völlig richtig: "50 Jahre später, 1993, wiederholten sich die Ereignisse: Serbische Extremisten überfielen die Städte Foča, Višegrad und töteten tausende von Bosniaken, brachten überlebende Frauen in Vergewaltigungslager - zu einem Hotel drei Kilometer von Višegrad entfernt - und warfen lebende Männer gefesselt in die Drina."
3.000 Menschen sollen damals ums Leben gekommen sein. Solche Ereignisse heute zum Anlass einer Siegesfeier zu machen, übersteigt das Vorstellungsvermögen aller Demokraten. Man stelle sich vor, in Deutschland würden sich heute mehrere hundert frühere SS-Angehörige in ihren Uniformen versammeln, Hitler-Lieder singen und eine Feier für SS-Chef Heinrich Himmler veranstalten - unvorstellbar! Wie man hört, hat die bosnische Staatsanwaltschaft eine Untersuchung eingeleitet. Diese Untersuchung muss schnell zu einem Ergebnis geführt und entsprechende Gerichtsverfahren eingeleitet werden.
Klare Verbote müssen Gesetz werden
Ich empfehle dringend, dass Bosnien-Herzegowina, wenn es die Demokratie schützen will, schnell fehlende Gesetze im Parlament verabschieden muss. Nicht nur die Leugnung des Genozids in Srebrenica muss unter Strafe gestellt werden, sondern genauso die Mitgliedschaft oder offensichtliche Zusammenarbeit mit faschistischen Vereinigungen. Und wenn die Verabschiedung solcher Gesetze wieder an dem Veto einer der "konstituierenden Völker" scheitern sollte, muss der Hohe Repräsentant eingreifen. Nichts in Bosnien-Herzegowina ist wichtiger als das Überleben der Demokratie!
Der große Historiker und politische Wissenschaftler Karl Popper hat nach dem Zweiten Weltkrieg sein in der Emigration verfasstes Buch, "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" veröffentlicht. Er schrieb: "Die Demokratie ist ein unschätzbares Kampffeld für jede vernünftige Reform, da sie Reformen ohne Gewaltanwendung zulässt. Aber wenn die Erhaltung der Demokratie nicht zur ersten Regel jeder einzelnen Schlacht auf diesem Kampffeld gemacht wird, dann können die latenten antidemokratischen Tendenzen, die es ja immer gibt, einen Zusammenbruch der Demokratie herbeiführen. Wo das Verständnis für diese Prinzipien fehlt, dort muss für seine Entwicklung gekämpft werden; die umgekehrte Politik kann sich als verhängnisvoll erweisen; sie kann dazu führen, dass der wichtigste Kampf verloren geht, nämlich der Kampf um die Demokratie selbst."
Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling war von 1982 bis 1992 Bundesminister für Post und Telekommunikation. Aus Protest gegen die Haltung der Bundesregierung im Bosnien-Krieg trat er vom Ministeramt zurück. 2006/07 amtierte er als Hoher Repräsentant und Sonderbeauftragter der Europäischen Union für Bosnien-Herzegowina.