"Karadžić ist kein Held, sondern ein Kriegsverbrecher"
22. März 2019DW: Herr Brammertz, lebenslänglich für Karadžić. Ist das ein gerechtes Urteil?
Serge Brammertz: Es ist sicherlich ein wichtiges Urteil. Wir hatten Berufung eingelegt, weil wir der Meinung waren, dass die Strafe erhöht werden sollte. Insofern sind wir also sehr zufrieden mit einer lebenslänglichen Haftstrafe für die massiven Verbrechen, für die Karadžić in Berufung verurteilt wurde.
Es ist Ihnen wieder nicht gelungen Karadžić die Schuld im Anklagepunkt eins nachzuweisen. Es geht um Genozid in sieben bosnischen Gemeinden im Jahr 1992. Was sind die Gründe dafür?
Wir sind als Anklagebehörde immer der Meinung gewesen, dass der Völkermord in Srebrenica eigentlich schon in den Gemeinden 1992 angefangen hat. Die Richter sind uns da nicht gefolgt. Auch nicht in den vorherigen Verfahren. Dass heißt, wir haben seit bestehen des Gerichts immer wieder versucht, eine Verurteilung für Völkermord auch in den anderen Gemeinden zu erwirken. Doch leider erfolglos. Ich möchte aber erwähnen, dass für die Verbrechen die dort begangen wurden auch heute das höchste Strafmaß ausgesprochen wurde. Dann eben nicht als Völkermord, sondern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen.
Viele Zeugen, sogar hohe serbische Polizeibeamte, haben im Prozess Karadžić schwer belastet. Ihren Angaben zufolge sollen alle Krisenstäbe in allen Gemeinden auf dem Territorium der Republika Srpska nach dem gleichen Schema die Deportationen und ethnischen Säuberungen der bosnischen Kroaten und Muslime vollzogen haben. Warum hat dies nicht gereicht, um die Intention eines Genozids nachzuweisen - zumindest in diesen sieben Gemeinden?
Wir haben diese Zeugen vor Gericht gerufen um die Richter zu überzeugen, dass es die gleiche kriminelle Intention ist, der gleiche beginnende Völkermord. Leider haben auch all die dutzenden Zeugen die Richter nicht davon überzeugen können.
Was ist mit der Verantwortung Serbiens an den Verbrechen in Bosnien? Den Anklägern ist es im Fall von "Prlić und die Anderen” gelungen, die Einmischung Kroatiens in den Krieg in Bosnien nachzuweisen, aber nicht von Serbien. Es sieht so aus, als ob das Regime von Milošević nicht an dem Krieg in Bosnien beteiligt war.
Ja, so ist es natürlich nicht. In der Tat sind im Prlić-Verfahren direkte Verbindungen nach Zagreb und der damaligen Regierung von den Richtern festgestellt worden. Die Verfahren Stanišić und Simatović laufen immer noch und Stanišić war Chef des Nachrichtendienstes von Belgrad. In dem Verfahren versuchen wir natürlich diese Verbindungen von Belgrad und den Verbrechen die in Bosnien und Herzegowina begangen wurden, herzustellen.
Gab es gar keine Beweise für eine Verbindung zwischen Karadžić und Belgrad?
Das Verfahren ist natürlich immer sehr spezifisch und bezieht sich auf die Person, die gerade vor Gericht steht. Karadžić, als höchster Verantwortungsträger in der "Republika Srpska”, wurde natürlich verfolgt für die Straftaten, die er in Bosnien und Herzegowina begangen hat. Es war natürlich sein Verfahren. Das war nicht das Verfahren gegen Belgrad oder Serbien.
Die Opfer haben Angst, dass Karadžić noch auf freien Fuß kommt. Was bedeutet "Lebenslänglich" für Karadžić? In manchen Ländern wie Deutschland oder Belgien bedeutet das oft, dass man im Gefängnis nicht länger als 25 Jahre verbringt.
Es ist hier nicht so wie in manchen nationalen Behörden, wo dann automatisch Lebenslänglich in "25 Jahre” eingetauscht wird, wenn ich das so sagen darf und man dann bei guter Führung nach 15 Jahren wieder auf freien Fuß kommt. Hier ist das sicherlich anders. Lebenslänglich muss hier länger sein als die höchste Haftstrafe, die ausgesprochen wurde. Das heißt, lebenslänglich muss also schon mehr als 40 Jahre sein. Die Praxis hier am Gericht ist immer gewesen, dass jemand nach zwei Drittel der Verbüßung, eventuell für eine vorläufige Freilassung in Frage kommen kann. Aber wie gesagt, das sind jetzt sehr theoretische Berechnungen die ich hier anstelle. Ich bin also sehr optimistisch, dass er zu Lebzeiten nicht mehr auf freien Fuß gesetzt wird.
Karadžić hat während des Berufungsprozesses gesagt, dass dieser unfair und politisch motiviert war. Wie beurteilen Sie das?
Wissen Sie, wenn sie vor der Geschichte stehen und verfolgt werden für massive Ermordungen... Ich habe in den letzten Tagen nochmal eine Reihe von Zeugenaussagen durchgelesen, von Schützen, die Kinder ermordet haben, von Srebrenica, wie geplant man vorgegangen ist, um tausende von jungen Männern zu exekutieren. Wenn man mit diesen Straftaten als Täter konfrontiert wird, wie Karadžić, kann ich mir natürlich vorstellen, dass man nach Entschuldigungen sucht. Und man versucht natürlich andere dafür verantwortlich zu machen. Und deshalb ist das Urteil auch sehr wichtig, weil es ein Endgültiges Urteil ist. Es stellt fest, dass Karadžić nicht ein Held seines Volkes war der sein Volk verteidigt hat, sondern ein Kriegsverbrecher, der eigentlich seine eigene Bevölkerung auch missbraucht hat, um seine persönlichen, politischen Ziele zu verfolgen und bei der Verfolgung dieser politischen Ziele, massive Verbrechen begangen hat.
Warum denken viele Einwohner Serbiens und der “Republika Srpska” darüber ganz anders und sehen Karadžić immer noch als einen Held an, der für die serbische Sache gekämpft hat.
Das ist sicherlich eine der größten Herausforderungen in der Region - sicherlich auch in Serbien und in der "Republika Srpska”, - die Aufarbeitung der Vergangenheit. Man will es einfach nicht wahrhaben. Jeder sieht sich selber nur als Opfer und die anderen als Täter. Da sind auch die anderen Bevölkerungsgruppen nicht unschuldig. Man sieht es in anderem Maße auch in Kroatien und bei der bosnischen Bevölkerung, dass man eigentlich Schwierigkeiten hat zu akzeptieren, dass Leute aus der eigenen Gruppe Verbrechen begangen haben. Was wir immer versuchen zu erklären ist, dass dies keine Helden sind. Helden sind Menschen die ihre Bevölkerung schützen, die im Krieg heldenhaft vorgehen. Jeder der durch dieses Gericht verurteilt wurde, wurde verurteilt, weil er die Genfer Konventionen verletzt hat. Das bedeutet: dass man Gefangene exekutiert hat, sexueller Missbrauch zu verantworten hat im großen Umfang oder massive Vertreibungen und Zerstörung von Dörfern vorgenommen hat. Eigentlich ist es genau das Gegenteil von Heldentum.
Wollen Sie sagen, dass es keinen Deal zwischen Serbien und dem Haager Tribunal gibt? Trotz der Tatsache, dass die bosnischen Medien immer wieder darüber berichten.
Ich kann Ihnen versichern, dass in den zehn Jahren, in denen ich hier tätig bin, ich noch nie den Eindruck gehabt habe, das irgendjemand aus dem Osten, Westen oder von wo auch immer versucht hat Druck auszuüben, oder uns in eine bestimmte Richtung zu drängen. Ich denke wirklich, dass das Gericht an dem 65 verschiedene Nationalitäten tätig sind, nach Ehre und Gewissen versucht hat einen guten Job zu machen. Dazu gehört auch eine ganze Reihe von Enttäuschungen. Es hat auch ein paar Freisprüche gegeben, mit denen mein Büro nicht zufrieden war. Aber gut, so ist nun mal die Justiz. Man kann nicht in jedem Fall erfolgreich sein.
Der belgische Jurist Serge Brammertz arbeitet seit 2008 als Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Er hat auf dieser Funktion die Schweizerin Carla del Ponte abgelöst.
Das Gespräch führte Jasmina Rose