Politik und Religion - ein ewiger Streit
Horst Seehofer hat nicht gesagt, der "politische Islam" gehört nicht zu Deutschland. Auch sagt er nicht, "der Islamismus" gehört nicht zu Deutschland. Seine Worte waren klar und eindeutig: "Der Islam" gehört nicht zu Deutschland. Das ist kein Zufall. Der Bundesinnenminister weiß, was er tut. Und er will es. Das nennt man Vorsatz.
Millionen Deutsche mit islamischen Glauben leben hier. Nicht nur dadurch ist der Islam eine Realität der Bundesrepublik Deutschland. Er ist es auch prinzipiell. Gerade ein Innenminister, der gleichzeitig auch Verfassungsminister ist, sollte Artikel 4 des Grundgesetzes kennen. In ihm ist die Religionsfreiheit definiert: Jeder Mensch kann glauben, an was er will. Jede Religion ist möglich, jeder Glaube denkbar, solange er nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Sich als Politiker anzumaßen, einer Weltreligion ihre Existenz als Bestandteil der religiös-gesellschaftlichen Realität in Deutschland abzusprechen, zeugt von einem sehr zweifelhaften Verständnis von Religionsfreiheit.
Die blutige Geschichte des christlichen Abendlands
Dieser Ausschluss des Islam ist weder historisch noch gesellschaftspolitisch nachvollziehbar. Niemand zweifelt daran, dass in Europa über viele Jahrhunderte das Christentum die dominierende Religion war. Aber dieses christliche Abendland, von dem so viele schwärmen, hatte nicht immer nur eine moderne Religionsauffassung. Im Gegenteil: Partnerschaften zwischen der religiösen und der weltlichen Macht auch hier. Religionskriege. Aggressive Mission. Antijüdische Reflexe von Anfang an. Martin Luther, der Reformator - ein brutaler Antisemit.
Wenn also nun in Abgrenzung zum Islam von der christlich-jüdischen Symbiose gesprochen wird, sollte man darüber nachdenken, wovon man eigentlich spricht. Denn über Jahrhunderte war diese Symbiose abgrenzend, ghettoisierend, blutig, vernichtend. Mit dem Holocaust zeigte sich endgültig und in bis dahin unbekannter mörderischer Brutalität, wie sehr der Judenhass kulturell und religiös in Europa und insbesondere in Deutschland verwurzelt war.
Nein zum politischen Islam
Der Islam ist eine der drei monotheistischen Weltreligionen. "Den" Islam gibt es nicht. In vielen Ländern ist er Staatsreligion und in den meisten davon, die Diktaturen sind, gibt es eine unsägliche Symbiose zwischen staatlicher und religiöser Macht - wie eben lange auch in Europa. Dieser politische Islam, der primär Muslime unterdrückt und der - wie lange auch das Christentum - ein aggressives, religionsimperialistisches Ziel hat, ist mit aller Kraft zu bekämpfen.
Aber den Islam an sich zu stigmatisieren, ist nicht Aufgabe eines Bundesinnenministers, der als Religionsminister gleichzeitig verantwortlich dafür ist, dass der Respekt gegenüber allen Religionen von ihm repräsentiert wird.
In der AfD ist Islam ein Schimpfwort. Eine Metapher, in der sich der Hass gegen die "Fremden" bündelt. Undifferenziert, verallgemeinernd, arbeiten sich die AfD-Funktionäre und ihre Sympathisanten - aber nicht nur sie - an den Ängsten der Bürger ab, indem sie ihnen den Islam als die größte aller Gefahren darstellen. Sie sprechen von Parallelgesellschaften, in denen das deutsche Recht nicht respektiert wird. Sie sprechen von der Missachtung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, von der Intoleranz gegenüber Homosexuellen.
Auch die AfD bildet eine Parallelgesellschaft
Dass es all das gibt, ist unstrittig. Aber auch viele AfD- Anhänger bilden eine Parallelgesellschaft: Sie respektieren nicht Artikel 1 des Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar"), in dem sie ganze Gruppen stigmatisieren und beleidigen. Mit ihrer Islamophobie verhält es sich fast so wie mit dem Hass gegen Juden.
Ja es stimmt - auch unter den Muslimen in Europa zeigt der Judenhass seine hässliche Fratze. Aber nach wie vor ist der nazistische Judenhass auch bei Teilen der neuen Rechtsextremisten deutlich sichtbar. Nichts soll gegeneinander aufgewogen werden - das eine macht das andere nicht besser! Es soll damit nur deutlich gemacht werden, dass diejenigen, die für die AFD sprechen, in Teilen genau solche Verfassungs- und Menschenfeinde sind, wie diejenigen, die sie anprangern.
Anstatt sich differenziert und verantwortungsvoll in die emotionale Debatte einzubringen, schüttet Horst Seehofer populistisch neues Öl ins alte Feuer. Sich von der AfD abzugrenzen, ist genauso so wichtig wie vom politischen Islam. Deren Sprache nicht zu übernehmen, gehört zur Verantwortung seines Amtes. Kein Politiker hat das Recht darüber zu urteilen, ob eine Religion zu seinem Land gehört oder nicht.
Die Grenzen von Politik in Glaubensfragen
Wird die Religion, welche auch immer, als Vorwand benutzt, um Straftaten zu begehen oder das Grundgesetz zu missachten, so ist es Aufgabe von Polizei, und Justiz sich damit zu befassen. Denn keine Religion steht über dem Gesetz. Aber alles andere geht die Politik in Glaubensfragen nichts an. Auch das ist das Ergebnis der europäischen Geschichte, die seit der Aufklärung die Trennung von Staat und Religion kennt.
Das alles weiß Horst Seehofer. Und wenn er sich trotzdem anders verhält, dann ist Kritik angebracht. Das hat nichts damit zu tun, dass man in Deutschland nicht sagen könne, was man denkt, wie manche behaupten. In diesem Land kann man alles sagen! Und Horst Seehofer nimmt sich diese Freiheit sehr oft. Das ist zu ertragen. Aber genauso müssen Seehofer und seine Anhänger ertragen, dass es andere Meinung gibt. Ich jedenfalls meine, dass in einer Zeit, in der Rechtspopulisten in den Parlamenten sitzen, in der Enthemmung alltäglich geworden und geistige Brandstiftung zum Alltag im gesellschaftlichen Diskurs geworden ist - in dieser Zeit müssen Politiker demokratischer Parteien ein deutliches, ein anderes Signal setzen: das des Respektes.
Michel Friedman ist Jurist, Publizist und Fernsehmoderator. An der Frankfurt University of Applied Sciences ist er Professor für Immobilien- und Medienrecht. Bei der Deutschen Welle moderiert er die Talk-Formate "Conflict Zone" und "Auf ein Wort ... mit Michel Friedman".