Die US-Administration ist besessen von der Idee der bilateralen Leistungsbilanzen. Jedes Land, das im Handelsverkehr ein Defizit mit den USA aufweist, ist "böse" - sei es Deutschland, China, Mexiko oder Kanada. Bilaterale Leistungsbilanzsalden, also die Handelsbeziehungen mit einzelnen Partnern, sind in einer weltweit vernetzten Wirtschaft ökonomisch relativ bedeutungslos. So weisen etwa die meisten Privatpersonen ein permanentes Leistungsbilanzdefizit gegenüber dem Einzelhandel auf. Dennoch würde niemand auf die Idee kommen, Strafzölle auf Brötchen zu erheben, bis der Bäcker auch etwas bei seinen Kunden kauft. Auch übertragen auf Volkswirtschaften sollte es in einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft nicht vorhersehendes Ziel sein, dass der Handel zwischen einem beliebigen Paar an Ländern ausgeglichen ist. Denn hohe Salden in die eine oder andere Richtung können einen für alle Beteiligten vorteilhaften Zustand darstellen, wenn sie durch Standortvorteile und die Wünsche der Konsumenten zustande kommen.
Etwas interessanter wird es, wenn man feststellt, dass die USA mit den allermeisten ihrer Handelspartner ein Defizit verzeichnen, also ein gesamtwirtschaftliches Leistungsbilanzdefizit aufweist. Man sollte die notorisch hohen Leistungsbilanzdefizite der USA deshalb aus einem anderen Blickwinkel betrachten, die mit ausländischen Faktoren, und selbst mit den Wechselkursen wenig zu tun haben. Sie sind die Folge einer in der Summe zu geringen Sparneigung: Die Amerikaner geben einfach mehr aus als sie selbst erwirtschaften. Solange private Haushalte, Unternehmen und der Staat systematisch mehr Güter und Dienstleistungen in Anspruch nehmen als die US-Volkswirtschaft selbst produziert, kann der Nachfrageüberhang nur durch Importe aus dem Ausland geschlossen werden.
Trump sorgt für noch mehr Defizite
Daraus ergeben sich Möglichkeiten für die Regierung Trump, den negativen Leistungsbilanzsaldo zu korrigieren. Sie kann Maßnahmen ergreifen, welche die Ersparnis in den USA steigern. Der US-Staatshaushalt hatte im Jahr 2016 ein Defizit von immer noch knapp fünf Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Schon die Korrektur auf die Hälfte würde rechnerisch ausreichen, das Leistungsbilanzdefizit des Landes auszugleichen. Dazu müsste die Regierung Trump allerdings auf das geplante Konjunkturprogramm verzichten. Denn sofern es wieder defizitfinanziert ist, treibt es den Leistungsbilanzsaldo noch weiter nach oben und über seine konjunkturstimulierenden Wirkungen auch den US-Dollar-Kurs. Hilfreich wäre das Konjunkturprogramm nur, wenn es nicht auf die Nachfragestimulierung, sondern auf eine Verbesserung der Angebotsbedingungen und der Wettbewerbsfähigkeit zielt. Die US-Regierung hielte also einen Schlüssel zur Reduzierung des Leistungsbilanzdefizits selbst in der Hand.
Umgekehrt hält aber auch Deutschland den Schlüssel zu seinem Leistungsbilanzüberschuss in der eigenen Hand. Dieser Überschuss ist anscheinend ebenfalls wenig abhängig vom Wechselkurs. Die Reaktion von Leistungsbilanzen auf den Wechselkurs war in Deutschland seit jeher nur kurzfristiger Natur. Gerade in den D-Mark-Zeiten ging der positive Außenhandelssaldo bei Aufwertungsschüben nur kurzzeitig zurück, um sich später wieder erneut einzustellen. Ein etwas nachhaltigeres Defizit gab es in Deutschland nur in den 1990er Jahren, und das sowohl bei einer starken wie in der Folge schwacher D-Mark. Grund war damals das Konjunkturprogramm der deutschen Wiedervereinigung. Nach der Finanzkrise weitete sich der deutsche Außenhandelsüberschuss deutlich aus, obwohl der Wechselkurs des Euro bis 2015 überdurchschnittlich hoch war. Gegenwärtig könnte man sogar den schwachen Euro als eine langfristige Bedrohung ansehen, denn er gaukelt eine höhere Wettbewerbsfähigkeit vor. Langfristige Wettbewerbsvorteile werden nur durch Effizienzsteigerungen und Innovationen erzielt. Eine schwache Währung schläfert diese Bemühungen aber eher ein.
Der wahre Grund des deutschen Überschusses
Auch in Deutschland sind es sind andere Kräfte als der Wechselkurs, die die Leistungsbilanzen langfristig bestimmen. Wenn - umgekehrt zu den USA - die Teilnehmer der deutschen Volkswirtschaft insgesamt viel sparen wollen, dann ist schon ein wesentlicher Grundstein für einen Überschuss gelegt. Kommt dann noch eine geringe Neigung dazu, diese Ersparnisse im eigenen Land zu investieren, ist der Überschuss perfekt. Beides ist in Deutschland der Fall. Insbesondere bei letzterem müssen sich die Deutschen fragen, ob die Höhe ihres Überschusses so ideal ist. Beide Handelspartner können also an ihren Salden arbeiten. Dass die US-Regierung jetzt mit flächendeckenden Sanktionen gegen die deutschen Industriebranchen vorgehen wird, ist jedoch unwahrscheinlich, denn ein Protektionsangriff auf die deutsche Industrie ist ein Angriff auf die Europäische Union. Diese ist als Handelspartner zu groß, als dass die US-Wirtschaft durch mögliche Gegensanktionen nicht empfindlich getroffen würde.
Aber die Außenhandelssalden sind ja gar nicht das Ziel, das der US-Präsident anstrebt. Die USA haben jahrzehntelang mit einer negativen Handelsbilanz gelebt, die über die Reservewährung US-Dollar problemlos finanziert wird. Trump hat seinen Wählern keine ausgeglichene Leistungsbilanz versprochen, sondern gut bezahlte Arbeitsplätze, am besten in einer wiederbelebten Industrie. Hierfür ist Protektion jedoch nicht das richtige Instrument. Insofern ist die durch ihn vom Zaun gebrochene Diskussion über den deutschen Überschuss auch ein Zeugnis der wirtschaftspolitischen Hilflosigkeit vor den Herausforderungen der Dienstleistungsgesellschaft von morgen.
Dr. Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Deka-Bank.
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