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Le Pen im Aufwind

Christoph Hasselbach16. Oktober 2013

Unter Marine Le Pen ist die Nationale Front für viele Franzosen wählbar geworden. Damit liegt die rechtsextreme Partei im europäischen Trend. Europas etablierte Parteien denken mit Unbehagen an die Europawahl.

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Parteichefin Marine Le Pen und fahnenschwenkende Anhänger Foto: AFP/Getty Images
Front National-Chefin Marine Le PenBild: AFP/Getty Images

Marine Le Pen jubelt: Ihre Partei fährt im Augenblick einen Erfolg nach dem anderen ein: Bei einer Kantonalwahl am Sonntag (13.10.2013) in Südfrankreich ließ der Front-Kandidat seine sozialistischen und konservativen Mitbewerber klar hinter sich. Nach einer Umfrage zur nächsten Europawahl im kommenden Jahr landete die Nationale Front sogar landesweit auf dem ersten Platz. Und Marine Le Pen hat jetzt rekordverdächtige Beliebtheitswerte eingefahren. 42 Prozent der jüngst befragten Franzosen haben eine gute Meinung von der 45-jährigen Parteichefin. Zum Vergleich: Der amtierende Präsident, der Sozialist François Hollande, kommt auf 35 Prozent, in anderen Umfragen schneidet er noch schlechter ab.
Wie kann das sein, dass in einem EU-Schlüsselland eine rechtsextreme Partei droht, die klassischen Volksparteien zu überflügeln? Wobei sich Marine Le Pen gegen die Bezeichnung "rechtsextrem" wehrt, und das offenbar mit Erfolg. Unter ihrem Vater, dem Algerienkriegsveteranen Jean-Marie Le Pen, rümpften viele noch die Nase über die Schmuddelpartei. Le Pen senior hatte zum Beispiel den Holocaust als bloßes "Detail" der Geschichte bezeichnet. Seine Tochter dagegen hat die Nationale Front in der öffentlichen Wahrnehmung aus dieser Nische herausgeführt.

Etablierte Parteien machen mit

Das beobachten viele in Europa mit Sorge. Evelyne Gebhardt ist eine deutsche sozialdemokratische Europaabgeordnete, die aber einen Großteil ihres Lebens in Frankreich verbracht hat. Im Interview mit der Deutschen Welle sagt sie, Marine Le Pen habe nur "den Sprachgebrauch ihrer Partei sehr stark verändert, so dass diese Gewalttätigkeit in der Sprache nicht mehr vorkommt, auch wenn die Ideen die gleichen geblieben sind." Sylvie Goulard ist französische liberale Europaabgeordnete aus Marseille. Im Einzugsgebiet der französischen Mittelmeer-Metropole ist die Nationale Front traditionell besonders stark.
Goulard wird im Gespräch mit der Deutschen Welle deutlich: "Marine Le Pen spielt mit den Ängsten der Menschen, und insofern ist sie vielleicht noch gefährlicher als ihr Vater."

Spielende Roma-Kinder (Foto: AFP)
Frankreichs Innenminister Valls hat Roma als kaum integrationsfähig bezeichnet - Präsident Hollande schweigt dazuBild: Philippe Huguen/AFP/Getty Images

Und die Politiker anderer Parteien - das ist neu - verteufeln nicht mehr die Front, sondern passen sich ihr sogar an. Der sozialistische Innenminister Manuel Valls etwa warf jüngst Roma aus Rumänien und Bulgarien einen mangelnden Integrationswillen und eine "extrem andere Lebensweise" vor. Präsident Hollande ließ ihn gewähren, wohlwissend, dass sich 77 Prozent der Franzosen mit Valls' Äußerung einverstanden erklärt hatten. Aber auch Hollandes konservativer Vorgänger Nicolas Sarkozy machte Stimmung gegen Einwanderer - da unterscheiden sich die beiden großen klassischen Parteien wenig.

Rechtspopulisten als Krisengewinner

Doch es geht nicht nur um die Abneigung gegen Fremde, die der Nationalen Front Auftrieb gibt. Die europäische Wirtschaftskrise spielt den Rechten in die Hände. Die Deutsche Evelyne Gebhardt meint, viele Bürger "nicht nur in Frankreich, sondern in der ganzen Europäischen Union haben den Eindruck, die Politik hat die Probleme nicht im Griff." Und die Französin Sylvie Goulard fügt hinzu: "Es geht vielen Franzosen schlecht. Das wird in manchen Nachbarländern inklusive Deutschland unterschätzt."

Gerade die hohe Jugendarbeitslosigkeit treibe Menschen in die Arme von Leuten mit einfachen Lösungen. Goulard hat auch gar nichts gegen eine europäische Sparpolitik einzuwenden, die Präsident Hollande nie richtig angepackt habe. Trotzdem müssten die sparbewussten und wirtschaftlich starken Deutschen wissen: "Geldwertstabilität ist wichtig, aber die politische Stabilität der Länder um Deutschland herum ist auch wichtig." Die Sozialdemokratin Evelyne Gebhardt vermisst "Perspektiven für die Menschen", damit nicht der Eindruck entstehe: "Wir retten die Banken, aber die Bürger sind uns egal."

Stimmungstest Europawahl

In ganz Europa geht im Moment die Angst unter den etablierten Parteien um, dass die Menschen die Krise der EU in die Schuhe schieben werden und dann Rechtspopulisten wählen. Ob in Griechenland, Italien, Ungarn oder den Niederlanden, ob in wirtschaftlich schwachen oder starken Ländern, fast überall sind solche Parteien im Aufwind - mit einer großen Ausnahme: Deutschland.
Evelyne Gebhardt erklärt sich das so, "dass eine Tabuisierung des rechtsextremen Gedankengutes in Deutschland noch funktioniert", während es die Regierenden in Frankreich salonfähig gemacht hätten. "Davor kann ich nur warnen. Wenn so etwas in Deutschland auch geschehen würde, dann hätten wir plötzlich das gleiche Problem."

Vater und Tochter Le Pen auf Abgeordnetenbänken Foto: Reuters
Vater und Tochter Le Pen sind beide EuropaabgeordneteBild: Reuters

Der nächste Stimmungstest in der gesamten EU wird die Europawahl im Mai 2014 sein. Dann wird sich zeigen, ob sich Wut und Enttäuschung tatsächlich in rechten Stimmen niederschlagen wird. Begünstigend für extreme Parteien ist, dass viele Bürger meinen, die Europawahl sei weniger wichtig als nationale Parlamentswahlen, da könne man sich die Stimme für eine Protestpartei eher leisten. Die Europaabgeordnete Sylvie Goulard klagt, viele Bürger wüssten gar nicht, wie viel auf der europäischen Ebene entschieden wird. Ihr bleibt nur die Hoffnung, dass bis zur Wahl "die Unternehmen, die Gewerkschaften und andere Kräfte der Zivilgesellschaft laut sagen, dass die Europawahl eine ernste Wahl ist."