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Ein Abend mit Michel Houellebecq

Jochen Kürten
12. Oktober 2017

Er ist der Star der französischen Literaturszene, dementsprechend groß waren die Erwartungen des Publikums in Frankfurt. Doch es kam anders als erwartet. Der Provokateur Houellebecq präsentierte sich handzahm.

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Buchmesse Frankfurt - Michel Houellebecq
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Das Frankfurter Schauspielhaus war seit Langem ausverkauft. Als Lesung und Gespräch mit Michel Houellebecq war die Veranstaltung angekündigt worden, auf der Bühne saß der streitlustige Autor zwischen drei Frauen: Moderatorin, Übersetzerin und Interviewerin."Unterwerfung" hieß sein für viele Leser zukunftsweisendes Werk von 2015, erschienen war es am Tag des Anschlags auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo".

Um "Unterwerfung" ging es in Frankfurt nicht 

Houellebecq hatte in dem Roman ein Zukunftsszenario nach dem Wahlerfolg einer gemäßigt islamistischen Partei entworfen, die Frankreich nach bürgerkriegsähnlichen Zuständen wieder in ein ruhigeres Fahrwasser lenkt. Freilich um den Preis, westliche Werte und Menschenrechte wie die Gleichstellung der Frau wieder hintenanzustellen. Für die einen war "Unterwerfung" eine Provokation, andere sahen in dem Buch eine Warnung vor Zuständen, die den Staaten Westeuropas möglicherweise bevorstehen.

Frankreich Schriftsteller Michel Houellebecq
In Frankfurt nur mit E-Zigarette - auf den tabakrauchenden Provokateur Houellebecq von früher musste das Publikum in Frankfurt verzichtenBild: Imago/El Mundo

Der deutsche Schauspieler Wolfram Koch wollte Passagen aus "Unterwerfung" vorlesen - doch dazu sollte es erst einmal nicht kommen. Houellebecq hatte an diesem Abend offenbar anderes vor. Er sprach erst einmal eine Stunde, was sich beeindruckender anhört, als es war - die Übersetzung ins Deutsche fraß viel Zeit.

Loblied auf die Deutschen 

Betreten hatte der Schriftsteller die Bühne in seiner unnachahmlichen Art. Der grüne Anorak mit tief herunter gezogener Kapuze ist ja schon ein Markenzeichen Houellebecqs, ebenso das Jeanshemd, die ungekämmten Haare, die linkischen Bewegungen - all das kennt man von dem Autor. Was aber dann in Frankfurt folgte, überraschte einen Großteil des Publikums.

Houellebecq stimmte ein Loblied auf die Deutschen an, die hätten eine phantastische Organisationsgabe, seine Landsleute kämen da bei weitem nicht mit. Frankreich könne sich in dieser Beziehung höchsten mit Nationen wie Italien und Spanien vergleichen, nuschelte der berühmte Autor ins Publikum. Zumindest seit dem Wahlsieg von Emmanuel Macron gebe es aber Hoffnung in Sachen Nationalbewusstsein, so Houellebecq. Es habe sich etwas geändert seit Macrons Sieg, er zumindest habe die Hoffnung, dass die Franzosen in der Zukunft wieder den Nationalstolz und die Arroganz (Houellebecq meint das durchaus positiv) früherer Zeiten erlangen würden.

4 Exemplare von Michel Houellebecqs Buch Unterwerfung
Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" war umstritten - aber auch ein BestsellerBild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Es ist ein weiteres Markenzeichen des Schriftstellers Michel Houellebecq, seine Aussagen ausdruckslos und mit keiner Gesichtsregung zu verkünden. Wie in seinen Büchern auch, rätselt man bei diesem Autor immer über das Maß an Scherz, Satire und Ironie, welches er möglicherweise in seinen Sätzen versteckt hält. Wer nun nach dieser Einleitung gehofft hatte, jetzt werde der Abend politisch, der wurde enttäuscht.

Houellebecq setzte vielmehr zu einer Art Referat über die eigene Autorenpersönlichkeit im Speziellen und die Verfasstheit europäischer Kultur im Allgemeinen an. Zum ersten Punkt: In seiner Heimat, so Houellebecq, werde er von Kritikern und selbsternannten Experten oft nicht als Schriftsteller wahrgenommen, eher als Soziologe oder gar als Wirtschaftswissenschaftler. Das nehme er aber als Kompliment, und im Übrigen seien all diejenigen, die Literatur und Bücher bewerten und kritisieren, Gauner.

In Europa fehlt die bindende Sprache

Und weiter ging es: Die europäische Kultur sei bedroht - aber nicht vom Islam, wie nun mancher vermutete, sondern von einer verschwundenen gemeinsamen Sprache. Im Mittelalter hätten die Gelehrten überall in Europa Latein gesprochen und so zu einer Art gesamteuropäischer Verständigung gefunden. Das Lateinische sei dann irgendwann verschwunden, bedauerte Houellebecq mit Inbrunst. Im 18. Jahrhundert hätte noch die französische Sprache eine Bindewirkung gehabt, im 19. Jahrhundert sei die deutsche Romantik prägend für Europa geworden. Namen wie Novalis und Schlegel, auch Schopenhauer, dem er sein neues Buch, den schmalen Essayband "In Schopenhauers Gegenwart" gewidmet hat, fielen in diesem Zusammenhang.

Buchmesse Frankfurt - Michel Houellebecq
Gab sich in Frankfurt zahm und zurückhaltend: Michel HouellebecqBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

In jüngster Zeit, setzte der Autor seinen Monolog fort, habe er dann nur noch zwei große literarische Strömungen mit europäischer Bindekraft ausmachen können. Zunächst das Interesse am lateinamerikanischen Roman ("…den Magischen Realismus habe ich nie verstanden…"), dann, später, die skandinavischen Krimis. Und dann kam doch noch der Provokateur Houellebecq zu Wort: Die Deutschen sollten sich doch auf anspruchsvolle Pornographie spezialisieren, das sei eine große Chance, auch um den literarischen Betrieb am Laufen zu halten.

Dann wurde es wieder gewissenhaft: Houellebecq forderte mehr Geld für das Übersetzen von Literatur in Europa - nur so könne gewährleistet werden, dass die europäischen Länder auch in Zukunft nicht nur ihre eigenen Bücher sowie Übersetzungen aus dem Englischen lesen könnten.

Das Für und Wider der Literaturgattung Roman

Schließlich widmete sich der Franzose, der zwischendurch immer wieder verschämt an seiner E-Zigarette zog, mit längerem Atmen noch dem Thema "Roman". Auch hier wieder viel Widersprüchliches. Die Gattung Roman habe alle anderen Formen der Literatur, den Essay, das Gedicht, die Poesie, die Tragödie, im Laufe der Jahre kannibalisiert, beklagte Houellebecq. Nur um kurz darauf festzustellen, dass er ohne die Lektüre von Romanen überhaupt nicht leben könne.

Buchcover In Schopenhauers Gegenwart von Michel Houellebecq
Bild: Dumont

Eine Stunde war nun rum, und die sichtlich unruhigen Damen an seiner Seite, die es aber nicht gewagt hatten, den berühmten Autor in seinem Redefluss zu unterbrechen, schritten ein. Das angekündigte Gespräch zerbröselte aber nach drei, vier lustlos beantworteten Fragen, offenbar war dem Schriftsteller an diesem Buchmesse-Abend eher nach Monolog zumute. Der Dialog war schnell beendet.

Die abschließende deutsche Lesung aus dem Roman "Unterwerfung" geriet kürzer als geplant. Dabei sah man den Autor sogar spitzbübisch grinsen, die Vortragskunst des deutschen Schauspielers Wolfram Koch gefiel ihm offenbar. Dann war der Abend zu Ende, der gefeierte Autor schlich schnell von der Bühne.

Klage über die Mittelmäßigkeit von Kunst und Kultur

Im Publikum wurden hinterher einige enttäuschte Stimmen laut, den Auftritt des größten Stars der aktuellen französischen Literaturszene beim Ehrengastauftritt seines Landes bei der Frankfurter Buchmesse hatten sich viele anders vorgestellt. Aber vielleicht ist Michel Houellebecq einfach auch nur ein wenig älter geworden, möglicherweise auch friedfertiger. Auf jeden Fall nicht weniger kulturpessimistisch. Im neuen Buch Houellebecqs über Schopenhauer heißt es an einer Stelle:

Oft bin ich versucht zu denken, dass auf intellektueller Ebene seit 1860 nichts mehr passiert ist. Es zerrt allmählich an den Nerven, in einer Ära der Mittelmäßigen zu leben, umso mehr, wenn man sich selbst außerstande sieht, das Niveau wieder anzuheben.

Das könnte man auch als Kommentar zu diesem Abend in Frankfurt interpretieren.

Michel Houellebecq: In Schopenhauers Gegenwart, DuMont Buchverlag, Köln 2017, 80 Seiten, ISBN 978-3832198824.