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Houellebecqs Roman "Unterwerfung"

Jochen Kürten8. Januar 2015

In Frankreich erschien der Roman am Tag des Attentats auf "Charlie Hebdo", in Deutschland kommt er am 16.01. Houellebecq hat sich schon mehrfach kritisch über den Islam geäußert - doch das Buch verzichtet auf Polemik.

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Schriftsteller Michel Houellebecq
Bild: Gabriel Bouys/AFP/Getty Images

Man sollte den Roman mit kühlem Kopf lesen, empfahl die Rezensentin einer großen deutschen Tageszeitung. Auch wenn das Buch des französischen Starautors Michel Houellebecq in Deutschland offiziell erst am 16.01.2015 in die Läden kommt, wird doch schon eifrig darüber diskutiert. Dabei dürften es die meisten noch nicht gelesen haben. Zugegeben, einen kühlen Kopf beim Lesen zu bewahren, dürfte vielen schwer fallen - zumal vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse in Paris.

Auch in Deutschland ist von kühlem Kopf wenig zu spüren. Sogar in den Feuilletonredaktionen. So sprachen sowohl eine große deutsche Sonntagszeitung als auch eine angesehene Kultursendung im Fernsehen davon, dass in dem Roman ein "radikaler Muslim" Präsident in Frankreich würde. Das ist grundfalsch. Es zeigt einmal mehr, dass die Kunst im Verlaufe einer aufgeladenen hitzigen Debatten-Atmosphäre leicht unter die Räder kommt.

Den Eiferern geht es nicht um die Kunst

Das Phänomen ist bekannt. Als Salman Rushdie 1988/89 seinen Roman "Die satanischen Verse" vorlegte und anschließend in den Bannstrahl einer vom Iran verhängten Fatwa geriet, schauten nur die wenigsten darauf, was in dem Buch wirklich beschrieben wurde. Der Fall Rushdie und wohl auch das neue Buch von Michel Houellebecq bestätigen nur dies: Radikalen Eiferern geht es nicht um Kunst oder Literatur, sondern nur um die Durchsetzung ihrer vermeintlichen Ziele. Doch sollte zumindest die aufgeklärte Welt einen differenzierten Blick bewahren.

Frankreich Literatur Schriftsteller Michel Houellebecq Soumission (Foto: DOMINIQUE FAGET/AFP/Getty Images)
In Frankreich ist der Roman seit dem 7.1. unter dem Titel "Soumission" auf dem MarktBild: Dominique Faget/AFP/Getty Images

Es lohnt in dem Fall ja auch. Houellebecq ist der erfolgreichste französische Gegenwartsautor, dessen Bücher in über 40 Sprachen übersetzt sind. Sein sechster Roman "Unterwerfung" ist in erster Linie ein literarisches Ereignis, ein singuläres Kunstwerk, wenn man so will. In ihm entwickelt der Autor eine politisch-gesellschaftliche Zukunftsvision seines Heimatlandes. In der Tat steht am Ende ein muslimischer Präsident an der Spitze der Grande Nation. Aber eben kein Radikaler, sondern ein charismatischer, kluger, ja, visionär auftretender Muslim, der einen Traum von einem großen, starken Europa hegt.

Viele Stimmen zum Islam und Frankreich

Mag sein, dass Houellebecq seinem Roman damit mehr Glaubwürdigkeit vermitteln und dem Vorwurf begegnen wollte, er hetzte hier gegen eine Weltreligion. Doch zunächst muss man erst einmal konstatieren: "Unterwerfung" entwirft eine facettenreiche Vision der französischen Gesellschaft mit vielen Zwischentönen. Das Buch bietet keine Polemik, sondern entwickelt ein literarisches Panorama, in dem verschiedene Akteure gesellschaftlicher Schichten auftreten, die - meist im Gespräch mit der Hauptfigur - ihre Meinung äußern.

Diese Hauptfigur ist François, ein Literaturprofessor, der einst mit einer Arbeit über den französischen Décadence-Autor Joris-Karl Huysmans in intellektuellen Kreisen berühmt wurde. François wird von Houellebecq als vereinsamter und kaum zu tieferen menschlichen Bindungen fähiger Mensch dargestellt, der vor dem körperlichen Verfall Angst hat und von Selbstmordgedanken getrieben wird. In seiner Freizeit trifft er sich mit ein paar übrig gebliebenen Bekannten; Freunde hat er im Grunde genommen nicht. Oder er vergräbt sich mit reichlich Alkohol in seiner Bücherstube. Ab und zu trifft er sich mit Prostituierten. Eine typische Houellebecq-Figur, wie man sie auch aus den früheren Romanen des Autors kennt.

Rede Hollandes zum Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris (Foto: REUTERS/Philippe Wojazer)
François Hollande - im Roman schafft er eine zweite AmtszeitBild: Reuters/P. Wojazer

Das alles schildert Houellebecq vor dem Hintergrund anstehender Präsidentschaftswahlen im Frankreich des Jahres 2022. Der Front National unter Marine Le Pen ist die dominierende politische Kraft im Lande, Sozialisten und eine muslimische Bruderschaft liegen ungefähr gleich auf, die bürgerlichen Rechten sind geschrumpft. Das Land scheint nach einer zweiten Amtszeit unter der Präsidentschaft François Hollandes wirtschaftlich und gesellschaftlich aus der Krise nicht mehr herauszukommen. Um eine Präsidentin Marine Le Pen zu verhindern, entschließen sich die bürgerlichen Parteien und die Sozialisten, den gemäßigten muslimischen Kandidaten Mohammed Ben Abbès zu unterstützen.

Der Umbau des französischen Staates

Was folgt, ist der langsame und von Houellebecq überraschend friedlich geschilderte Umbau des französischen Staates. Blut ist vor den Wahlen geflossen, bei bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Nach den Wahlen, so schildert es der Roman "Unterwerfung", kehrt Ruhe ein. Die Arbeitslosigkeit sinkt, auch die Kriminalitäts-Rate. Landwirtschaft und Handwerksbetriebe werden gefördert und blühen auf. Die Großindustrie muss Tribut zahlen. Freilich hat das auch seinen Preis, das verschweigt Houellebecq nicht. Frauen scheiden aus dem Arbeitsmarkt aus. Das Schul- und Bildungssystem wird umgebaut, muslimische Einrichtungen werden gefördert. Doch es besteht Religionsfreiheit.

"Es ist die Unterwerfung, der nie zuvor mit dieser Kraft zum Ausdruck gebrachte grandiose und zugleich einfache Gedanke, dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht", zitiert Houellebecq an einer Stelle den Direktor der Hochschule, an der François einst lehrte und zum Schluss von der muslimischen Führung wieder mit offenen Armen aufgenommen wird.

Frankreich Anschlag auf Charlie Hebdo - Polizeiaktion in Reims (Foto: REUTERS/Jacky Naegelen)
Das Satiremagazin "Charlie Hebdo" beschäftigte sich in seiner jüngsten Ausgabe mit Houellebecqs Roman - nach dem Attentat ist das Land in AufruhrBild: Reuters/J. Naegelen

Jeder Leser muss sich selbst fragen, wie viel Anteil an Ironie Houellebecq in solche Stellen einfließen lässt. Natürlich zeichnet der Autor nicht das Wunschbild eines islamischen Staates in Frankreich. Houellebecq spart nicht mit Kritik am Islam, doch er polemisiert nicht. Das in höchstem Maße irritierende dieses literarischen Entwurfs liegt darin begründet, dass Houellebecq sein Zukunftsszenario so scheinbar nüchtern und emotionslos darstellt. Doch das ist typisch für diesen Autor. So ist er auch in früheren Werken mit anderen umstrittenen Themen wie Klon-Forschung oder Globalisierung umgegangen. Houellebecq beschreibt nüchtern und lakonisch, oft sehr witzig - aber er bewertet nicht. Damit muss man als Leser erst einmal zurechtkommen.

Der Roman "Unterwerfung" erschien am 7.1.2015 in Frankreich und kommt am 16.1.2015 in der Übersetzung von Norma Cassau und Bernd Wilczek beim DuMont-Buch-Verlag heraus.