Houellebecqs Spiel mit der Angst
6. Januar 2015Frankreich im Wahljahr 2022: An der Universität Paris IV -Sorbonne prangt der Halbmond, die Studentinnen tragen Schleier und in den Supermärkten ist die Abteilung für koschere Lebensmittel verschwunden. Um die Präsidentschaft der rechtsradikalen Marine Le Pen der Front National zu verhindern, einigen sich Sozialisten und bürgerliche Rechte auf einen verhängnisvollen Schulterschluss: In der Stichwahl verhelfen sie dem Muslim Ben Abbès zum Sieg. Erst die "Grande Nation", dann ganz Europa? Der Siegeszug des Islam scheint vorgezeichnet.
Houellebecqs literarische Vision wirbelt intellektuellen Staub auf. Das geschieht, während Deutschland Pegida-Aufmärsche und Gegendemonstrationen erlebt. Die einen warnen vor einer "Islamisierung des Abendlandes", andere vor einer diffusen Fremdenfeindlichkeit. Und die Politik? Sie sucht vergeblich nach Antworten - Deutschland im Schwebezustand. Zeitgleich gewinnen in Frankreich die Rechtsradikalen die Oberhand: Aus den Europawahlen im Mai 2014 geht der Front National als stärkste Partei hervor. Sozialisten und Wertkonservative schrumpfen bedrohlich. Verunsicherung greift um sich. Wie verbreitet die Angst vor einer schleichenden Islamisierung der Gesellschaft ist, zeigte der französische Streit über das Burka-Verbot.
So ist die Feuilletondebatte entbrannt, noch bevor "Soumission" in den Buchläden liegt: An diesem Mittwoch (7.1.) erscheint der Roman in Frankreich, am 16.01.2015 auch in Deutschland. Kern der Debatte: Macht der Autor Stimmung gegen Muslime? Fest steht: Auf beiden Seiten des Rheins löst Houellebecqs Politvision heftige Reaktionen aus. Doch sind die Gründe so unterschiedlich wie die Ausgangslage in beiden Ländern.
Literarische Versuchsanordnung
Houellebecqs islamistisches Szenario ist nicht mehr als eine literarische Versuchsanordnung. "Die Reaktionen in Frankreich verraten viel über das Land", schreibt etwa Jürg Altwegg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Der Autor hat eine Falle gestellt, und alle tappen hinein." Soumission sei nicht antimuslimisch, bilanziert Gero von Randow in der Wochenzeitung "Die Zeit". Vielmehr male der Autor eine fiktive Anwendung des Islamismus auf Europa aus, die dessen reaktionären Gehalt deutlich hervortreten lässt. Houellebecq bescheinigt er: "Der Autor hat seinen Gegenstand gut recherchiert, er präsentiert uns Argumentationsweisen und kulturelle Strategien des gemäßigten Islamismus nicht als Zerrbild, sondern unter dem Vergrößerungsglas. Was wenig mit einer Wahrscheinlichkeit des politischen Szenarios von Soumission zu tun hat."
Autor bestreitet jegliche Provokation
Und was sagt der Autor? Das Enfant terrible der französischen Literatur, das auch im Ausland mit Büchern wie "Elementarteilchen" oder "Plattform" für Furore sorgte, gesteht immerhin ein "Spiel mit der Angst" ein. Zugleich bestreitet Houellebecq aber jegliche, gegen den Islam gerichtete "Provokation". Sein Roman zeige lediglich einen "wahrscheinlichen" Lauf der Dinge auf, sagte Houellebecq in einem Zeitungsinterview. In Frankreich gilt der 56-Jährige als meistgelesener Autor seiner Generation. Mehrfach hat er sich kontrovers zum Islam geäußert.
Überschreitet Michel Houellebecq mit seinem Roman die "Grenzen der Provokation" und den "Gipfel der Geschmacklosigkeit"? Ja, resümiert die französische Zeitung "Le Temps" und nennt "Soumission" einen "gescheiterten hervorragenden Roman", der "mit dem Feuer spielt und die abstrusen Theorien rechtsextremer Ideologen alimentiert". Die linksliberale Pariser Tageszeitung "Libération" kritisiert den Roman Houellebecqs als "rechts", meint aber: "Es ist erlaubt, einem Autor schriftstellerische Qualitäten zu bescheinigen und seine Ideen zu bekämpfen". Hingegen deuten Blätter wie "Le Figaro" und "Le Point" Houellebecqs "Unterwerfung" eher als Abgesang auf das Abendland oder gar als Aufruf zum Widerstand im Kulturkampf.
Wohin der Streit über das neue Buch von Prix-Goncourt-Preisträger Houellebecq am Ende führt, darüber schießen die Spekulationen ins Kraut. Als ein "heilsames, blasphemisches Buch" empfiehlt FAZ-Korrespondent Altwegg "Unterwerfung" , als "Komödie, von der vielleicht eine Katharsis ausgehen kann", jedenfalls für die Franzosen. Und sollte der Lärm um Michel Houellebecqs Roman erst verklungen sein, heißt es entspannt in der "Zeit", dann werde sich schon zeigen, "dass dieses Buch eine ausgeruhte Lektüre lohnt."