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Flüchtlinge überfordern Griechenland

Barbara Wesel2. Juli 2015

Griechenland hat Italien überholt: Rund 69.000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr dort eingetroffen. Aber es gibt kein funktionierendes Asyl- und Aufnahmesystem. Die meisten der Ankömmlinge leben auf der Straße.

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Hafen auf Lesbos (Foto: Herbert Goldmann)
Bild: Herbert Goldmann

Auf der Ägäis-Insel Kos haben die Behörden sich vorübergehend selbst geholfen und kurzerhand ein altes Hotel zum Flüchtlingsheim erklärt. Da teilen sich seitdem alle Bewohner zwei Toiletten, es gibt kein Wasser, kein Essen.

"Athen ist mit dem Flüchtlingsproblem total überfordert", sagt die Abgeordnete der Grünen im Europaparlament Ska Keller. Sie war zuletzt im Mai vor Ort und glaubt, dass mit der allgemeinen Krise in Griechenland alles nur noch schlimmer werden könne. Vom Hafen von Kos aus kann man direkt hinübersehen auf die türkische Küste, die Distanz lässt sich bei ruhiger See mit dem Schlauchboot überwinden. Das ist einer der Gründe, warum immer mehr Flüchtlinge diesen Weg wählen. Ein anderer ist, dass einige Transitländer inzwischen Visa verlangen von Syrern, die auf der Flucht vor dem Krieg das Mittelmeer erreichen wollen. Darum kommen sie auf dem Landweg über die Türkei an die Küste und stellen inzwischen die Mehrheit der Flüchtlinge auf Kos.

Kaum Unterkünfte, keine Versorgung

Im Prinzip wartet auf die Ankömmlinge auf den griechischen Inseln nichts: Es gibt keine Sozialhilfe, keinen Transport, keine Verpflegung und kaum Unterkünfte, die Menschen kampieren unter freiem Himmel. Sie laufen kilometerweit, um sich in den überfüllten und überforderten Ämtern registrieren zu lassen. Wenn sie eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung bekommen, können sie sich zumindest innerhalb des Landes bewegen. Syrier, die als Kriegsflüchtlinge quasi alle schutzberechtigt sind, bekommen angeblich inzwischen sogar Genehmigungen für ein halbes Jahr.

Die meisten der Ankömmlinge sind Syrer (Getty Images/AFP)
Die meisten der Ankömmlinge sind SyrerBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Flüchtlinge, die danach ausreisen, schieben die meisten nördlichen EU-Länder nicht wieder nach Griechenland ab, auch wenn sie dort registriert sind und die Dublin-Abkommen es eigentlich so vorschreiben - wegen der unhaltbaren Zustände in Griechenland.

Hilfe leisten nur private Initiativen und Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen. Teilweise sind auch die Einwohner der Inseln sehr hilfsbereit. Auf Kos bringen freiwillige Helfer Kleidung und Essen, berichtet Ska Keller. Diese Beobachtung bestätigt die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl. Der Bürgermeister der Insel wiederum klagte kürzlich, die vielen Gestrandeten würden das Geschäft mit den Urlaubern verderben. Ob aber die Flüchtlinge oder die allgemeine Krise des Landes sich tatsächlich auf die Touristenzahlenauswirken, ist noch offen.

Die EU soll eingreifen

Immerhin hat Syriza inzwischen eines seiner Wahlversprechen gehalten und die meisten längerfristig Internierten aus den unmenschlichen Abschiebelagern entlassen, die die Vorgängerregierungen gebaut hatten, berichtet Barbara Lochbihler, ebenfalls Grüne Europaabgeordnete. Aber nicht alle: Im Lager Paranesti gab es noch im April einen Hungerstreik, in Amygdaleza vor kurzem einen Selbstmord. Lochbihler zufolge ist dieses Lager aus EU-Mitteln für 900 Bewohner gebaut worden, heute sind dort 2000 Flüchtlinge untergebracht. Wer aus dem Lager entlassen wird, landet auf der Straße.

Lager wie Komotini wurden als Abschiebegefängnisse gebaut (Foto: MSF)
Als Abschiebegefängnis gebaut: Lager KomotiniBild: MSF

Die Grünen-Abgeordnete fordert eine politische Lösung: Die Syriza-Regierung habe bei ihrem Amtsantritt erklärt, sie schäme sich für die Zustände in den Lagern, aber nun habe Athen andere Probleme. Jetzt müsse die EU eingreifen und Griechenland den Großteil der Flüchtlinge abnehmen. Etwa 14.000 von ihnen sollen nach dem gerade beim Gipfeltreffen in Brüssel gefassten Beschluss auf andere Länder verteilt werden. Zu wenig, kritsisiert Lochbihler: Eigentlich müssten dem Krisenland alle Flüchtlinge abgenommen werden und Brüssel humanitäre Notfallhilfe leisten.

In Brüssel gibt es keinen Antrag auf Hilfe

Bei der EU-Kommission allerdings ist noch kein Antrag auf Hilfeleistung eingegangen. Zuletzt hat sie im Februar 1,3 Millionen auf dem Fonds für Asyl, Migration und Integration gezahlt. Wenn Athen mehr Geld brauche, müsse es fragen, so die schlichte Auskunft. Darüber hinaus könnte Athen Sachleistungen aus der Katastrophenhilfe bekommen, Ungarn etwa habe unlängst Zelte für Flüchtlinge erhalten. Generell beträgt der griechische Anteil aus dem Etat des zuständigen Kommissars etwa 37 Millionen Euro pro Jahr - eine Summe, die noch aus der Zeit stammt, in der das Land nur einen Bruchteil der jetzigen Flüchtlinge registrierte.

Beim jüngsten Gipfeltreffen haben die Staats- und Regierungschefs auch technische Hilfen beschlossen: So schnell wie möglich sollen sogenannte Hotspots eingerichtet werden, wo EU-Experten überprüfen, wie schutzbedürftig ankommende Flüchtlinge sind, um die örtlichen Behörden zu entlasten. Das löst aber nur einen kleinen Teil des Problems.

Die Weiterreise durch Mazedonien gilt als besonders gefährlich (Foto: Getty Images/AP)
Die Weiterreise durch Mazedonien gilt als besonders gefährlichBild: picture-alliance/AP Photo/D. Bennett

Humanitäre Krise für Flüchtlinge in Griechenland

Alex Stathopoulos von Pro Asyl gibt zu bedenken, dass viele Zuschüsse der EU nur gezahlt werden, wenn Griechenland einen Eigeanteil zuschießt. Und wenn Athen nur zehn Prozent zuzahlen müsste, wären die Behörden überfordert. Ähnliches gilt für die Katastrophenhilfe. Darum müsse die EU ihre Hilfe offensiv anbieten, fordert Stathopoulos: "Man kann doch nicht auf europäischem Territorium eine humanitäre Krise dieses Ausmaßes haben, ohne einzugreifen!"

Als einzige Lösung sieht er, den Flüchtlingen Griechenland zu ermöglichen, einstweilen legal in andere Länder weiterzureisen. Dafür müßte die EU die Dublin-Regeln vorübergehend außer Kraft setzen. Das würde Leben retten: Die illegale Reise durch Mazedonien ist hochgefährlich. Mehrere Menschen starben auf Zügen, andere wurden überfallen und ausgeraubt.

Das Grundproblem für Organisationen wie Pro Asyl ist laut Stathopoulos, dass Griechenland keine staatlichen Strukturen hat, mit denen ausländische Helfer kooperieren können. Die Behörden sind überfordert und erklären sich für nicht zuständig. Das UN-Flüchtlingskommissariat HCR versucht jetzt, die Arbeit der NGOs im Land zu koordinieren. Aber seit der Schließung der Banken ist auch die Lage für Helfer noch schwieriger geworden: Auch sie können derzeit nur 60 Euro pro Tag abheben. Das ist zuwenig, um die dringend benötigten Zelte für die endlosen Schlagen von Neuankömmlingen zu kaufen.