1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

EU und Orban auf Konfrontationskurs: Strafe für Ungarn

18. September 2024

Viktor Orban sollte als Ratspräsident eigentlich sechs Monate lang ein neutraler Vermittler in der EU sein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Konflikte verschärfen sich. Ungarn muss jetzt sogar eine Millionenstrafe zahlen.

https://p.dw.com/p/4kl2K
Rumänien Besuch des ungarischen Präsidenten Orban in Baile Tusnad
EU-Ratspräsident Viktor Orban wettert gegen den "Westen" und die EU vor Studenten in Rumänien (27. Juli 2024)Bild: Alexandru Dobre/AP Photo/picture alliance

Im Europäischen Parlament in Straßburg hatten sich viele Abgeordnete schon darauf gefreut, heftig mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orban zu diskutieren. Ungarns Regierungschef ist im zweiten Halbjahr 2024 auch der Ratspräsident der Europäischen Union. Doch Orban, der immer wieder scharfe Kritik an EU-Bürokraten und Parlamentariern übt, sagte einen für diesen Mittwoch angekündigten Auftritt im Plenarsaal des Europäischen Parlaments ab. Wegen der Überschwemmungen in Ungarn sei er in Budapest unabkömmlich, ließ der Ratspräsident wissen. "Schade, wir hatten schon einige Proteste und Überraschungen für Orban im Plenarsaal vorbereitet", sagte ein Abgeordneter, der ungenannt bleiben will, der DW.

Blockierer Ungarn übernimmt EU-Ratsvorsitz

Magere Bilanz

Eine Aussprache mit der Ratspräsidentschaft im Parlament ist eigentlich zu Beginn der Amtsperiode üblich. Wegen der Europawahlen, der Konstituierung des neuen Europaparlaments und der Neubildung der EU-Kommission wurde der Auftritt Viktor Orbans immer weiter nach hinten geschoben. Inzwischen sind schon drei Monate der Ratspräsidentschaft vorbei. Es ist bereits Halbzeit für Ungarn. Was hat die ungarische Regierung an der Spitze der EU bislang erreicht?

Bei der Gesetzgebung oder wichtigen Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen, den sogenannten Trilogen, ist man keinen wesentlichen Schritt weitergekommen, bemängelt Daniel Freund, grüner EU-Abgeordneter und Ungarn-Kenner. Kritisiert haben Parlamentarier und viele Regierungen in der EU, dass Viktor Orban ohne Mandat als Ratspräsident im Juli eine selbst erklärte Friedensmission im Krieg Russlands gegen die Ukraine unternommen hat.

EU-Kommission will Ungarn sanktionieren
Die EU-Kommission führt zahlreiche Verfahren gegen Ungarn: 2022 kündigte u.a. Haushaltskommissar Johannes Hahn (Mi.) das Einfrieren von 13 Milliarden Euro anBild: KENZO TRIBOUILLARD/AFP/Getty Images

Mehr Schaden als Nutzen?

"Sie (die Ratspräsidentschaft) hat vor allen Dingen Schaden angerichtet. In den EU-Verträgen ist nicht vorgesehen, dass diese rotierende Ratspräsidentschaft eine Außenvertretung macht. Orban hat die Rolle trotzdem dafür missbraucht, nach Moskau, nach Peking, zu Trump zu fliegen. Die Gefahr besteht natürlich, dass wir da noch nicht alles gesehen haben", sagte Daniel Freund in Straßburg gegenüber der DW. Er verweist darauf, dass sich Viktor Orban dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump an den Hals werfen könnte, sollte dieser am 5. November die Wahlen in den USA gewinnen.

Tamas Deutsch, Europaabgeordneter von der ungarischen Regierungspartei FIDESZ, machte im Plenum am Dienstag Werbung für die Haltung seiner Regierung. "Wir sollten anerkennen, dass die Strategie der westlichen Führer und der europäischen Bürokraten gescheitert ist. Wir müssen den Krieg stoppen", so Deutsch. Kommunikation mit allen Konfliktparteien sei notwendig. Die große Mehrheit des Parlaments und der EU-Regierungen sieht das anders.

EU treibt jetzt Geld für den Gerichtshof ein

Nicht nur in der Außenpolitik liegt Viktor Orban mit der EU über Kreuz. Ungarn beharrt trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes auf seinem unrechtmäßigen Asylverfahren. Das Gericht hat im Juni eine Strafe in Höhe von 200 Millionen Euro und eine weitere tägliche Strafe von einer Million Euro festgelegt. Viktor Orban will nicht zahlen. Deshalb bereitet EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn jetzt vor, das Geld einzutreiben, indem Zahlungen aus dem EU-Haushalt an Ungarn entsprechend gekürzt werden. Die Entscheidung dazu fiel an diesem Mittwoch.

"Wir kommen an unser Geld, aber natürlich ist das am Ende ein erhebliches Problem. So eine Ratspräsidentschaft hat es noch nie gegeben", gibt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund zu bedenken. Ungarn missachtet außerdem rechtsstaatliche Grundsätze und Grundrechte der EU. Deshalb läuft ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Budapest. 20 Milliarden Euro an Hilfsgeldern aus EU-Kassen, die Ungarn zustehen würden, werden von der EU-Kommission zurückgehalten, weil der Ratspräsident nicht genug gegen Korruption unternimmt und keine unabhängige Justiz mehr hat.

Deutschland Daniel Freund, MEP (Grüne), im DW-Gespräch
Ungarn-Kritiker im Europaparlament: Daniel Freund, Bündnis 90/Die GrünenBild: Lucia Schulten/DW

Orban eckt ständig an

Der nächste Showdown wird schon vorbereitet. Viktor Orbans Stabschef Gergely Gulyás kündigte an, Ungarn könnte die EU verklagen, um zwei Milliarden Euro zurückzufordern, die es für die Sicherung der EU-Außengrenze ausgeben hat. Ungarn hat eine Zaunanlage an der Grenze zu Serbien gebaut, um Asylbegehren von Migranten zu verhindern. Außerdem drohte Gulyás damit, seine Regierung würde Migranten in Bussen von der Grenze nach Brüssel schicken. "Wenn ihr Migranten wollt, könnt ihr sie bekommen", sagte der ungarische Regierungsvertreter vergangene Woche. Die EU-Kommission und die belgische Regierung haben diese Drohung scharf zurückgewiesen und als groben Verstoß gegen EU-Recht gebrandmarkt. "Wir werden unser Geld bekommen, früher oder später", sagte EU-Ratspräsident Viktor Orban dazu in einem Interview. Eigentlich soll ein Ratspräsident vermitteln und Kompromisse suchen. Davon ist nicht viel zu sehen.

Ungarn Fußball MTK Budapest - Sporting Lisbon
Tamas Deutsch (re.), Europaabgeordneter der Fidesz, wirbt gerne für Orbans Positionen (Archiv)Bild: Tibor Illyes/dpa/picture alliance

Präsidentschaft entziehen?

"Warum ist ein Land, das so fundamental gegen unsere Grundwerte verstößt, überhaupt in diesem Chefsessel?", fragt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund im Gespräch mit der DW. Das Parlament hatte im vergangenen Jahr angeregt, Ungarn die Ratspräsidentschaft zu entziehen. Die übrigen 26 Mitgliedsstaaten der EU wollten diesen Schritt aber nicht unterstützen. "Wenn die Regierungen nicht bereit sind, dagegen vorzugehen, dann gibt man Orban im Prinzip das Mandat, weiterzumachen oder es in Zukunft noch wilder zu treiben", so Daniel Freund. Ein Auftritt des ungarischen Ministerpräsidenten vor dem Europaparlament in Straßburg könnte nach der Verschiebung heute im Oktober oder November stattfinden. Die EU-Kommission und die meisten Mitgliedsstaaten üben sich in einem Bummelstreik gegen den Ratspräsidenten. EU-Kommissare und Minister reisen nicht zu den Treffen, die in Ungarn stattfinden. Das hatte es zuvor noch nie gegeben. 

USA Florida 2024 | Viktor Orban trifft Donald Trump in Mar-a-Lago
Ziemlich beste Freunde: Orban (li.) setzt auf Donald Trump als künftigen US-Präsidenten. Beide wollen der Ukraine nicht länger helfenBild: Viktor Orban via X via REUTERS

Die Liste der Konflikte zwischen Ungarn und dem Rest der EU lässt sich fortsetzen. Das Europaparlament diskutierte auch die Absicht Budapests, russischen und belarussischen Bürgern einfacher als bisher Arbeitsvisa auszustellen. Viele Abgeordnete fürchten, dass so möglicherweise mehr russische Spione oder Saboteure in die EU einsickern könnten.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union