EU: Türken brauchen weiter Visum
10. Juni 2016Offiziell haben die Innenminister der EU bei ihrem Treffen in Luxemburg nichts beschlossen. Dennoch ist klar, dass es eine Visa-Liberalisierung für die Türkei und die übrigen Staaten, die in der Warteschlange stehen, also Georgien, die Ukraine und das Kosovo, so schnell nicht geben wird. Zwar war der Türkei die Aufhebung der Visumpflicht im Rahmen des Flüchtlingspaktes mit der EU versprochen worden, doch sehen die Innenminister die Voraussetzungen weiterhin nicht erfüllt. "Visa-Entscheidungen finden ja nicht im luftleeren Raum statt, sondern berücksichtigen immer die politischen Zusammenhänge", meinte ein EU-Diplomat. Wegen der innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei, des Drucks auf kurdische Oppositionelle im Parlament und der Beschimpfung türkisch-stämmiger Bundestagsabgeordneter ist die Zeit nicht reif für die Entscheidung.
Abgesehen davon erfüllt die Türkei auch einige rechtliche Voraussetzungen nicht. So mahnt die EU-Kommission weiter die Entschärfung der Anti-Terrorgesetze in der Türkei an. Am kommenden Dienstag will die EU-Kommission dazu erneut einen Bericht vorlegen. Die deutsche Staatssekretärin Emily Haber hielt bei den Beratungen in Luxemburg dennoch an der Linie fest, dass das Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen mit der Türkei durch den anhaltenden Visa-Streit nicht gefährdet sei. "Wir haben keinerlei Gründe anzunehmen, dass sich jemand nicht an die Vereinbarungen halten wird. Wir arbeiten auch daran, zusammen mit den Mitgliedsstaaten, der EU-Kommission und der Türkei", sagte Haber, die Innenminister Thomas de Maiziere vertrat.
Türkei muss weiter auf Visa-Erleichterung warten
Der Türkei war beim Gipfeltreffen im März eigentlich der 1. Juli als Termin für eine Aufhebung der Visumpflicht genannt worden. Den wird man nicht einhalten können, bestätigte der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka der DW. "Kommt es zu einer Visa-Liberalisierung in der Situation, wie wir sie jetzt auch im türkischen Parlament sehen, dann werden sehr viele kurdisch-türkische Staatsbürger um Asyl nachsuchen, weil ihre Sicherheit nicht gewährleistet ist, wie man sich das vorstellen könnte. Das würde eine zusätzliche Belastung geben. Das muss zuerst einmal auf den Tisch und geklärt werden", forderte Sobotka.
Das Europäische Parlament müsste der Visa-Liberalisierung zustimmen. Die Stimmung ist aber wegen der selbstherrlichen Politik des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Parlament äußerst negativ. Außerdem müsste das Europäische Parlament auch noch einen neuen Notfall-Mechanismus im Visa-Recht verabschieden. Der soll es ermöglichen, die Pflicht für einen Sichtvermerk im Pass schnell wieder einzuführen, falls die Zahl von Asylbewerbern aus Visa-befreiten Staaten sprunghaft anwächst. "Für uns ist klar, dass wir in der Lage sein müssen, korrigierend eingreifen zu können, wenn sich ein größerer Visa-Missbrauch ergibt. Deswegen wollen wir einen Notfall-Mechanismus haben. Das richtet sich gegen kein Land, gegen niemanden, sondern soll nur sicherstellen, dass wir korrigieren können, wenn es Missbrauch gibt", erklärte die deutsche Staatssekretärin Emily Haber.
Gerät der Flüchtlingspakt mit der Türkei in Gefahr?
Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass das Europäische Parlament diesen Notfallmechanismus noch in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause Anfang Juli bereits billigt. Weitere Visa-Entscheidungen wären dann erst im September nach der Sommerpause möglich. Deshalb gehen EU-Diplomaten davon aus, dass eine Visa-Liberalisierung für türkische Staatsbürger, die in den Schengenraum ohne Binnengrenzen einreisen sollen, frühestens im Oktober möglich sein wird. Die Frage ist nun, wie die türkische Regierung auf diese Verschiebung reagieren wird. Die türkische Seite hatte die EU mehrfach gemahnt, sich an ihre Zusagen zu halten. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu hatte erst am Dienstag damit gedroht, den Flüchltingspakt auszusetzen, sollte die Visa-Freiheit nicht kommen.
Die EU-Innenminister ziehen sich jetzt auf den formalen Standpunkt zurück, dass der Türkei eine Visa-Aufhebung ja nur zugesagt worden sei, wenn die Bedingungen erfüllt seien. Und die seien eben nicht erfüllt. "Allerdings werden wir uns auch da anschauen müssen, wie wir weiter vorangehen", sagte die deutsche Staatssekretärin Emily Haber.
Bedenken gegen Visafreiheit für Georgien
Auch die avisierten Visa-Erleichterungen für Georgien, die Ukraine und das Kosovo wurden von den Innenministern nicht beschlossen. Hier habe man auch überhaupt keine Eile, weil den drei Ländern ja nie ein konkreter Zeitpunkt genannt worden sei, ließ ein EU-Diplomat wissen. "Da gibt es von unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Vorbehalte. Die gehören ausgeräumt. Hier geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um die Sicherheit, dass die wirklich heikle Situation im Schengen-Raum nicht noch zusätzlich belastet wird", sagte der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka.
Die EU-Kommission hat zum Beispiel Georgien attestiert, dass es alle technischen und politischen Bedingungen für die Visa-Freiheit erfüllt, aber Deutschland hat Bedenken angemeldet. Die Zahl der Einbrüche und anderer Straftaten, die von Geogiern in Deutschland verübt werden, seien stark angestiegen. Die EU-Kommission wird deshalb aufgefordert, Statistiken aus anderen EU-Staaten anzufordern und zu beurteilen, ob Bürgern Georgiens trotzdem der freie Reiseverkehr erlaubt werden könne. Auch stellten bereits jetzt relativ viele Menschen aus Georgien in Deutschland Asylanträge, heißt es aus der deutschen Delegation.
Wie Georgien erfüllt auch die Ukraine laut EU-Kommission alle technischen Voraussetzungen für eine Aussetzung der Visumpflicht. Aber bei der Ukraine stimme das politische Umfeld nicht, hieß es aus Kreisen der Innenminister. Die Minsker Abkommen zur Befriedung der östlichen Ukraine, in der russisch-sprachige Rebellen mit Hilfe Russlands eine Autonomie durchsetzen wollen, seien nicht zufriedenstellend umgesetzt worden. Weder Georgien, die Ukraine oder das Kovoso könnten Visa-Erleichterungen erhalten ohne dass der erwähnte Notfall-Mechanismus in Kraft sei. Damit liegt der "Schwarze Peter" wieder im Europäischen Parlament, das den Mechanismus wahrscheinlich erst nach der Sommerpause verabschieden wird.