Mehr Geld für entsandte Arbeiter in der EU?
25. August 2017Arbeitnehmer, die bei einer Firma in ihrem Heimatland angestellt sind und vorübergehend in einem anderen Land für diese Firma arbeiten, fallen in der Europäischen Union unter die "Entsenderichtlinie". Um die Reform dieses EU-Gesetzes gibt es Streit. Der französische Präsident Emmanuel Macron will die Regeln verschärfen, um französische Arbeiter zuhause zu schützen. Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo will die Entsenderichtlinie nicht antasten, weil polnische Arbeiter in westlichen EU-Staaten ihr Auskommen finden sollen. Wo liegen die Probleme? Fünf Fragen, fünf Antworten:
1. Was regelt die "Entsenderichtlinie"?
In der EU herrscht zwischen den östlichen und westlichen Mitgliedsstaaten ein großes Lohngefälle. Firmen aus Polen schicken ihre Bauarbeiter nach Belgien, weil sie billiger sind als vergleichbare belgische Arbeiter. Diese Entsendung ist im Regelfall auf zwei Jahre begrenzt. Den Arbeitnehmern aus Polen muss in Belgien der dortige Mindestlohn im Baugewerbe gezahlt werden. Sozialabgaben und Steuern werden für diese Bauarbeiter im Heimatland Polen fällig. Auf der Baustelle in Belgien gelten für alle Arbeitnehmer die gleichen Arbeitsschutzgesetze, Urlaubs- und Arbeitszeitregeln. Die Richtlinie umfasst nicht diejenigen EU-Bürger, die in ein anderes Land auswandern und sich dort niederlassen. Für sie gilt das nationale Recht des Einwanderungslandes. Die "Entsenderichtlinie" stammt aus dem Jahr 1996, wurde überarbeitet und sollte vor allem den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt in der EU fördern.
2. Was funktioniert nicht mehr bei der Entsendung von Arbeitnehmern?
In manchen Regionen Frankreichs oder Belgiens haben ausländische Bauarbeiter die lokalen Firmen verdrängt, weil sie preiswerter sind. Die entsandten Arbeitnehmer werden durch hohe Unterbringungs- und Versorgungskosten von ihren Arbeitgebern oft noch unter den Mindestlohn gedrückt. Es gibt arbeitsrechtliche Tricksereien mit Scheinselbstständigen oder Zeitarbeitsfirmen, die Mitarbeiter verleihen. Regelungen zu Arbeitszeiten, sozialen Standards und Sicherheit werden unterlaufen.
Die EU-Kommission hat deshalb im März 2016 eine Überarbeitung der Richtlinie empfohlen, die "klarer, fairer und einfacher" werden müsse. Das sagte die zuständige EU-Kommissarin Marianne Thyssen. Bis zum Oktober 2017 wollen sich die EU-Mitgliedsstaaten auf neue Regeln einigen. Deshalb facht der französische Präsident Emmanuel Macron die Diskussion mit seinen Vorschlägen an. Macron orakelt sogar, die EU werde zerbrechen, wenn der Kampf gegen "Sozial-Dumping" nicht gelänge.
3. Wie groß ist das Problem wirklich?
Von der Statistik her gesehen ist es eher klein. Im Jahr 2015 gab es nach Angaben der EU-Kommission zwei Millionen "entsandte" Arbeitnehmer in der EU. Das ist nicht einmal ein Prozent aller Beschäftigten in der Union. Die meisten Entsandten kamen aus Polen (460.000), aus Deutschland (240.000) und aus Frankreich (140.000). Die Zielländer dieser Arbeitnehmer waren Deutschland (420.000), Frankreich (180.000) und Belgien (150.000). Rund die Hälfte der entsandten Arbeitnehmer sind nicht die Bauarbeiter oder Servicekräfte aus Osteuropa, sondern hochqualifizierte Beschäftigte mit Spezialaufgaben, die für eine begrenzte Zeit von einem Hochlohnland ins andere gehen. Auch sie fallen unter die Entsenderichtlinie.
Polen hat sicherlich am meisten von den Regeln der Entsendegesetze profitiert, aber auch die entsandten Polen machen nur einen Bruchteil des polnischen Arbeitsmarktes aus, nämlich vier Prozent. In Frankreich, das am lautesten über die Entsenderichtlinie klagt, arbeiten nur 0,9 Prozent der Beschäftigten unter den Regeln der Entsenderichtline. Nicht berücksichtigt ist hier natürlich die echte Schwarzarbeit und die Beschäftigung von illegalen Arbeitnehmern. Sie werden in der Statistik der EU-Kommission nicht erfasst. Diese Missstände zu bekämpfen, ist übrigens Aufgabe der lokalen Aufsichtsbehörden in Frankreich, Polen, Belgien oder Deutschland.
4. Was soll verändert werden?
Frankreich, Deutschland und andere Hochlohnländer wollen auf den Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" zusteuern. Ein polnischer Arbeiter in Belgien sollte dann statt des Mindestlohns genau so viel verdienen wie seine belgischen Kollegen nach belgischen Tarifrecht. Dieses Ziel ist aber kurzfristig nicht zu erreichen, weil die osteuropäischen Staaten dann die Konkurrenzfähigkeit ihrer Unternehmen gefährdet sehen.
Deshalb will der französische Präsident, wie übrigens auch die EU-Kommission, als ersten Schritt erreichen, dass die Bezahlung von Überstunden und Zuschlägen nach dem Recht des Gastlandes geregelt wird. Außerdem sollen die entsendenden Unternehmen, ihren Arbeitern Unterkunft und Transport am Arbeitsort bezahlen. Die Dauer der Entsendung will Emmanuel Macron von zwei Jahren auf ein Jahr halbieren, um Billiglohn-Konkurrenz loszuwerden. In der Praxis beträgt die "Entsendezeit" heute im Durchschnitt aber bereits nur vier Monate.
5. Wie läuft die politische Diskussion?
Richtig begeistert waren von diesen Ideen die wenigsten osteuropäischen Regierungschefs, die Emmanuel Macron in den letzten Tagen besucht hat. Die deutsche Bundesregierung hat Macron signalisiert, dass sie mitziehen würde. Die EU-Kommission in Brüssel ist zuversichtlich, dass ein Kompromiss gelingen wird. Der war im Juni fast schon erreicht. Doch Präsident Macron verschärfte seine Forderungen nochmals mit der Halbierung der Entsendedauer.
Vor allem Polen und Ungarn mauern. Die polnische Regierung will alles so lassen, wie es ist, betont Regierungschefin Beata Szydlo. Sie liegt wegen vieler anderer Fragen mit Brüssel im Clinch und will die Richtlinie "bis zum Ende verteidigen, weil es um die Interessen der polnischen Arbeiter geht." Die deutschen Gewerkschaften begrüßen die Vorschläge zur Reform. Der Arbeitgeberverband (BDA) findet die Reform überflüssig, denn bis jetzt sei ja noch nicht einmal die letzte Reform, die vor zwei Jahren beschlossen wurde, in der EU vollständig durchgesetzt.