EU-Gipfel wird über Corona-Schulden streiten
26. März 2020Der mittlerweile dritte Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der EU dürfte sehr kontrovers verlaufen. Bei den ersten beiden Treffen per Videoschaltkonferenz ging es noch um konkrete Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus, um Grenzschließungen und um solidarische Beteuerungen. An diesem Donnerstag geht es aber ums Eingemachte, ums Geld. Es geht um die vielen hundert Milliarden Euro an Rettungsmaßnahmen, die die 27 EU-Staaten ihren Bürgerinnen und Bürgern versprochen haben, um Arbeitsplätze und Unternehmen zu schützen.
Neun Staaten wollen Eurobonds
Italien, Frankreich, Spanien und sechs andere Staaten sprechen sich dafür aus, gemeinschaftlich Schulden aufzunehmen, um die größte je dagewesene Wirtschaftskrise abzufedern. Diese Eurobonds oder Coronabonds, wie Italiens Premier Giuseppe Conte sie nennt, hätten für die weniger solventen Staaten den Vorteil, dass sich von Staaten wie Deutschland oder den Niederlanden deren größere Kreditwürdigkeit "borgen" würden. Für die klammen Staaten wäre ein gemittelter niedriger Zinssatz möglich, Deutschland würde aber mehr zahlen müssen für neue Schulden als heute. Bundesfinanzminister Scholz (SPD) hatte vor der Corona-Krise solche Gemeinschaftsschulden abgelehnt. Jetzt könnte angesichts des gewaltigen Finanzbedarfs der EU-Staaten die Front bröckeln.
Gibt es Bewegung?
Aus Regierungskreisen in Berlin heißt es inzwischen, man müsse über alle Finanzierungsinstrumente nachdenken und dürfe nichts ausschließen. Es sei aber noch zu früh, über Eurobonds zu entscheiden, da andere Quellen zuerst ausgeschöpft werden müssten. Die CDU und die CSU in der Berliner Großen Koalition lehnen die gemeinsame Verschuldung der Staaten prinzipiell ab, weil dann die Kontrolle über Neuverschuldung und Ausgaben sehr viel schwieriger wird. "Ich drücke ja niemanden meine Kreditkarte in die Hand und weiß dann nicht, was er damit macht", meinte dazu ein EU-Diplomat in Brüssel. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nannte das Ringen um gemeinsame Schulden eine "Gespensterdebatte". Die Sozialdemokraten im Bundestag können sich Eurobonds unter bestimmten Bedingungen durchaus vorstellen.
Kreditlinien könnten aus dem Rettungsschirm kommen
Die Finanzminister der Euro-Währungsgemeinschaft konnten sich vor dem Gipfeltreffen nicht auf Eurobonds einigen. Sie legten am Dienstagabend aber fest, dass der sogenannte Rettungsschirm, der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, unter Umständen aktiviert werden kann. Schwer gebeutelte Staaten wie Italien sollen vorsorglich Kreditlinien erhalten, die sie nutzen könnten, sobald für sie die Zinsen an den privaten Finanzmärkten zu hoch werden und sie praktisch von frischen Krediten abgeschnitten wären. Im ESM stehen 430 Milliarden Euro zur Verfügung. Italien könnte, falls es keine Kredite mehr am freien Markt bekommt, bis zu 36 Milliarden Euro abrufen.
Italienische Ökonomen erwarten, dass die wegen Corona einsetzende tiefe Rezession auch die italienischen Banken ins Wanken bringen könnte. Auch sie könnten mit Geld aus dem Rettungsschirm stabilisiert werden müssen. Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra warnt deshalb, den ESM nicht zu früh einzusetzen. "Wir fahren durch den Nebel und wissen nicht, wie die nächste Phase aussehen wird", sagte Finanzminister Wopke Hoekstra.
Geld kommt von der EZB
Die Staats- und Regierungschefs werden wahrscheinlich nichts entscheiden, so die Einschätzung bei Diplomaten in Brüssel, sondern den Ball an die Finanzminister der Eurozone zurückspielen. Sie werden aber gutheißen, dass die Schuldengrenzen erst einmal ausgesetzt werden. Die Staaten dürfen jetzt mehr als drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BIP) an neuen Schulden pro Jahr aufnehmen. Die EU-Kommission hatte die Notfallklausel im Stabilitätspakt der Euro-Währungsgemeinschaft aktiviert. Außerdem hat die Europäische Zentralbank angekündigt, Geld zu drucken und für 750 Milliarden Euro neue Staatsanleihen und Unternehmensanleihen aufzukaufen. Das verschafft den Staaten der Euro-Währungsgemeinschaft zunächst einigen Spielraum.
Ein Plan für den Ausstieg muss her
Unklar ist, wie lange die EU-Mitglieder die drastischen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus durchhalten wollen und können. Es wird über Wochen oder gar Monate spekuliert. "Wir haben keinen Zeitplan", sagte dazu ein EU-Diplomat in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs werden sich laut Entwurf ihrer Abschluss-Erklärung mit einem Auftrag an die EU-Kommission aus der Affäre ziehen. Sie wollen die EU-Kommission beauftragen, eine Ausstiegstrategie aus dem Corona-Modus zu entwickeln. Wann können Grenzen wieder geöffnet werden, Reisen wieder stattfinden, Schüler, Studenten und Arbeitnehmer wieder ihrem Alltag nachgehen? "Wir müssen festlegen, ab welchen Infektionsniveau wir zur Normalität zurückkehren können", beschrieben EU-Diplomaten das Problem.
"Wir werden alles tun, was nötig ist, um unsere Bürger zu schützen und die Krise zu überwinden", versprechen die Staats- und Regierungschefs der EU im Entwurf ihre Abschluss-Erklärung. "Wir zählen auf das Verantwortungsgefühl aller Einwohner in der EU in dieser schwierigen Zeit."
Alle anderen Themen außer der Corona-Pandemie wurden auf nachfolgende Gipfeltreffen verschoben. Weder die angekündigten Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien noch der Haushaltsrahmen für die Jahre 2021-2027 werden am Donnerstag in der knapp zwei Stunden langen Schaltkonferenz behandelt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel befindet sich noch in Quarantäne und wird an dem Gipfel in ihrer Berliner Wohnung teilnehmen.