"Es gibt kaum noch Hoffnung auf Überlebende"
6. August 2015Frau Sette, die "Phoenix" ihrer Hilfsorganisation "Malta Offshore Aid Station" (MOAS) rettet Schiffbrüchige im Mittelmeer. Konnten Sie helfen, als am Mittwoch ein Boot mit etwa 600 Flüchtlingen an Bord vor der libyschen Küste kenterte?
Wir waren ungefähr 50 Meilen vom Unglücksort entfernt, als die italienische Seenot-Leitstelle uns gerufen hat. Als wir ankamen, war es allerdings schon Abend. Wir ließen unsere Drohne in die Luft steigen, um die Suche zu erleichtern, aber es war leider schon zu spät. Unser Team ist die ganze Nacht patrouilliert und hat alles versucht, um Überlebende zu finden, aber ohne Erfolg.
Sie haben keinerlei Hoffnung mehr, jetzt noch Überlebende zu finden?
Die Wahrscheinlichkeit ist sehr, sehr gering. Das haben die Crews des irischen Schiffes LE Niamh und der Dignity 1 von "Ärzte ohne Grenzen" bestätigt, die als erste vor Ort waren. Die Schiffbrüchigen waren bereits seit vielen Stunden im Wasser. Es ist sehr schwer, dort noch jemanden zu finden. Wir haben das viele Stunden lang versucht, wir waren die ganze Nacht im Einsatz. Es gibt kaum noch Hoffnung auf Überlebende.
Wissen Sie, wie es genau zu dem Unglück kam?
Aller Wahrscheinlichkeit nach sind viele Menschen unter Deck eingeschlossen gewesen, nachdem das Boot kenterte. Diejenigen, die auf Deck waren, hatten bessere Chancen, sich mit einem Sprung ins Wasser zu retten. Es muss jedoch sehr viele Menschen unter Deck gegeben haben, die nicht mehr herauskamen.
Sie sagten, dass MOAS auch mit Drohnen nach Überlebenden sucht?
Ja, wir sind die erste Nichtregierungsorganisation, die auch Drohnen im Mittelmeer im Einsatz hat. Wir haben zwei Stück, um Boote in Seenot auszumachen. Dabei stehen wir in engem Kontakt mit der italienischen Küstenwache. Unser Sitz ist auf Malta, wir sind aber eine internationale Hilfsorganisation, die 2014 auf private Initiative hin entstanden ist. Seit Mai ist die Phoenix im Einsatz und konnte bislang 6000 Menschen retten.
Wo ist die Phoenix jetzt?
Sie ist immer noch auf See im Einsatz. Am frühen Morgen hat die Koordinierungsstelle der italienischen Seenot-Leitstelle in Rom uns an einen neuen Einsatzort geschickt. Sie koordiniert alle Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer. Die Phoenix sucht jetzt dort nach Flüchtlingen in Seenot.
Gibt es zur Zeit mehr Notrufe als sonst?
Ja, gerade ist sehr viel los. Das Wetter ist gut, deshalb wagen viele Boote die Überfahrt. Die Situation ist extrem angespannt. Wir sind bereit, jederzeit zu helfen.
Wie läuft eine Rettungsmission ab?
Meist kriegen wir einen Anruf aus Rom mit der Bitte, zu einem Boot zu fahren, das in Seenot sein könnte. Wenn unsere Drohne entsprechende Bilder schickt, dann informieren wir auch zunächst die italienische Seenot-Leitstelle, die alle Schiffe koordiniert, die sich in der Nähe befinden. Wir stehen in enger Verbindung zu den Behörden. Sie nutzen unsere Kapazitäten, die Bilder unserer Drohnen.
Sie arbeiten also eng mit den Behörden zusammen? Ist das nicht schwierig für eine private Hilfsorganisation?
Nein, die Seenotrettung ist ja per Gesetz geregelt. Die Zusammenarbeit verläuft reibungslos, obwohl wir eine private Organisation sind, die natürlich keine Grenzen kontrollieren will, sondern Menschenleben retten. Aber auch die italienische Küstenwache hat schon sehr viele Menschen gerettet.
Maria Teresa Sette ist bei der gemeinnützigen Stiftung "Migrant Offshore Aid Station" (MOAS) in Malta für die Pressearbeit zuständig.