Erdogan ruft offiziell zu Neuwahlen auf
24. August 2015Mehr als drei Stunden lang hatte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montagabend mit Parlamentspräsident Ismet Yilmaz beraten. Dann teilte der Pressedienst des Staatschefs mit, da die Regierungsbildung nach der Parlamentswahl am 7. Juni gescheitert sei, werde nochmals gewählt. Ein Termin wurde offiziell noch nicht genannt. Erdogan hatte aber bereits am vergangenen Freitag deutlich gemacht, dass der 1. November sein Wunschdatum sei.
Erdogan setzt sich über Parlament hinweg
Eigentlich hätten die Abgeordneten entscheiden sollen, ob das Parlament sich auflöst und eine Neuwahl angesetzt werden muss. Erdogan nutzte aber ein Vorrecht des Staatschefs, sich über diese Möglichkeit hinwegzusetzen.
Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Erdogan hatte bei der Abstimmung im Juni erstmals nach zwölf Jahren ihre absolute Mehrheit verloren, war aber stärkste Partei geblieben. In den darauffolgenden Wochen gelang es ihr nicht, eine Regierungskoalition zu schmieden.
Opposition spricht von zivilem Staatsstreich
Nachdem die AKP die Verhandlungen mit der säkularen Partei CHP und der rechtsnationalen Partei MHP für gescheitert erklärt hatte, entschied sich Erdogan dagegen, CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Kilicdaroglu sprach daraufhin von einem "zivilen Staatsstreich". Seine Partei sei zur Zusammenarbeit mit der AKP bereit gewesen. Demokratie und Verfassung seien außer Kraft gesetzt worden.
Opposition und Regierungskritiker werfen dem türkischen Präsidenten vor, die Neuwahl gezielt herbeigeführt zu haben, um für die AKP die Regierungsmehrheit zurückzuerobern.
An diesem Dienstag wird sich Erdogan mit AKP-Chef Ahmet Davutoglu treffen, wie die regierungsnahe Nachrichtenagentur Anadolu berichtet. Bis zur Neuwahl muss eine Übergangsregierung gebildet werden. Entsprechend ihrer Stärke im Parlament müssten darin eigentlich alle Parteien vertreten sein. Die CHP und die MHP lehnten die Teilnahme an einer Interimsregierung jedoch bereits ab. Der Chef der pro-kurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtas, erklärte dagegen, seine Partei sei bereit, die ihnen zustehenden Ministerposten zu besetzen.
se/wa (dpa, afp, ape, rtr)