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Sous-Braun: "Patienten sind extrem verunsichert"

Philipp Sandner10. August 2014

Die von der WHO empfohlenen Notstandsgesetze seien wichtig, um Ebola einzudämmen, sagt Elisabeth Sous-Braun von der Hilfsorganisation German Doctors. Die Epidemie erschwere auch die Behandlung anderer Krankheiten.

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Krankenpfleger in Schutzkleidung desinfizieren das Grundstück eines Ebola-Toten in Liberia, August 2014 (Foto: picture-alliance/dpa).
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: German Doctors unterstützt ein lokales kirchliches Krankenhaus in Sierra Leone, etwa drei Stunden von der zweitgrößten Stadt des Landes entfernt. Neben Guinea und Liberia ist Sierra Leone besonders stark von der Ebola-Epidemie betroffen. Was bedeutet diese Epidemie für die Arbeit Ihrer Mitarbeiter vor Ort?

Elisabeth Sous-Braun: Unsere einheimischen Mitarbeiter wissen, wie sie sich schützen können. Ärzte, die Kaiserschnitte oder sonstige chirurgische Eingriffe durchführen, laufen aber trotz Schutzkleidung jederzeit Gefahr, sich zu infizieren. Daher haben wir entschieden, für die nächsten zwei Monate keine Fachärzte aus Deutschland zur Ärzteausbildung nach Sierra Leone zu entsenden. Eine deutsche Langzeitärztin koordiniert dort aber weiterhin die Arbeit.

Jeder Mensch, der das Krankenhausgelände betritt, wird zuerst auf Fieber und andere Ebola-Symptome untersucht. Wenn wir Symptome feststellen, isolieren wir die betroffenen Personen und verlegen sie in ein anderes Krankenhaus. Wir selbst haben nicht die Kapazitäten, Ebola-Patienten zu behandeln. Das übernehmen die internationalen Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und das Rote Kreuz.

Ärztin Elisabeth Sous-Braun untersucht ein Kind in Sierra Leone (Foto: German Doctors e.V.).
Elisabeth Sous-Braun bei einem Einsatz in Sierra LeoneBild: German Doctors e.V.

Die Patienten sind durch Ebola extrem verunsichert. Seit dem Ausbruch der Epidemie trauen sich viele auch mit anderen Krankheiten wie Malaria nicht mehr in die Krankenhäuser und Gesundheitsstationen. Doch auch wenn es in einem Land Ebola-Fälle gibt, müssen ja Malaria und Typhus weiter behandelt werden oder Kaiserschnitte durchgeführt werden. Deshalb betreiben wir intensive Aufklärungsarbeit auf dem Land.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Gesundheitsnotstand ausgerufen, um die Epidemie in den Griff zu bekommen. Den betroffenen Ländern rät sie unter anderem zu nationalen Notstandsgesetzen. Welche konkreten Auswirkungen könnte die WHO-Entscheidung haben?

Das kann heute niemand sagen. Sierra Leone hat ja schon vor einer Woche den Notstand ausgerufen, was ich für eine ganz wichtige Maßnahme halte. So sehr es die Menschen auch verschreckt, dass nun das Militär ganze Bezirke abriegelt: Die einzige Möglichkeit, die Epidemie in den Griff zu kriegen, ist, zu versuchen, alle Infizierten zu identifizieren, zu isolieren und zu behandeln. Nur so werden Sierra Leone, Liberia und Guinea mit dieser Epidemie fertig werden können. Wenn das ganz konsequent umgesetzt wird, haben wir große Hoffnung, die Krankheit in zwei, drei Monaten im Griff zu haben. Wenn nicht, dann wird sich Ebola ausbreiten, zu einer chronischen Epidemie werden - und keiner kann heute sagen, was das für das Land, seine Wirtschaft und seine internationalen Beziehungen bedeuten wird.

Welche Veränderungen ergeben sich ganz konkret durch den nationalen Notstand für die Menschen vor Ort?

Die Menschen waren sehr erschreckt. Nach dem schlimmen Bürgerkrieg ist die Angst vor dem Militär sehr groß. Unser Projektkoordinator vor Ort sagte: 'Hier ist alles leer, alle Menschen sind in den Busch geflohen.' Die Gerüchteküche brodelt. Offenbar verbreiten auch traditionelle Heiler die Angst, dass Menschen gezielt infiziert werden. Wir hoffen, dass sich die Situation verändert, wenn das Militär gemeinsam mit Gesundheitsarbeitern von Haus zu Haus geht, um die Infizierten zu identifizieren.

Sierra Leone ist eines der ärmsten Länder der Welt, beim Human Development Index steht es auf Platz 177 von 187. So ein niedriges Entwicklungsniveau bedeutet auch, dass das Gesundheitssystem extrem schwach ist. Normalerweise sollten genug Krankenschwestern und Ärzte bereitstehen, um Patienten in Quarantäne zu bringen. Dass das in Sierra Leone vom Militär geleistet werden muss, ist verständlich, notwendig und richtig. Die Angst der Bevölkerung ist dennoch nicht verwunderlich.

Wie wichtig sind Quarantäneregelungen und Reiseeinschränkungen?

Es ist vorgekommen, dass ein Ebola-Patient aus der Quarantäne verschwunden ist und im voll besetzten Bus quer durchs Land gereist ist, um sich in Freetown von seinen Verwandten pflegen zu lassen. In Westafrika ist die Familie das Allerwichtigste. Kranke werden immer versuchen zu ihrer Familie zu kommen, in der Hoffnung auf Schutz und Hilfe. Dieser Mensch kann Ebola im ganzen Land verstreut haben. Wäre er wohlhabend gewesen und hätte es geschafft, sich ins Flugzeug nach Casablanca oder anderswo zu setzen, hätte er das Virus in die ganze Welt verteilen können. So ist es ja bereits nach Nigeria gekommen. Und so darf es nicht weitergehen. Daher ist es sehr wichtig, dass diese internationalen Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Die müssen natürlich auch für externes Gesundheitspersonal gelten. Sollte sich unsere Langzeitärztin in Sierra Leone infizieren, würde sie vermutlich nicht mehr aus dem Land ausreisen können. Wir haben deshalb intensive Gespräche geführt, um zu klären, ob sie wirklich dieses Risiko auf sich nehmen möchte. Sie entschied, zu bleiben.

Elisabeth Sous-Braun ist Vorstandsmitglied und ärztliche Leiterin von German Doctors e.V. und betreut in dieser Funktion die internationalen Projekte der Hilfsorganisation. Das Krankenhaus in Sierra Leone hat sie bei zahlreichen Besuchen mit aufgebaut und koordiniert von Deutschland aus die dortige Ärzteausbildung.