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Werben für Europa

Karin Jäger23. Mai 2014

Am Sonntag sind in Deutschland die Wahlberechtigten aufgerufen, ihre Stimme für das EU-Parlament abzugeben. Von den 751 Abgeordneten werden 96 aus Deutschland entsandt. Doch von Wahlkampfstimmung kaum eine Spur.

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Europa-Wahlkampf in der Fußgängerzone (Foto: DW/K. Jäger)
Bild: DW/K. Jäger

Montagmorgen, acht Uhr. Axel Voss eilt mit wehender Krawatte und offenem Jackett in die Aula des Bonner Friedrich-Ebert-Gymnasiums. Der Mann muss auch an diesem Tag wieder einen Marathon bewältigen, nicht laufend, aber redend und sich rechtfertigend. Denn Voss will seinen als Platz als Parlamentarier im Europa-Parlament verteidigen. Seine Partei, die CDU, wirbt auf den wenigen, dafür riesigen Plakaten mit Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin will zwar nicht nach Brüssel wechseln, aber die kennt halt jeder. In Deutschland und in Europa.

SPD Spitzenkandidat Martin Schulz gehört als Parlamentspräsident zu den Urgesteinen der Eurokraten. Er ist das Gesicht der Sozialdemokraten im Wahlkampf, obwohl auch er in der Region Köln-Bonn gar nicht zur Wahl steht. Die Grünen wollen mit allgemeinen Slogans wie "Vielfalt leben - beste Wahl" und ohne Kandidaten Stimmen gewinnen, und Axel Voss wirbt für sich selbst. Mit seinem Konterfei auf Plakaten und durch Anwesenheit. "Ich würde mir wünschen, bekannter zu sein", gesteht er lächelnd. Immerhin vertritt er drei Millionen Bundesbürger in der EU. So groß ist sein Wahlbezirk. Die Wahlplakate hat er selbst bezahlt. Das ist Europa ihm wert. "Lernt Fremdsprachen", rät er gleich zu Beginn den Schülern in Bonn, als er berichtet, wie er sich in seiner vielsprachigen EU-Familie verständigt.

Europa-Wahl-Kandidat Axel Voss bei einer Diskussionsveranstaltung (Foto: DW/K. Jäger)
Axel Voss vor vollen RängenBild: DW/K. Jäger

Begeisterung der Jugend für Europa

Die 250 Jugendlichen der bilingualen Oberschule finden das gut. Und dann erzählt Voss, dass er erst seit 2009 von Bonn nach Brüssel pendelt. Der Jurist war damals 46 und ist somit ein politischer Spätentwickler. "Ich habe mich darüber geärgert, wie Politiker mit dem Geld umgehen und bin dann selbst eingestiegen." Zum Leidwesen seiner Familie, gesteht er. Er lebe dieses Europa, habe längst einen europäischen Tunnelblick entwickelt. Das zeigen seine Manschettenknöpfe und ein Pin am Jacken-Revers mit den europäischen Sternen.

Wozu brauchen wir Europa, wird der Gast gefragt. "Migration, Umweltschutz, Energiesicherheit, Außen- und Sicherheitspolitik, das sind Herausforderungen, auf die nationale Staaten alleine keine Antworten finden." Was ihm besonders am Herzen liege? "Wenn Güterzüge von Amsterdam nach Genua brettern, dann setze ich mich für Maßnahmen zum Lärmschutz ein. Auch Natur- und Datenschutz gehören zu meinen Schwerpunkten", antwortet Voss und nennt Beispiele, Lösungsmöglichkeiten und formuliert Fragen: "Wollen wir in Zukunft noch Privatsphäre haben?" Er zumindest will und referiert über die Schwierigkeiten, digitale Grenzen zu ziehen. Gebannt hören die meisten Jugendlichen zu. Sie finden das grenzenlose, weltoffene und friedliche Europa klasse. Und sie finden es auch interessant, was Voss über seinen Alltag erzählt, über die Streitkultur, über die kaum zu bewältigende Bürokratie, über Abläufe im EU-Parlament und die fragwürdigen Normierungen und Reglementierungen von "Staubsaugern, Kaffeemaschinen, Gurken und Bananen".

Voss betreibt politische Bildung und keinen Wahlkampf. Das dürfte er auch gar nicht in der Schule. Die Schüler sind ohnehin noch nicht wahlberechtigt. Der MdEP (Mitglied des Europäischen Parlaments) ist auf Einladung gekommen. Wie sich Europa in den letzten Jahren verändert habe, fragt eine Schülerin.

Gutes Fachwissen und viele Fragen

"Die Schulden- und Finanzkrisen haben die EU schwer belastet", gibt der CDU-Mann zu, "Wir haben uns sogar mal gefragt, ob es uns in ein paar Monaten noch gibt." Zurzeit belaste die Ukraine die Atmosphäre stark, sagt er. Wie ist Deutschlands Rolle in der EU? Warum nimmt Deutschland nicht mehr Flüchtlinge auf, die könnte man doch im leer stehenden Berliner Flughafen unterbringen? Voss wird nicht verschont. Die zwei Stunden seines Heimspiels sind längst rum, doch die Schüler haben immer noch Fragen. Am Ende wird Voss mit frenetischem Applaus verabschiedet. Und Marie hat die Zusage erhalten, ein Praktikum in seinem Brüsseler Büro machen zu dürfen. Die 17-Jährige strahlt, als hätte sie im Lotto gewonnen.

Voss lobt die Jugendlichen später für ihre Begeisterung und ihre gute Vorbereitung. Auch im 40 Kilometer entfernten Köln zeigen die Schüler großes Europa-Interesse, obwohl es für Voss deutlich schwieriger ist, sich zu behaupten. Denn im Schulsaal des Deutzer Gymnasiums liefern sich fünf Parteien-Vertreter einen regen verbalen Schlagabtausch. Zur Belustigung der rund 300 Zuhörer, die Bemerkungen entweder mit Applaus oder Buh-Rufen kommentieren.

Wahlplakate zum Europa-Wahlkampf an einer Straße (Foto: DW/K. Jäger)
Merkel geht immer - auch im Europa-WahlkampfBild: DW/K. Jäger

Kandidaten-Kür vor Gymnasiasten

Da spielt es auch keine Rolle, dass die Kandidaten von Linkspartei, Grünen, SPD und FDP noch gar keinen Sitz im Europaparlament haben und noch weniger bekannt sind als Voss. Besonders heftig streiten die Diskutanten über Eurobonds, Bankenregulierungen, Mindestlöhne, Steuern, über den Rechtsruck in Ungarn, die Einmischung Russlands und Europas in Angelegenheiten der Ukraine und das geplante Freihandelsabkommen mit den USA.

"Ich wünsche mir, dass es die Europäische Union in 25 Jahren noch gibt. Das ist nicht selbstverständlich, weil sie von rechten und linken Kräften angegriffen wird", gibt Peter Alberts in seinem Schlussstatement an und: "Ich wünsche mir eine Zivilmacht Europa in guter Nachbarschaft." "Klingt überzeugend", finden zwei Schülerinnen, die dem Bewerber von Bündnis 90/ Die Grünen glatt ihre Stimme geben würden. Wenn sie abstimmen dürften. Oder doch den Linken, die seien gegen Waffenexporte? Der Mann von der CDU erscheint ihnen eher zu bieder.

Kandidat da, aber kaum EU-Wahl-Interessenten

Draußen erhält Axel Voss von einem Mann noch Unterlagen über Fluglärm überreicht. Dann geht es weiter. Weitere Einzeldiskussionen führt er später in der Bonner Fußgängerzone. Ein Mann, der aus dem Iran immigrierte, will auf jeden Fall wählen gehen.

Er gehört damit zu einer Minderheit. Bei diversen Umfragen von Fernsehsendern, zehn Tage vor der Entscheidung am 25. Mai, gaben etwa 40 Prozent der Befragten an, sich für diese Europawahl zu interessieren.

Welche Partei er wählen wird, weiß der Deutsch-Iraner noch nicht. Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit seien ihm wichtig, sagt er. Sorgen macht er sich um seine Rente. Das ist allerdings kein Belang, über den Brüssel entscheidet. Trotzdem ist er froh, dass er wenigstens mal mit einem Volksvertreter persönlich reden kann.

Wähleraquise statt Feierabend

Voss wirkt entspannt, nimmt sich Zeit, der Andrang ist nicht gerade überwältigend. Am späten Nachmittag packt er die Plakate in seinen Wahlkampf-tauglichen Caddy, um weiter zum nächsten Termin zu fahren. Zum Kreistag der Jungen Union hat sich auch Elmar Brok angesagt.

Europa-Parlamentarier Elmar Brok sprich bei einer Veranstaltung (Foto: DW/K. Jäger)
"EU-Dino" Elmar Brok begeistert mit AnekdotenBild: DW/K. Jäger

Ein Europa-politischer Dinosaurier, seit 1980 im Dienste Europas im Einsatz. Als der außenpolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP) allerdings Anekdoten über seine Reisen in die Ukraine zum Besten gibt, hören ihm noch 35, eher ältere Semester zu. Sein Thema: "Europa - eine Verpflichtung für uns alle?!" Vielleicht hätte er das nicht als Frage formulieren sollen. Noch während Brok referiert, erhebt sich Voss. Er muss weiter zum Canvassing, zum Stimmenfang, in die Kölner Altstadt.

Axel Voss wünscht sich, dass viele wählen gehen am Sonntag. Vor fünf Jahren gaben nur 43,3 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürger ihre Stimme für das Europaparlament ab. Laut aktuellen Umfragen führt die CDU mit 38 Prozent der Stimmen klar vor der SPD mit 27 Prozent. Bis Sonntag will der Kandidat mit allen Kräften für seine Überzeugungen werben, um danach weiter europäische Politik mitzugestalten. Auch wenn das zum Leidwesen seiner Familie wäre.