Eine Schlappe für die Kanzlerin
13. März 2016Das Ergebnis der drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist keine Überraschung Es spiegelt die Turbulenzen wieder, die Angela Merkels Politik der offenen Grenzen in der deutschen Gesellschaft ausgelöst hat. Positiv daran: Es gingen mehr Bürger zur Wahl als vor fünf Jahren. Zum Ärger der etablierten Parteien gaben viele ihre Stimme allerdings der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD), deren Ziel ein sofortiger Aufnahmestopp für Flüchtlinge ist.
Im ostdeutschen Sachsen-Anhalt erhielt die AfD sogar gut 24 Prozent, mehr als jemals eine Rechtsaußen-Partei bei Landtagswahlen in Deutschland erreichte. Aber selbst im westdeutschen "Musterländle" Baden-Württemberg, wo die Wirtschaftslage gut und die Arbeitslosenzahlen niedrig sind, erzielte die AfD auf Anhieb rund 15 Prozent. Auch hier fürchtet jeder Zweite durch die Flüchtlinge mehr Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt, steigende Kriminalität und einen zu starken Einfluss des Islam.
Merkel ist geschwächt, aber alternativlos
Das Wahlergebnis ist in erster Linie eine Schlappe für die Kanzlerin, die in der Flüchtlingspolitik die Linie vorgibt. In ihrer einstigen Hochburg Baden-Württemberg wurden Merkels Christdemokraten erstmals seit 1952 nicht die stärkste Partei. Auch in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt verlor die CDU Stimmen. Dass sie nicht noch schlechter abgeschnitten hat, verdankt die Kanzlerin-Partei vermutlich und paradoxerweise der - von Merkel heftig kritisierten - Schließung der "Balkanroute" durch Österreich und die Südosteuropäer. Denn 70 Prozent der Wähler erklären, sie seien "erleichtert", dass derzeit nicht mehr so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Es ist zugleich der deutliche Auftrag an die Regierung in Berlin, ein Wiederanwachsen der Flüchtlingszahlen zu verhindern. In der großen Koalition wird sich die bayerische CSU bestätigt sehen, die seit langem Merkels Willkommenskultur bekämpft. Vier Tage vor den Verhandlungen mit der Türkei in Brüssel gerät Merkel auch in Europa stärker unter Druck. Österreichs Kanzler Werner Faymann forderte am Sonntag in einem Zeitungsinterview, Merkel solle durch Aufnahmeobergrenzen den "Flüchtlingswettlauf" nach Deutschland stoppen.
Ein "Sturz" oder Rücktritt der Kanzlerin ist nach diesem Wahlsonntag so gut wie ausgeschlossen. Zum einen ist im Bundestag keine Mehrheit gegen Merkel in Sicht. Zum anderen ist - abgesehen von der Flüchtlingskrise - immer noch eine Mehrheit der Deutschen mit Merkels sonstiger Arbeit zufrieden.
Die "Volksparteien" im Sinkflug
Die Flüchtlingskrise schüttelt das Parteiensystem in Deutschland kräftig durch. Neben der CDU ist auch die bisherige zweite große Volkspartei, die SPD, weiter im Sinkflug. Die Mehrheit der Wähler gibt an, sie wisse nicht mehr, wofür die Sozialdemokraten stünden. Das bezieht sich auch auf die Flüchtlingskrise, in der Parteichef Sigmar Gabriel auffallend taktierte.
Die Zeiten, in denen sich die beiden "Großen", Union und SPD, jeweils einen kleineren Koalitionspartner zum Regieren suchen konnten, sind vorbei. Was im Rest Europas bereits normal ist, hält auch in Deutschland Einzug: Die Zahl der Stammwähler einer Partei sinkt, die Parlamente und Regierungen werden bunter, die Regierungsbildung schwieriger. Selbst eine gewohnheitsmäßig noch so genannte "große Koalition" von CDU und SPD würde in Baden-Württemberg nicht mehr funktionieren - das hat es noch in keinem Bundesland gegeben.
Schuld ist der Siegeszug des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der erstmals die Grünen zur stärksten Partei in einem Bundesland machte. Der wertekonservative Politiker wird als Landesvater angenommen und genießt Ansehen über alle Parteigrenzen hinweg. Überzeugungen seien ihm wichtiger als Parteipolitik, bescheinigen ihm die Wähler. In der Flüchtlingskrise ist der Grüne dadurch aufgefallen, dass er - im Unterschied zu seiner Partei - die Verschärfung der Asylgesetze unterstützt. Kurios: selbst 70 Prozent der AfD-Wähler, die mit den etablierten Parteien nichts am Hut haben, bezeichnen Kretschmann als guten Ministerpräsidenten. Wie wichtig Glaubwürdigkeit angesichts der steigenden Politikverdrossenheit in der Bevölkerung ist, zeigt auch die Sozialdemokratin Malu Dreyer, die gegen den Trend für die SPD Stimmen hinzugewinnen konnte und Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz bleiben dürfte.
Auch eine Altbekannte taucht allmählich wieder aus der Versenkung auf. Die FDP war 2013 aus dem Bundestag geflogen, zieht nun aber nach Hamburg und Bremen auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wieder in Landtage ein. Die Linke dagegen, die jede Verschärfung der Asylgesetze und jede Begrenzung der Flüchtlingszahlen ablehnt, wurde in Ostdeutschland dafür hart abgestraft: In Sachsen-Anhalt, wo sie sich Hoffnung auf den Ministerpräsidentenposten gemacht hatte, fiel sie sogar hinter die AfD zurück.
Die AfD fordert die Etablierten heraus
Seine Partei habe am Wahltag den größten Beitrag zur Demokratie geleistet, triumphierte Sachsen-Anhalts AfD-Spitzenkandidat André Poggenburg, denn: Die AfD habe wieder mehr Wähler an die Wahlurnen gelockt. Tatsächlich haben die Rechtspopulisten Stimmen von allen Konkurrenten gewonnen, am meisten aber aus dem Lager der Nichtwähler. Besonders in der Flüchtlingsfrage fühlt sich eine Mehrheit der Bürger von den etablierten Parteien nicht ernst genommen. Jeder vierte meint, die AfD verstehe seine Sorgen besser. Aber die Mehrheit vermutet auch: Die AfD ist eine Protestpartei, die Dinge beim Namen nennt, von der aber keine Problemlösung zu erwarten ist.
Die AfD ist mittlerweile in acht Landtagen vertreten und ihr Einzug in den Bundestag 2017 erscheint möglich. Grund dafür ist nach Ansicht von Parteienforschern auch, dass die CDU unter der Führung Angela Merkels in die Mitte gerückt ist und Freiraum für eine neue Partei auf der rechten Seite geschaffen hat.
Protestparteien war bisher in Deutschland eher ein kurzes Leben beschieden: Schill-Partei und Stattpartei verschwanden bald von der Bildfläche, die Piratenpartei ist gerade dabei, sich zu verabschieden. Gegen ein schnelles Verschwinden der AfD spricht, dass die Flüchtlingskrise und ihre Folgen die Politik noch lange beschäftigen dürften.
(Die Umfrageergebnisse stammen aus einer repräsentativen Befragung von "infratest dimap" unter Wählern der drei Bundesländer vom 7.- 9.März)