Musik und Mauerfall
10. November 2014Standing Ovations begleiten die Musiker des Leipziger Gewandhausorchesters auf ihrer USA-Tournee. "Die Menschen wollen den typischen Leipziger Klang erleben und sie haben ihn bekommen", sagt Chefdirigent Riccardo Chailly. Seit 1974 tourt das Orchester regelmäßig durch die USA. Die Amerikaner lieben den dunklen Klang der Streicher und Holzblasinstrumente. Doch diesmal haben die Musiker mehr als satte Klänge im Gepäck. Auf seine Tournee hat das Orchester eine kleine Wanderausstellung zum Thema "25 Jahre Mauerfall" mitgebracht. Das Team von Orchesterintendant Andreas Schulz zeigt in dieser Ausstellung Bilder der Leipziger Montagsdemonstrationen und erzählt die Geschichte jener friedlichen Proteste, die zur Überwindung der Teilung Deutschlands am 9. November 1989 beigetragen haben.
Das Orchester und die Montagsdemonstranten
"Wir sind kein Revolutionsorchester", sagt Heiner Stolle dennoch mit großer Entschiedenheit. Seit 38 Jahren spielt er Bratsche im Leipziger Gewandhausorchester. Das Orchester hat bei der Revolution zur deutschen Wiedervereinigung eine wichtige Rolle gespielt. Kurt Masur, bis 1996 Chefdirigent des Orchesters, hatte sich für einen friedlichen Verlauf der Proteste in der DDR stark gemacht. Er hatte sich früh auf die Seite der Menschen gestellt, die in Leipzig mutig für einen politischen Wandel demonstrierten. Auch Heiner Stolle marschierte bei den entscheidenden Montagsdemonstrationen mit, wenn auch etwas beklommen. Er erinnert sich noch gut an die angespannte Atmosphäre beim Auftritt seines Orchesters am 9. Oktober 1989, als der damalige Gewandhaus-Kapellmeister Kurt Masur sein Haus für die Demonstranten öffnete und ihnen zeitweilig eine "poltische Heimat" gab. Im Leipziger Gewandhaus konnten die Menschen fortan offen politische Forderungen stellen und waren den Repressionen des Staatssicherheitsdienstes der DDR nicht schutzlos ausgeliefert.
Musik zählt mehr als Politik
Heiner Stolle hat zwar all das erlebt, aber nur wenig über diese Ereignisse bei der USA-Tournee geredet. Man habe das Gewandhausorchester auch in den USA nicht als "Orchester der Revolution" wahrgenommen, meint er. Eher als das älteste bürgerliche Orchester der Welt überhaupt, "älter als die USA", meint Stolle mit einem Schmunzeln. Bis ins Jahr 1479 reicht die Geschichte des Gewandhausorchesters zurück. Der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy war einer seiner berühmtesten Dirigenten. Heute zählt es zu den besten Orchestern der Welt. Neben Konzerten in Leipzig gastieren die Musiker immer wieder in den Konzertsälen vieler internationaler Musikzentren, darunter auch schon mehrfach in US-amerikanischen Städten wie New York oder Boston.
Auch wenn das Leipziger Gewandhausorchester seine USA-Tournee mit der politischen Botschaft "25 Jahre Friedliche Revolution" verbindet und damit an das 25-jährige Jubiläum des Mauerfalls erinnern will, steht die Musik für alle im Vordergrund: für das Orchester, das Publikum und auch für den Dirigenten. Er sei kein Politiker, sagt Riccardo Chailly im Gespräch mit der Deutschen Welle. Ihn interessierten nur "Musik und Menschen". Dabei hat auch Chailly seine ganz eigene Mauererfahrung. Als damaliger Chefdirigent des Radio Sinfonie Orchesters Berlin habe er die "Depression" gespürt. "Die gewaltsame Trennung hat diese Depression bei den Berlinern psychologisch und menschlich verursacht."
Ausstellung weckt politisches Interesse
Die kleine Ausstellung hat beim amerikanischen Publikum über das musikalische Interesse hinaus aber auch ein politisches Interesse geweckt. "Vor allen Dingen die älteren Menschen wollten wissen, wie es damals gewesen ist", erzählt Orchesterintendant Andreas Schulz. Manche der jungen Leute hätten kaum Detailwissen über die Leipziger Demonstrationen oder den Mauerfall. In Gesprächen mit dem Publikum habe man immer wieder erzählt, warum die Leipziger und Berliner Ereignisse in der deutschen Geschichte eine so wichtige Rolle spielten.
Der Spagat zwischen Politik und Musik wurde beim Auftakt der Tournee im texanischen Houston besonders augenfällig. Dort nämlich, in Leipzigs Partnerstadt, hatte der frühere Präsident George Bush Senior die Schirmherrschaft für das Konzert des Gewandhausorchesters übernommen. Ihn interessierte allerdings die Musik mehr als die Politik. George Bush war zum Zeitpunkt der Montagsdemonstrationen und des Mauerfalls US-Präsident. Darüber sprach er aber erst beim Interview mit der DW und lobte das wiedervereinigte Deutschland. "Es ist wundervoll zu sehen, wie sich Deutschland entwickelt hat und sich bei den weltweiten Konflikten engagiert."
Mendelssohn und Bruckner begeistern das Publikum
In Bezug auf das Gewandhausorchester interessierte George Bush eher die reiche musikalische Tradition und Felix Mendelssohn-Bartholdy als Komponist und Dirigent. Ein Interesse, das auch andere Amerikaner teilen. "Wir sind deshalb mit einem 'Leipziger Programm' gereist", erzählt Chefdirigent Chailly. Darunter versteht er Werke, die vom Gewandhausorchester Leipzig uraufgeführt wurden: Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert oder Anton Bruckners 7. Sinfonie. In akustisch großartigen Sälen wie in Houston oder Boston kamen diese Werke besonders zur Geltung und das Orchester konnte seinen speziellen dunklen "deutschen" Klang optimal entfalten. "Die alte Goldfarbe des Orchesters" nennt Riccardo Chailly das. Die wird auch bei Anton Bruckners monumentaler 7. Sinfonie beim Abschlusskonzert am 10.11. in New York noch einmal zur Geltung kommen. Am Ende haben die Leipziger Musiker aber nicht nur mit ihrem Klang, sondern auch mit ihrer einzigartigen Geschichte Neugier und Sympathien beim amerikanischen Publikum geweckt.