Ein bisschen Reform
27. März 2014Es hat bei ihm geklingelt, so die Botschaft des US-Präsidenten. Die Telefondaten-Sammelwut seines Geheimdienstes NSA wolle er künftig etwas bremsen. Das verkündete Barack Obama noch auf seiner Reise bei den Europäern.
Deren Zuneigung drohte gerade am NSA-Programm zu zerbrechen. In Kürze, erklärte Obama am Rande des Atomgipfels in Den Haag, werde er einen entsprechenden Reformvorschlag seines Justizministeriums für das NSA-Programm präsentieren. "Ich bin zuversichtlich, dass er uns erlaubt, das Nötige zu tun, um für die Gefahr eines Terroranschlags gewappnet zu sein", erklärte Obama, "aber uns auch erlaubt, auf die Besorgnis einzugehen, die die Menschen geäußert haben."
Wer telefoniert mit wem? Von wo und wie lange? Kein Telefonkunde ist laut des Patriot Acts infolge der Terroranschläge des 11. September 2001 sicher vor Big Brother. Ein Aufschrei hatte sich durch die USA gezogen, als Whistleblower Edward Snowden das Metadaten-Programm der NSA vor wenigen Monaten enthüllte. Im Januar versprach Obama eine Reform, Ende der Woche nun läuft die angesetzte Frist dafür aus. Was vorab bekannt wurde, werten Menschenrechtler als Teilerfolg. Etwa Brett Max Kaufman von der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU). "Wir denken, das ist ein wirklich wichtiger erster Schritt in der Regierung, hin zu dem Schluss, dass es unnötig und unklug ist, massenweise Telefondaten aller Amerikaner zu sammeln", sagte er der DW.
Daten per Gerichtsbeschluss
Nach dem, was soweit von dem Vorschlag bekannt ist, soll der Geheimdienst die Daten über die Telefongewohnheiten von Amerikanern nicht mehr selbst sammeln dürfen. Stattdessen sollen sie von Telekommunikations-Unternehmen gespeichert werden. Die NSA könnte nur per Gerichtsbeschluss darauf zurückgreifen. Zeitgleich mit dem Präsidenten wartete nun auch der Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses mit einem Reformplan auf. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, lobte den Entwurf:
"Die Vorlage markiert den Start einer parteiübergreifenden Debatte darüber, wie wir unsere Fähigkeit, Anschläge abzuwehren bewahren und gleichzeitig die Sorgen um Privatsphäre und Bürgerrechte ernst nehmen, die viele Amerikaner haben", erklärte Boehner in Washington.
Doch Bürgerrechtler sehen das ganz anders. "Der Hauptunterschied und die größte Schwachstelle des Plans aus dem Abgeordnetenhaus ist, dass er keine richterliche Verfügung vorsieht, wenn die Regierung die Daten von der Telefongesellschaft haben möchte", erklärt Kaufmann. Dies jedoch sei einer der grundlegenden Punkte im Zuge der Reform.
Nach Meinung des Rechtsexperten gehen beide Vorschläge nicht weit genug. Denn der Patriot Act erlaube dem größten der amerikanischen Geheimdienste noch weit mehr Eingriffe in die Privatsphäre als lediglich das Horten von Telefondaten. "Es gibt andere Datensammlungen, die vielleicht noch schlimmer sind", meint Kaufmann. "Sie geben Aufschluss darüber, wo wir hingehen, wen wir kennen, welcher Kirche oder Partei wir angehören, wo wir unser Geld ausgeben, welche Ärzte wir besuchen oder ob wir ein Gewehr besitzen."
Falsch verbunden
Falsch verbunden, meint auch Matt Simons, Direktor der Abteilung für soziales und wirtschaftliches Recht der Technologiefirma ThoughtWorks, über die Telefondatenpläne der Regierung. Die Ankündigungen der sogenannten Reformen seien reine Augenwischerei: "Es ist eine Beleidigung für die Intelligenz von jedem zu behaupten, dass mit diesen kleinen Optimierungen alles in Ordnung kommt", sagte er der DW. "Was ist mit den Gefängnissen, dem Abhören von Überseeleitungen. Was ist mit den Aufklärungsdrohnen, die die Kommunikation unschuldiger Bürger abhören können?"
Keiner spreche von diesen Menschenrechtsverletzungen und den Reformen, die hier nötig seien. Man könne nur hoffen, dass die Ankündigungen des Präsidenten lediglich der Anfang sind. Es brauche weit mehr, um das angeknackste Vertrauen der US-Bürger aber auch anderer Länder wieder herzustellen, meint Simons: "Wir reden hier über eine Reform, die US-Bürgern ein wenig mehr Schutz bezüglich ihrer Daten gibt. Aber sie ändert nichts an der Befugnis, internationale Kommunikation abzuhören."
Erst kürzlich hatte die Washington Post berichtet, dass die Datensammelwut der NSA im Ausland weitaus größere Ausmaße habe als bislang bekannt. Demnach hat der US-Geheimdienst ein Programm entwickelt, das die komplette Sprachkommunikation eines ganzen Landes speichern kann. Das System mit dem Namen "Mystic" werde bereits in einem Land eingesetzt. In welchem, ist aber nicht öffentlich bekannt.
Kompromittierte Sicherheit?
Während Menschenrechtsaktivisten und Datenschützern die Reformen nicht weit genug gehen, warnen Geheimdienstexperten vor dem Gegenteil. Enttäuscht äußerte sich der Ex-CIA-Mann Fred Fleitz über die Pläne. "Ich sorge mich über den Plan des Präsidenten, denn es wäre ein wahrer Bremsklotz, wenn die NSA jedes Mal die ganzen juristischen Formulare ausfüllen muss, um die Datenbank anzuzapfen."
Das, meint Fleitz, würde das Programm ineffektiv und damit zunichte machen. Das Datensammelprogramm werde vielerseits nicht verstanden, fehlinterpretiert und schlecht gemacht: "Das ist schade, denn diese Programme sind kompliziert. Und es ist nicht immer klar auszumachen, wo sie der nationalen Sicherheit der USA genutzt und geholfen haben, einen Terroristen zu entlarven oder einen Drogendealer zu identifizieren."
Unklar ist nun, welcher der konkurrierenden Reformpläne sich durchsetzen wird. Schließlich gibt es noch eine dritte Variante, sagt Ex-Agent Fleitz. "Es gibt noch eine konkurrierende Vorlage, nämlich dafür, das Programm komplett zu schließen." Der Präsident unterstütze das nicht, das Geheimdienstkomitee im Abgeordnetenhaus auch nicht. "Doch einige einflussreiche Mitglieder des Kongresses dringen darauf. Ich glaube nicht, dass die Vorlage genug Rückhalt hat - aber man weiß nie."
So oder wird es noch eine Weile dauern, bis sich überhaupt etwas ändert. Denn bevor irgendwelche Reformen umgesetzt werden, will die Regierung dem Spähprogramm in seiner alten Form noch eine Galgenfrist geben - von 90 Tagen.