Kunstszene in Birma
11. Januar 2012Dickbäuchig lehnt der Zensor im Kinosessel. Leicht schläfrig ist er, nach dem fettigen Mittagessen. Doch plötzlich weiten sich seine Augen, zornig brüllt er: "Verbietet diese Szene! Raus damit. Das untergräbt die Würde unseres Landes. Wenn Ausländer das sehen, denken sie, es gibt Bettler in Myanmar." "Aber die gibt es doch da draußen", entgegnet ein anderer. "Da draußen schon, aber nicht im Film!"
"Ban that scene!" von Regisseur Htun Zaw Win ist eine kleine Überraschung: In 18 Minuten nimmt der Kurzfilm die Zensoren Birmas – das heute offiziell Myanmar heißt – gewaltig auf den Arm, wirft ihnen Korruption und Machtgehabe vor. Beim "Art of Freedom Film Festival", das vom 1. bis 4. Januar 2012 in Rangun stattfand, wurde der Film damit zum Publikumsliebling. Gezeigt wurden hier insgesamt 54 Filme - wohlgemerkt ohne vorher von den Zensoren abgesegnet zu werden. Und das ist wohl die eigentliche Sensation.
Für einen Witz ins Arbeitslager
Denn jahrzehntelang beherrschte das Militär Birma und seine Künstler mit strenger Hand: Jedes Lied, Buch oder Kunstwerk musste von den Zensoren freigegeben werden. Wer sich kritisch äußerte, wurde festgenommen und mit drakonischen Strafen belegt.
So erlebten es auch die Moustache Brothers, eine Kabarett-Truppe aus der zentralbirmanischen Stadt Mandalay: 1996 traten die drei Kabarettisten bei einer Kundgebung für Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi auf. Kurz darauf verschwanden zwei der drei für lange Jahre im Arbeitslager. Heute ist es den Moustache Brothers verboten, vor Birmanen aufzutreten.
Stattdessen spielen sie allabendlich vor einer Handvoll Touristen; gebeugt von Alter und Gram – und doch unverzagt: "Meine 85-jährige Mutter", erzählt Lu Maw in sein schepperndes Mikrofon, "sitzt jeden Abend vor unserer Garage und hält Ausschau nach dem Geheimdienst. Und wenn er kommt, dann pfeift sie." Und sie pfeift. Die Touristen lachen.
Alter Staat in neuer Verpackung
Dabei gibt sich die neue Regierung Mühe, demokratisch zu wirken: Sie entlässt politische Gefangene, lockert die Pressezensur und sucht den Kontakt zu Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi. Birma scheint sich zu öffnen.
Lu Maw bleibt trotzdem skeptisch: "Das hier ist eine Flasche Bier. Ich kann ein neues Etikett auf die Flasche kleben. Johnny Walker zum Beispiel", sagt er. "Aber wissen Sie: Die Flasche enthält deswegen noch lange keinen Whiskey. Und genau so ist es mit Birma: Neue Verpackung, alter Inhalt."
Wie weit die Veränderungen gehen werden – auch Jazzgitarrist Zeck ist sich da unsicher: "Für uns Birmanen ist es schwierig zu verstehen, was hier gerade passiert. Wir haben keinen Zugang zu verlässlichen Informationen. Also können wir auch nicht vorhersagen, wie es mit Birma weitergehen wird. Aber eins ist klar: Veränderungen sind überfällig."
Die Kritik lauert überall
Wie jeder Musiker reicht auch der 32-Jährige seine Liedtexte bei der Zensurbehörde ein. Seine Lieder handeln von Liebe, der Suche nach sich, einem Platz in der Welt. Sie sind unpolitisch, eigentlich. Doch auch Zeck wurde vom Rotstift der Zensoren beschränkt: Einmal hat er das Wort "Schwert" verwendet. Das war zu aufrührerisch aus Sicht der Zensoren.
Und nicht nur Worte werden als bedrohlich gesehen, auch Bilder sind auf der schwarzen Liste der Behörden. "Es gibt viele Hindernisse für moderne Künstler. Deshalb trauen sich manche nicht, das zu malen, was sie wollen", erklärt der Maler und Kunstsammler U Maung Maung Thein.
Lachend zeigt er auf eines seiner Bilder: Pagoden im Sonnenuntergang. Thein ist Landschaftsmaler, Impressionist. Mit solcher Kunst musste er nie viel befürchten. "In anderen Ländern der Welt können Künstler tun und lassen, was sie wollen. Selbst China gewährt seinen Kreativen inzwischen Freiheiten und das ist ein sehr strenges Land. Nur Birma macht das nicht."
Künstler wollen Grenzen testen
In Birma ist Kunstfreiheit ein Balanceakt. Und wie in vielen anderen Ländern erblühte oder verkümmerte die Kunst hier, abhängig von der Politik, dem Austausch mit anderen Kulturen – und von Mäzenen, die sich ihrer annahmen. Das scheint jetzt die Rolle von Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi zu sein.
Sie sagt: "Künstler bringen Schönheit in diese Welt. Sie öffnen unsere Augen für Dinge, die wir sonst vielleicht gar nicht wahrgenommen hätten. Wer sie einsperrt für ihren Glauben, ihre Ideen, engt diese Welt ein."
Im Herbst forderte die Politikerin die Musiker des Landes auf, mehr politische Texte zu schreiben. In den vergangenen Jahrzehnten haben Bands vor allem westliche Hits kopiert. Jetzt entwickelt sich langsam ein eigener Birma-Pop. Maler und Filmemacher versuchen, mit ihrer Kunst die Freiheiten auszudehnen – so wie beim "Art of Freedom Film Festival", bei dem Aung San Suu Kyi die Eröffnungsrede hielt.
"Wir wollen die Grenzen der staatlichen Politik testen", erklärte Festival-Initiator Min Htin Ko Ko Gyi in einem Interview. Noch sind die für Künstler eng gesteckt. Aber ein Anfang scheint gemacht.
Autorin: Monika Griebeler, Rangun
Redaktion: Ziphora Robina