Droht Burundi ein neuer Bürgerkrieg?
5. Mai 2015Nach Wochen der Gewalt und Ungewissheit ist der Beschluss nun da: Burundis Präsident Pierre Nkurunziza darf für eine dritte Amtszeit kandidieren. Die Verfassungsrichter gaben am Dienstag offiziell bekannt, dass die Kandidatur verfassungsgemäß sei. Eigentlich sieht die Verfassung von Burundi nur zwei Amtszeiten für das Staatsoberhaupt vor.
Bei seiner ersten Wahl 2005 war Nkurunziza noch indirekt durch das Parlament und nicht direkt von der Bevölkerung gewählt worden. Eine Folge aus dem vorangegangen Bürgerkrieg: 1993 hatte ein Teil der Armee den gewählten Präsidenten Melchior Ndadaye, einen Hutu, ermordet. Der Vorfall stürzte das Land in einen sieben Jahre andauernden Konflikt zwischen Hutu und Tutsi, bei dem mehr als 300.000 Menschen getötet wurden. Nach dem Friedensabkommen von Arusha im Jahr 2000 war es den Verfassungsvätern daher wichtig, dem ersten Präsidenten eine stabile Parlamentsmehrheit zur Seite zu stellen.
Nkurunziza argumentiert nun, dass seine erste Wahl durch das Parlament keine Abstimmung im Sinne der Verfassung gewesen sei und dass ihm deshalb noch eine weitere Kandidatur offen stehe. Dieser Interpretation haben sich die Verfassungsrichter nun angeschlossen.
Druck auf die Verfassungsrichter?
Die Entscheidung des Gremiums kam einen Tag nachdem dessen Vize-Präsident Sylvère Nimpagaritse außer Landes geflohen war. Der hatte sich von Anfang an gegen eine dritte Kandidatur des Präsidenten ausgesprochen. Nach seiner Flucht bezichtigte er die Regierung der vehementen Einflussnahme auf das Gericht. Er sei zudem mit dem Tod bedroht worden, sagte Nimpagaritse.
"Die Entscheidung des Gerichts war nicht besonders frei", sagt auch Claudia Simons von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Sie forscht zu dem Friedensprozess in Burundi. Zu Beginn der Verhandlungen hätten sich nur drei von sieben Richtern zugunsten des Präsidenten ausgesprochen. Daraufhin sei die Entscheidung verschoben worden. "In der Zwischenzeit hat man auch noch die restlichen Richter unter Druck gesetzt, die Seiten zu wechseln", sagt Simons im Gespräch mit der DW.
Burundische Verfassungsrechtler sehen keine Legitimation für eine dritte Amtszeit - und auch Burundis Ex-Präsident Domitien Ndayizeye bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Entscheidung. "Es ist eine falsche Auslegung, denn wenn man die Verfassung liest, ist ganz deutlich, dass kein Präsident mehr als zwei Amtszeiten regieren darf", so Ndayizeye im Gespräch mit der DW.
Angst vor Gewalt
Und wie geht es jetzt weiter in Burundi? "Es ist auf jeden Fall davon auszugehen, dass die dritte Kandidatur die Situation im Land weiter anheizen wird", sagt Burundi-Expertin Julia Grauvogel vom Giga-Institut für Afrika-Studien in Hamburg. Seit Präsident Nkurunziza am 25. April dieses Jahres seine Kandidatur für die anstehenden Präsidentschaftswahlen bekannt gab, kommt es in der Hauptstadt Bujumbura fast täglich zu Protesten. Bei Zusammenstößen mit der Polizei starben bislang zehn Demonstranten, mehr als 600 wurden verhaftet.
Viele Burunder sind enttäuscht von Nkurunziza, weil sich ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben nach dem Bürgerkrieg nicht erfüllt haben. Das Land ächzt unter einer hohen Inflation, die Lebensmittelpreise sind gestiegen, das Benzin wird knapp. Viele junge Burunder sind ohne Job.
Hält die Armee zum Präsidenten?
Jetzt richten sich alle Augen auf die Armee: Von ihr hängt wesentlich ab, ob Burundi erneut in einen Bürgerkrieg abgleitet oder die aktuelle Krise einigermaßen heil übersteht. Das Problem: Die nationalen Streitkräfte sind sich in ihrer Haltung zu Präsident Nkurunziza nicht einig. Am Wochenende hatte Verteidigungsminister Pontien Gaciyubwenge die Neutralität der Armee bekräftigt und gefordert, dass die Angriffe auf die "verfassungsmäßigen Rechte der Burunder" ein Ende haben müssten. Womit er das Vorgehen der Polizei meinte. Vereinzelt hatten sich sogar Soldaten zwischen Polizei und Demonstranten gestellt, um eine Eskalation zu verhindern. Kurz darauf allerdings bekundete der Oberbefehlshaber der Armee, Prime Niyongabo, öffentlich die Loyalität der Streitkräfte zum Präsidenten.
Die Armee war nach dem Bürgerkrieg aus Teilen der ehemaligen Regierungsarmee und Teilen der Rebellengruppen gebildet worden. "Es besteht nun die Gefahr, dass sich die Armee spaltet", sagt Claudia Simons. So könnte ein Teil der Armee die Loyalität aufgeben - mit schwer absehbaren Folgen. Bislang galt Burundi als erfolgreiches Beispiel für die Integration bewaffneter Rebellen nach einem Konflikt.
Auch Emmanuel Nkengurute, hochrangiges Mitglied der burundischen Oppositionspartei Union für den nationalen Fortschritt, warnt: "Wenn die Armee sich spaltet, ist es vorbei mit der Einheit von Burundi, die mit dem Friedensvertrag von Arusha teuer erkauft wurde." Der Friedensvertrag war zwei Jahre lang unter größten Schwierigkeiten und gegenseitigem Misstrauen der Konfliktparteien im Nachbarland Tansania ausgehandelt worden.
Präsident setzt auf alte Reflexe
Und noch eine weitere Gefahr droht: Offenbar versucht Präsident Nkurunziza, Angehöriger der Hutu-Mehrheit, die ethnische Karte zu ziehen. In Burundi gibt es derzeit Gerüchte, dass die paramilitärische Jugendorganisation der Regierungspartei in einigen Teilen des Landes Listen über Hutu- und Tutsi-Zugehörigkeit anfertigen lässt. Das schürt Ängste aus dem Bürgerkrieg. Doch die Rechnung des Präsidenten scheint nicht aufzugehen: Unter den regierungskritischen Demonstranten seien auch viele Hutu, sagt Burundi-Expertin Grauvogel. "Den Prozess zu ethnisieren, ist für die Regierung zunehmend schwieriger."
Doch gerade auf dem Land seien viele Tutsi in Angst, warnt Burundi-Kennerin Simons. Dort sei die Zustimmung für Nkurunziza unter der Hutu-Bevölkerung groß - freiwillig oder auch gesteuert durch den Parteiapparat. "Die Traumata aus dem Bürgerkrieg sind jederzeit abrufbar, und es ist definitiv nicht so, dass Ethnizität keine Rolle mehr spielt", so Simons.
Am 26. Juni soll in Burundi gewählt werden. Trotz aller Proteste dürfte Präsident Nkurunziza die Wahl gewinnen - dank der Unterstützung der ländlichen Bevölkerung. Nun hoffen alle, dass kein neuer Bürgerkrieg folgt.
Mitarbeit: Eric Topona