Drei Monate bis zum Brexit - und null Plan
30. Dezember 2018Im britischen Parlament werden Forderungen lauter, den für 29. März 2019 terminierten EU-Austritt des Vereinigten Königreiches zu verschieben. Laut der Tageszeitung "The Guardian" wollen sich einflussreiche Abgeordnete sowohl der regierenden Konservativen als auch der größten Oppositonspartei Labour für eine Fristverlängerung einsetzen, falls im Januar im Parlament keine Mehrheit für den Austrittsvertrag mit der EU zustande kommt. Das Blatt zitiert einen konservativen Hinterbänkler, der angibt, dass innerhalb der Regierung eine mögliche Fristverlängerung diskutiert werde. May droht auch nach der Verschiebung der Abstimmung eine deutliche Niederlage, weil rund 100 Abgeordnete in den eigenen Reihen ihr Verhandlungsergebnis ablehnen.
Umunna: Fristverlängerung für ein Referendum
Sogar, wenn May eine Mehrheit für ihren Austrittsvertrag erhält, sei mittlerweile die Zeit für einen geordneten Brexit zu knapp, sagte der Abgeordnete Dominic Grieve dem "Guardian". Aus Sicht des Labour-Abgeordneten Chuka Umunna wäre eine Fristverlängerung ein wichtiger Schritt zu einem zweiten Referendum: "Die EU ist unmissverständlich - sie will eine Verlängerung zugunsten einer Volksabstimmung, aber nicht für Nachverhandlungen". Ein zweites Referendum wäre deshalb der Weg, um einen ungeordneten Brexit ohne Deal zu verhindern, sagte Umunna dem "Guardian".
Der Austritt nach Artikel 50 der EU-Verträge kann genau einmal verzögert werden, von EU-Seite sind keine Einwände dagegen zu erwarten. Allerdings begrenzt die Europawahl das Zeitfenster, weil Ende Juni das neu gewählte Europaparlament bestätigt werden soll. Das wollen die verbleibenden 27 EU-Staaten bereits unter sich ausmachen - dem nächsten EU-Parlament sollen keine britischen Abgeordneten mehr angehören.
Malmström: "Kontrollen ab dem ersten Tag"
EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström erwartet im Falle eines ungeordneten Brexits "chaotische Zustände" im Hafen von Dover. Der zollfreie Warenverkehr würde abrupt unterbrochen werden, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa: "Also werden die Briten vom ersten Tag an Kontrollen durchführen, und so werden wir es auch machen."
Malmström betonte, dass die EU natürlich auch im Falle eines ungeordneten "No Deal"-Brexits mit Großbritannien über ein Freihandelsabkommen verhandeln werde. Dafür werde es aber Zeit brauchen.
Juncker: "Rauft euch zusammen!"
In einem Interview mit der "Welt am Sonntag" richtete EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker eine klare Ansage an Großbritannien. "Mein Appell ist: Rauft euch zusammen und sagt uns dann Bescheid, was ihr denn nun wollt", sagte der scheidende Kommissionspräsident.
Weiter erklärte er, die EU respektiere das Ergebnis der britischen Volksabstimmung 2016 und wünsche nur Klarheit über die künftigen Beziehungen. Da Großbritannien die EU verlassen wolle und nicht umgekehrt, müsse London Lösungen vorschlagen.
Fox: "Am schlimmsten wäre gar kein Brexit"
Der britische Handelsminister Liam Fox wirbt weiter für das Austrittsabkommen seiner Regierungschefin: "Wir können uns zu 100 Prozent sicher sein, dass wir am 29. März austreten werden, wenn wir für den Deal der Premierministerin stimmen", sagte Fox der "Sunday Times". "Wenn wir nicht dafür stimmen, bin ich mir nicht sicher, ob ich dem viel mehr als eine 50-zu-50-Chance geben würde." Das schlimmste Ergebnis wäre gar kein Brexit, sagte Fox. "Das würde bei mir das Gefühl hinterlassen, dass wir die Menschen, die beim Referendum abgestimmt haben, betrogen haben." Die Austrittsmodalitäten lassen Großbritannien laut einer Einschätzung des Europäischen Gerichtshofes bis zuletzt die Möglichkeit, ohne Zustimmung der restlichen Regierungen der EU den Brexit abzublasen.
So oder so beginnt das Brexit-Jahr 2019 mit weitgehender Unklarheit darüber, wie es weitergeht. Das britische Parlament soll spätestens bis zum 21. Januar über den Austrittsvertrag abstimmen. Falls May eine Mehrheit der Parlamentarier von ihrem Vertrag überzeugen kann, beginnt am 29. März eine Übergangsphase bis Ende 2020. So lange wäre Großbritannien an EU-Recht gebunden, hätte darüber jedoch kein Mitspracherecht mehr. Gelänge den Unterhändlern bis dahin ein Vertrag über die zukünftigen Beziehungen, bliebe das befürchtete Chaos beim Austritt aus.
ehl/qu (Guardian, dpa, afp)